Normalerweise verfügt jeder Mensch über die Bereitschaft, Angst zu
erleben. Ob und wann diese Bereitschaft zu richtiger Angst wird, ist
dagegen von Person zu Person unterschiedlich. Einige Menschen verkraften
auch Extremsituationen (wie lebensgefährliche Unfälle, Entführungen,
Vergewaltigungen, Misshandlungen), ohne anschließend unter vermehrter
Angst zu leiden; andere wiederum trauen sich nicht mehr unter Menschen,
nachdem sie sich durch eine für andere banal wirkende Bemerkung tödlich
gekränkt fühlten. Vermutlich liegt das
persönliche Ausmaß an "Angstbereitschaft" teilweise schon bei
der Geburt fest ("Temperament"). Dabei ist unter
"Angstbereitschaft" die Art und Weise zu verstehen, wie ein
Mensch auf neue, ihm unbekannte Reize reagiert (z.B. durch eine
Alarmreaktion im Sinne von Angst oder durch neugieriges, vielleicht sogar
lustvolles Untersuchen des neuen Reizes).
Ob sich die Angstbereitschaft vergrößert,
gleich bleibt oder abnimmt, hängt wesentlich davon ab, wie die
wichtigsten Bezugspersonen des Kindes mit eigenen und fremden Ängsten
umgehen. Wenn es den Bezugspersonen gelingt, dem Kind Vertrauen in sein
eigenes gutes Funktionieren und das Funktionieren der Welt zu vermitteln,
wird es möglicherweise zu einem überwiegend mutigen (gelasseneren)
Menschen heranwachsen. Handelt es sich dagegen um Bezugspersonen, die
selbst mit großer Unsicherheit und Angst auf Neues reagieren, wird dies
auch das Kind prägen. Nach heutiger Ansicht erlernen Kinder schon in den
ersten Tagen und Monaten ihres Lebens "Kompetenz im Umgang mit
Gefühlsregungen". Gelingt es den Bezugspersonen, ein erregtes
(ängstliches) Kind zu beruhigen, spürt das Kind, dass sich
Erregungszustände regulieren lassen. Ohne eine solche (wiederholte)
Erfahrung bleibt es körperlichen Erregungen (Symptomen) möglicherweise
lebenslang hilfloser ausgeliefert. Später reichen oft geringfügige
Anlässe, um das ohnehin schon hohe Erregungsniveau so weit zu
steigern, dass es in massive Angst umschlägt. Dann müssen Ärzte und Therapeuten
durch "beruhigendes Einwirken" die Betroffenen gleichsam
"nachschulen". In den Familien Angstkranker findet man oft eine
regelrechte Angst-Tradition, die sich über mehrere Generationen hinweg
erstreckt.
Wenn Menschen mit hoher Angst- bzw.
Erregungsbereitschaft nicht gelernt haben, sich selbst zu beruhigen,
können auch schon leichtere Reize (Schwindel, Herzrasen,
Atemnot, Muskelschwäche, Kribbeln, Missempfinden, "Kloß im
Hals", Schweißausbrüche, schmerzhafte Muskelverspannungen) Angst
und Unsicherheit auslösen. Dafür genügen mitunter bereits
Hungergefühle (!), kleinere Infekte, innere Anspannung oder schlichtweg Bewegungsmangel, die
vom Betreffenden als eigentliche Ursachen nicht erkannt werden. Schnell
stellt sich die katastrophisierende Vorstellung ein, schwer erkrankt zu
sein, möglicherweise sogar sterben zu müssen oder verrückt zu werden. An dieser Stelle könnten gelassene und Vertrauen spendende Bezugspersonen mitunter den
beginnenden Teufelskreis (= Link,
bitte anklicken!) noch durchbrechen. Statt dessen werden aber oft
Notärzte oder Krankenhäuser bemüht, die der Situation einen noch
dramatischeren Anstrich verleihen und die Gefährlichkeit des Geschehens
scheinbar unterstreichen. Da die medizinischen Autoritäten in aller Regel
die Angst nehmen können (notfalls mit Hilfe einer Beruhigungsspritze),
schnappt die Falle zu. Bei erneuten Ängsten werden sich die Betreffenden
noch rascher in ärztliche Behandlung geben, zugleich werden sie aber auch
immer
abhängiger von anderen.
Neben dieser für "psychosomatische"
Ängste typischen Entwicklungsgeschichte gibt es auch Ängste, die durch
ein Ereignis ausgelöst werden, das bei den meisten Menschen Angst
erzeugen würde (Naturkatastrophen, schwere Verkehrsunfälle,
Entführungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen). Ängste diesen Ursprungs
sind meist Teil einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung.
Der Ursprung mancher Ängste bleibt
mitunter auch verborgen, etwa wenn der auslösende Reiz durch Zufall mit
einem anderen Angstereignis gekoppelt wurde, ohne dass man sich im
Nachhinein daran erinnert. Wer Zeuge eines furchtbaren Unfalls war, kann
beispielsweise im weiteren Verlauf seines Lebens auf das Läuten von
Kirchenglocken mit starker Angst reagieren, wenn im Augenblick des Unfalls
solche zu hören waren. Ähnlich kann sich Angst mit der Farbe rot
verknüpfen, wenn ein Unfallauto eine solche Farbe hatte.
Bei Menschen mit hoher Angstbereitschaft
tendieren Ängste dazu, sich zu verstärken. Denn diese Personen
suchen regelrecht nach Bestätigung ihrer Sorgen. Fast alles war passiert,
passt dann in das Angstschema und bestätigt die (scheinbare) Richtigkeit
der Angsterwartung. Auch Vermeidung fördert Ängste, da die hilfreiche
Erfahrung, Ängste bewältigen zu können, immer seltener wird.
Einige Ängste haben vermutlich eine körperliche
Grundlage, beispielsweise die "Blut- oder Spritzenphobie".
In solchen Situationen verlieren die Betroffenen oft das Bewusstsein, weil
ihr autonomes Nervensystem auf den Anblick mit einer
"Notfallreaktion" antwortet (wie sie dem Totstellreflex im
Tierreich entspricht). Man vermutet, dass die in diesem Zusammenhang
entstehende Phobie weniger mit dem Anblick von Blut- oder Spritzen zu tun
hat als vielmehr mit der Angst, das Bewusstsein zu verlieren, im
Extremfall zu sterben.
Auch bei Tierphobien (Spinnen,
Schlangen, Ratten, Mäuse, Hunde), der Höhenangst (Akrophobie) und
der Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie) kann man sich
vorstellen, dass sie teilweise körperlich (genetisch) verankert sind.
Denn in entsprechenden Situationen (Wildnis) können sie durchaus sinnvoll
sein und das Überleben fördern. In der oft sterilen modernen
Zivilisation, in der viele Kinder Spinnen, Schlangen und Ratten nur noch
aus dem Fernsehen oder dem Zoo kennen, lösen solche Ängste oft
Unverständnis aus.
Ängste können nicht zuletzt Begleiterscheinungen
körperlicher Erkrankungen sein. Manchmal ist der Zusammenhang
eindeutig und verständlich (etwa in Form der
"Vernichtungsangst" beim Herzinfarkt), manchmal muss man erst
sehr gezielt und mit medizin-technischen Hilfsmitteln danach fahnden (etwa
bei einer Überfunktion der Schilddrüse oder einer zu Unterzuckerung
neigenden Stoffwechsellage). Einige Ängste wollen Betroffene auch nicht
wahrhaben (etwa bei einem Drogen- bzw. Alkoholentzug oder dem Absetzen
von Beruhigungsmitteln). Schließlich können auch Medikamente
Ängste auslösen (etwa Schilddrüsenhormone).
Menschen mit vermehrten Ängsten greifen
verhältnismäßig oft zur Zigarette oder zu Süßigkeiten.
|