Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

E-Mail: kontakt@dr-mueck.de (Keine Beratungen per Telefon oder E-Mail!) - Gerne können Sie diese Seite verlinken!

 

Web www.dr-mueck.de

Home
Nach oben
Impressum/Vorwort
Stichwortverzeichnis
Neues auf dieser Website
Angst / Phobie
Depression + Trauer
Scham / Sozialphobie
Essstörungen
Stress + Entspannung
Beziehung / Partnerschaft
Kommunikationshilfen
Emotionskompetenz
Selbstregulation
Sucht / Abhängigkeit
Fähigkeiten / Stärken
Denkhilfen
Gesundheitskompetenzen
Selbsthilfe+Gesundheitstipps
Krisenintervention
Therapeuten-Suche
Über die Praxis Dr. Mück
Konzept+Methoden
Erfahrungsberichte
Lexikon/Häufige Fragen
Innovationen / Praxisforschung
Wissenschaftsinformationen
Gesundheitspolitik
Infos auf Russisch
English Version
 

 


Einfluss von Sport und Bewegung auf Angststörungen


Da Sport und Bewegung in unseren Medien mittlerweile fast vorbehaltlos zur Behandlung vieler Volkskrankheiten empfohlen werden, besteht die Vorerwartung, dass dies auch für seelische Erkrankungen gilt. Sehr viele Studien scheinen dem auch Recht zu geben, wobei die Studienlage zur Depression besonders gut und auf jeden Fall besser als zu den Angststörungen ist. Daher existieren in neuerer Zeit in „Leitlinien“ und Expertenbewertungen (Cochrane Collaboration) auch schon offizielle Stellungnahmen zum Einfluss von Sport und Bewegung auf Depressionen, während solche „unabhängigen“ Aussagen für die Angststörungen vorerst noch fehlen (eine Bewertung durch die Cochrane Collaboration ist jedoch bereits offiziell angekündigt!). In neuerer Zeit (2008) kommt eine Metaanalyse von Wipfli und Kollegen zu der Feststellung, dass Bewegung Angst deutlich besser verringern kann (Effektgröße: -0,48) als andere Maßnahmen zur Angstreduktion (Effektgröße: -0,19). Da die Autoren sich auf 49 Studien stützen, die durchweg randomisiert und kontrolliert waren, glauben sie, eine Empfehlung zur Behandlung von Angststörungen durch Sport von hoher Evidenz aussprechen zu können (Level 1, Grade A). Grundsätzlich lässt sich ansonsten feststellen, dass Sport und Bewegung sog. Zustandsangst („State Anxiety“) schon durch eine einzige Trainingseinheit lindern können. Dagegen bedarf es für eine bedeutsame Besserung von veranlagungsbedingter Ängstlichkeit (Trait Anxiety) intensiveren und längeren Trainings. Eine Metaanalyse von Petruzello und Kollegen (1991) kam zu der Feststellung, dass eine einzelne Trainingseinheit mindestens 21 Minuten betragen und die Gesamtbehandlung mindestens 10 Wochen dauern sollte, um signifikante Effekte auf „Trait Anxiety“ registrieren zu können.

Dass sich auch Angststörungen mit Hilfe eines geeigneten Bewegungsprogramms bessern lassen, unterstreicht beispielhaft eine oft zitierte und in Deutschland durchgeführte Studie von Broocks und Kollegen (1998). In ihr erhielten 46 Patienten, die unter einer Panikstörung (mit oder ohne Agoraphobie) litten, eine 10-wöchige Behandlung in Form eines Lauftrainings. Dabei mussten die Teilnehmer je nach Untergruppe mindestens dreimal pro Woche 4 Meilen laufen, täglich das Medikament Clomipramin (anfänglich 37,5 mg, später 112,5 mg) oder Placebo einnehmen. Im Vergleich zu der Placebogruppe sank in den beiden anderen Gruppen das Ausmaß der Angst (beurteilt anhand der Hamilton Anxiety Scale) signifikant und ähnlich stark. Das Laufprogramm schien also einer medikamentösen Behandlung gleichwertig zu sein. Anhand dieser Studie lassen sich zugleich typische methodische Schwierigkeiten aufzeigen, die eine vorsichtige Interpretation der Ergebnisse solcher Studien gebieten. Folgende Einwände sind beispielsweise denkbar: 1. Panik-Patienten (besonders mit Agoraphobie) scheuen davon zurück, sich körperlich zu belasten und dafür sogar noch ihre sichere Wohnung zu verlassen. Die Durchführung einer „Exposition“ (Joggen im Freien) ist möglicherweise hilfreicher als die Bewegung selbst. 2. Die Läufer konnten auch in Begleitung laufen. Einmal pro Woche liefen sogar alle Läufer gemeinsam, so dass „soziale Effekte“ ebenfalls Angst lindernd wirksam werden konnten. 3. Die Betreuer wussten teilweise, welche Patienten welche „Behandlung“ erhielten und waren daher nicht neutral. 4. Die Läufer führten ein Trainingstagebuch (mögliche zusätzliche Motivation). 5. Bei den Läufern und den Placebo-Patienten war die Aussteiger-Quote hoch (31 bzw. 27 Prozent), während kein Clomipramin-Anwender die Studie abbrach.

Dass es durchaus überzeugende Hinweise für Einflüsse von Bewegung auf die Angstentstehung im Organismus gibt, soll eine Untersuchung von Ströhle und Mitarbeitern (2005) aufzeigen. Darin erhielten 15 Gesunde einmal nach Ausruhen und einmal nach vorheriger 30-minütiger Laufbandbelastung eine Substanz, die Panik auslöst (CCK-4 = Cystokin Tetrapeptid). Ergebnis: Nach Ausruhen rief CCK-4 bei 12 Teilnehmern, nach vorherigem Laufen aber nur noch bei 6 Teilnehmern Panik hervor. Das vorherige Laufen schien den Organismus „panikresistenter“ gemacht zu haben.

Medizinisch relevant und bedeutsam erscheinen nicht zuletzt die Ergebnisse einer neuen Studie (Herring u. Mitarbeiter 2010). Dabei handelt es sich um eine „Metaanalyse“ von 40 Studien zur Anwendung von Bewegung bei chronisch Kranken. Bewegung wurde entweder als Haupt- oder als Zusatzintervention angewendet. Ergebnis: Mit einer durchschnittlichen Effektstärke von 0,29 („mittlerer Effekt“) erscheint Bewegung als wirksame Behandlungsmaßnahme zur Angstlinderung. Die deutlichste Wirkung war zu beobachten bei bis zu 12-wöchigem Training, mindestens 30 Minuten Trainingszeit und einer Beurteilung nach Ablauf von mindestens einer Woche.

Zusammenfassend lässt sich vorläufig feststellen: Bewegung erzielt neben einem zweifelsfreien „akuten“ Angst lösenden Effekt offenbar auch längerfristige Angst verringernde Effekte, wenn sie bei geeigneten Krankheitsbildern als Zusatzmaßnahme eingesetzt wird. Inwieweit Bewegung auch als Hauptintervention bei Angststörungen angewendet werden kann, ist vorerst noch offen. Besonders geeignete Sportarten lassen sich noch nicht benennen. Fest steht auf jeden Fall, dass Sporttreibende durchweg weniger ängstlich und depressiv sind als sportlich inaktive Menschen (Moor u. a. 2006). Dabei ist unklar, ob Sporttreiben wirklich seelisch gesund hält oder ob nicht vielmehr seelische Gesundheit die Grundlage dafür ist, Sporttreiben zu wollen und zu können. Auch ist denkbar, dass Sporttreiben und seelische Gesundheit in keinerlei Wechselwirkung stehen, sondern dass noch unbekannte Faktoren dafür sorgen, dass man seelisch gesund ist und außerdem auch noch Sport treibt. Auf diese Möglichkeit weist eine niederländische Studie hin (De Moor u. a. 2008)         Weiter