Es gibt kein objektives Erkennungsmerkmal von
„Problemen“. Was in den Rang eines Problems erhoben wird, ist immer
das Ergebnis einer Einigung bzw. eines Aushandelns zwischen den
beteiligten Menschen, zu denen ja auch Ihr Therapeut gehört. Hier gilt
Vergleichbares wie für Nachrichten und Informationen: Deren „Bedeutung“
hängt davon ab, ob und welche Reaktion sie gegebenenfalls auslösen. Über
die Wichtigkeit entscheiden also die Adressaten und nicht der Lieferant
der Information. Es gibt Therapeuten, die etwas zu einem „Problem“
erklären, was andere Therapeuten überhaupt nicht problematisieren.
Ähnliches gilt für das „Dramatisieren“. Nicht mit jedem Thema
werden Sie also bei jedem Therapeuten ankommen, es sei denn, Sie selbst
sind ein besonders hartnäckiger Verhandler, der seine Sicht der
„Wirklichkeit“ durchsetzt. Probleme sind immer von dem Kontext
abhängig, in dem sie konstruiert werden. So kann man einen „Mörder“
ruhig laufen lassen, sobald man erkannt hat, dass er Teil eines
Theaterstücks ist.
Es ist hilfreicher, in Problemen eine
„Herausforderung“ (einen Entwicklungsreiz) zu sehen und sie nicht als
„schreckliche Last“ zu betrachten. Manche Probleme (Konflikte) haben einen
so hohen Nutzen, dass die Beteiligten „Lösungen“ scheuen. So hat ein
Ehemann, der wegen des von ihm als „unausstehlich“ erlebten Verhaltens
seiner Ehefrau mit Genuss fremd geht, kein Interesse daran, dass sich die
Ehefrau plötzlich anders verhält (weil dann der „Entschuldigungsgrund“
entfiele). Bei manchen Problemen sind auch schon die (misslungenen)
Lösungsversuche ihrerseits problematisch geworden, indem sie dazu
beitragen, das
Problem weiterhin aufrechtzuerhalten.
Probleme erscheinen oft als ineinander
verschachtelt (wie russische Puppen): Ist ein Problem „gelöst“, tritt
aus dessen Schatten das dahinter liegende hervor (ein Phänomen, das sich
besonders bei Ängsten beobachten und nutzen lässt). Versteht man Probleme
als Diskrepanz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, so wird
verständlich, warum es nie einen Zustand geben kann, in dem alle Probleme
gelöst sein werden: Wann immer wir ein Ziel (eine Lösung) erreicht haben,
zeigt uns unsere (offenbar grenzenlose) Phantasie weitere
Möglichkeiten auf. So erzeugt sie neue „Probleme“ (und damit kreative
Unzufriedenheit).
Zu wissen, wie ein Problem entstanden
ist, löst dieses Problem noch lange nicht. Ein solches Wissen erleichtert
nur, weil man meist die Verantwortung für die Entstehung des
Problems irgend welchen äußeren Umständen oder fremden Personen
(insbesondere den Eltern) zuschreiben kann. Die
Eigenverantwortung für die heutige, also jetzt endlich fällige Lösung
des Problems wird man aber so nicht los. Wer in einer Psychotherapie
meint, vor allem andere in die Verantwortung nehmen zu müssen (was in
vielen Lebenssituationen durchaus sinnvoll sein kann), sollte lieber in
eine politische Partei oder einen Pädagogenverband eintreten und nicht
eine Psychotherapie anstreben. Die Bereitschaft zur
Verantwortungsübernahme ist meist auch der erste Schritt, sich von einem „Reagierer“
zu einem „Handelnden“ zu wandeln und aus Opferrollen zu schlüpfen
(zu leben und nicht gelebt zu werden). Durch ihre Opferhaltung üben solche
Menschen (oft sind es „Masochisten“) indirekt Macht auf ihre Umgebung aus,
die diese regelrecht in die Helferrolle zwingt. Letztlich haben die Opfer
so die Situation komplett unter Kontrolle und erklärt sich deren Wut, wenn
die Umgebung einmal nicht „mitspielt“.
Wer handelt, riskiert allerdings auch,
schuldig zu werden. Dagegen können sich„Opfer“ in der Illusion ewiger
Schuldlosigkeit wähnen. Manche Menschen sind der Ansicht, dass ihnen so
viel Unrecht widerfahren ist, dass nun endlich eine „Gutmachung“
fällig ist. Für solche Personen ist der Therapeut jedenfalls nicht die
richtige Adresse, um ihr „Wiedergutmachungssparbuch“ einzulösen. Sie
verleiten auch gerne den Therapeuten dazu, Rolle und Funktion von Personen
zu übernehmen, die ihnen privat fehlen.
Gute Therapeuten werden Sie immer wieder
einladen, möglichst viel Eigenverantwortung zu übernehmen und aktiv
Ihr Leben zu gestalten, statt wie gelähmt als bloßer (meist neidischer)
Zuschauer am Leben anderer teilzuhaben (Einstellung: Was wurde mir bloß
angetan!). Auf diese Weise werden Sie weitgehend immun, gegen Versuche der
Umwelt, Sie in nervenaufreibende „Schuldverteilungskämpfe“ zu
verwickeln. Solche mitunter endlosen und fruchtlosen Gespräche lassen sich
oft beenden, wenn Sie Ihren Teil der Verantwortung spontan übernehmen und
fragen, wie Sie eventuellen „Schaden“ wieder gut machen können. Leider
lebt uns die Gesellschaft diese Haltung zur Zeit nicht vor, da sie
„Verantwortung“ wie auf einem Verschiebebahnhof nur zwischen verschiedenen
Gleisen hin und her bewegt. In Partnerschaften zeigen Sätze wie „Ich kann
nicht ausstehen, wenn Du...“, dass die Verantwortung zur Änderung auf den
anderen verschoben wird.
Es ist möglich,
Probleme zu lösen, ohne zu
wissen, wie sie entstanden sind (Darauf bauen viele Kurzzeittherapien
auf). Sind die Probleme einmal weg, interessieren sich die meisten
Menschen seltsamerweise nicht mehr für deren Entstehung, zumal solche
Forschung oft sehr zeitaufwendig und meist spekulativ ist. Selbst den
Heilungsvorgang muss man nicht verstanden haben, Hauptsache, es geht einem
besser („Wer heilt hat Recht“). Im Grunde verrät uns schon das Wort
„Lösung“, worin in sehr vielen Situationen die „Lösung“ bestehen kann
(wie ein Fraktal der Chaostheorie): Es geht wortwörtlich darum, sich von
den bisherigen Vorstellungen zu lösen. So lassen sich „Probleme“
mitunter am schnellsten und elegantesten lösen, indem man komplett das
Problemfeld verlässt und sich von einschränkenden Denkmustern
(Gewohnheiten) befreit. Lassen Sie sich dies am Beispiel des
9-Punkte-Rätsels (Watzlawick) bzw. den Geschichten von der Sandschubkarre
oder reitenden Königssöhnen erläutern. Viele Witze (mit ihrem
„befreienden“ Lachen) weisen auf ungewöhnliche Lösungen hin. Ein großer
Teil therapeutischer Angebote zielt darauf ab, Sie darin zu unterstützen,
„Gewohntes“ wieder zu verlernen, gleichzeitig neue „innere Suchvorgänge in
Gang zu setzen“ und sich so von Ihrem Problem zu „lösen“.
Eine anregende Gegenüberstellung von
Problemlösen und Lernen habe ich bei der Psychologin D. Markova (1997)
gefunden:
Problemlösen |
Lernen |
eliminiert |
bringt
zum Vorschein |
unterscheidet |
fügt
Möglichkeiten hinzu |
Vermeidet das Unbekannte |
sucht
Unbekanntes |
geht auf
Distanz |
verbindet |
ist
endlich |
ist
unendlich |
ist auf
Antworten orientiert |
ist
prozessorientiert |
ist auf
Gegensätze gerichtet |
ist
beziehungsorientiert |
sammelt
Informationen |
entwickelt Fähigkeiten |
ist
kurzfristig |
ist
langfristig |
ist
kontrahiert/fokussiert |
ist
expansiv, staunend |
ist
linear |
ist
kreativ |
ist
reaktiv |
ist
proaktiv |
Meist ist es auch gar nicht erforderlich,
ein Problem oder gar Leben komplett „durchzuarbeiten“, um eine
gestockte Entwicklung wieder in Gang zu setzen. So wie es bei einem Bach,
der durch einen quer liegenden Ast gestaut wird, nicht erforderlich ist,
ihn komplett auszubaggern, zu begradigen und zu befestigen, damit er
weiter fließen kann, reicht mitunter auch schon eine kleine
Lebensveränderung aus, um den Strom des Lebens wieder in Gang zu bringen.
Viele Probleme erscheinen als Probleme, weil
sie einfach noch nicht zu Ende (bis ins letzte Detail) ausgedacht worden
sind. Eine sinnvolle Einladung besteht deshalb darin, einmal so
detailliert wie möglich die gesamte Situation und deren potentielle
Konsequenzen anzusehen. Man nennt so etwas „Klären“. Dieser Ansatz
hilft, noch fehlende Informationen zu beschaffen und falsche Informationen
zu korrigieren (besonders nützlich bei Ängsten und Zwängen). Manchmal
schrumpft allein schon durch ein konsequentes Ausphantasieren („Was
passiert schlimmstenfalls?“) das „Problem“ auf normale Dimensionen, so wie
eine „dunkle Gestalt“ in der Dämmerung sich erst bei näherem Herantreten
als harmloser Baumstumpf entpuppt. „Informationslücken“ („Stereotype“,
Regeln) rufen „Mythen“ auf den Plan, die diese Lücken ausfüllen und das
Leben berechenbarer machen sollen. Das „Klären“ ist besonders hilfreich,
wenn jemand in Andeutungen, Verallgemeinerungen („Ich bin nur noch
depressiv“) und abgebrochenen Gedanken spricht oder begonnene Bewegungen
stoppt (Informationen also tilgt bzw. vorenthält). Viele Politiker
benutzen dies sogar methodisch, weil man die Zuhörer so hypnotisieren,
also in schlafähnliche Zustände versetzen kann. Offenbar betreiben manche
Patienten dieses Spiel mit sich selbst und mit ihrem Therapeuten (für den
das ganze Leben seines Patienten schließlich nur noch aus Beschwerden
besteht). Durch „Klären“ können Sie sich selbst aus solchen
schlafähnlichen Zuständen wieder erwecken. Auch in der Therapie werden Sie
besonders gut vorankommen, wenn Sie möglichst genau (vorstellbar)
mitteilen, was Sie bedrückt (motiviert) und was Sie genau mit der
Unterstützung Ihres Therapeuten für sich erreichen wollen.
Exkurs: Es
ist sinnvoll, Aussagen daraufhin zu untersuchen, wie viele Tilgungen sie
enthalten. So finden zwei Tilgungen in dem Satz „Er versprach, sich zu
bemühen“: Wem wurde etwas versprochen? Worum wurde sich bemüht? Besondere
Tilgungen stellen Vergleiche und Superlative dar. Beispiel: Sie nahm sich
das Beste (Tilgung: Das Beste von was?). Auch Umstandswörter wie
„offensichtlich, bedauerlicherweise und erstaunlicherweise“ werden gerne
als Tilgungen benutzt (Beispiel: Erstaunlicherweise hörte sie auf zu
trinken. Frage: Wer staunte hier?). So genannte Modaloperatoren wie
„müssen, sollen oder notwendig sein“ tilgen insofern, als sie nicht
verraten, wer der Veranlasser bzw. die zugrunde liegende Erfahrung ist
(Prüffragen: Wer oder was verlangt dies? Was würde geschehen, wenn der
Aufforderung nicht gefolgt wird?). Schließlich gibt es auch noch die
Modaloperatoren „nicht möglich sein, können, dürfen, vermögen, außerstande
sein“. Sie deuten an, dass es nicht näher beschriebene negative
Erfahrungen gibt, die den Sprecher beeinflussen. Hier hilft die Frage
weiter: „Was hindert Sie daran?“
Andere Formen der Selbsthypnose
(Selbstprogrammierung) sind Sätze wie „Das kann ich nicht“, „Lass das, Du
wirst es kaputt machen“. Wenn Sie sich in dieser Form Dinge einreden,
erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass es entsprechend kommen bzw.
bleiben wird („Sich selbst erfüllende Prophezeiung“, auch Pygmalion-Effekt
genannt). So erklärt sich, warum beide meist recht behalten: Derjenige,
der sich das Leben schwer macht, und derjenige, der sich das Leben leicht
macht. Während sich der erstere meist dahinschleppt, schwebt der
letztgenannte. Folgender Satz veranschaulicht ebenfalls das Muster der
sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Moralisieren ist eine wesentliche
Ursache der Krankheit, für deren Therapie es sich ausgibt. Eine
medizinische Variante der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist der
Placebo-Effekt. Darunter versteht man das Phänomen, dass ein
Scheinmedikament (Arzneimittelattrappe) zu Besserungen führt, weil der
Patient in Unkenntnis der realen Situation an die Wirksamkeit glaubt
(Grundgefühl: Hoffnung). Weitaus verbreiteter als der Placebo-Effekt ist
mittlerweile möglicherweise der „Nocebo-Effekt“. Darunter versteht man die
Erwartung, dass Arzneimittel oder Lebensmittel Schlimmes auslösen
(Grundgefühl: Angst).
Halten Sie sich lieber Entwicklungen offen,
indem Sie sagen „Das kann ich noch nicht“. Die Folgen sich selbst
erfüllender Prophezeiungen beschränken sich nicht unbedingt auf den
„mentalen Bereich“. So kann die im Rundfunk verbreitete Warnung, das
Toilettenpapier werde knapp, entsprechende Hamsterkäufe auslösen und damit
zur Verknappung desselben führen. Dies ist ein Beispiel für einen der
möglichen Mechanismen, wie Glaubenssätze ein Verhalten auslösen, dessen
Folgen dann die Richtigkeit des Satzes bestätigen. Auch Lügen können
selbsthypnotisierend wirken, so dass man irgend wann nicht mehr weiß, wer
man letztlich ist.
Mit der Form der Selbsthypnose ist meist eine
Lenkung der Wahrnehmung (Aufmerksamkeit) verbunden (auf das, was
man schließlich für wahr-nimmt): Wer glaubt (bzw. erwartet), dass die Welt
ein Jammertal ist, nimmt vor allem Negatives wahr (so wie einem
Blumensammler nicht die Steine, sondern Blumen ins Auge springen und dem
Hungrigen vor allem Restaurants und Lebensmittel auffallen). Wer die Welt
als einen Spielplatz ansieht, wird eher lustbetonte Beobachtungen machen.
Oder anders ausgedrückt: Man findet überrascht die Ostereier, die man
vorher selbst versteckt hat (Fragen Sie mich auch nach dem Uhrenbeispiel,
das die Lenkung der Wahrnehmung durch das Interesse verdeutlicht). Vor
diesem Hintergrund werde ich Sie immer wieder ermuntern, nicht weiter auf
Ihr Leiden zu starren, sondern Ihren Blick für Genussmöglichkeiten zu
weiten. Viele Firmen haben diese Zusammenhänge längst erkannt, indem sie
Konferenzen mit einem Ritual eröffnen, bei dem jeder kurz mitteilt, welche
günstigen neuen Erfahrungen er gesammelt hat und was seit Neuestem klappt
(und nicht welche alten Probleme weiterhin bestehen).
Bereits die Wortwahl lenkt die Wahrnehmung und
drückt unsere Einstellung (Bewertung) aus. So achtet man oft auf völlig
andere Phänomene, je nach dem ob man nach „Gesundheit“ oder „Freiheit von
Krankheiten“ strebt. „Überraschungen“ (Schreck, Unverständnis) eignen sich
besonders gut dazu, Neues wahrnehmen zu lernen und sich für neue
„Schemata“ zu öffnen. In der Überraschung erleben wir, wie es sich
anfühlt, wenn wir plötzlich Neues erleben. Auch Ratlosigkeit (Ich weiß
nicht, ich kann nicht) ist eine günstige Ausgangslage, um uns für neue
Denkmuster zu öffnen bzw. die (innere) Suche nach Lösungen in Gang zu
setzen.
Gerne werde ich Ihnen Theorien zur Verfügung
stellen, die helfen Ihr „Gefühls- oder Gedankenchaos“ (= die
Komplexität Ihres momentanen Lebens) zu verringern. Weniger komplexe
Situationen lassen das Leben sicherer erscheinen (= emotionaler Gewinn),
sie fördern zugleich aber Monotonie und Langeweile (= emotionaler Preis).
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