fzm - Immer häufiger wird in so genannten
Leitlinien festgelegt, wie Krebserkrankungen am besten erkannt und
behandelt werden können. Diese Leitlinien sind nach Ansicht von Prof.
Michael Bamberg, Universität Tübingen, dem Präsidenten der Deutschen
Krebsgesellschaft, nicht nur für Ärzte eine wichtige Entscheidungshilfe.
Auch Patienten können Nutzen daraus ziehen. Alle Leitlinien der
Krebsgesellschaft würden nämlich für jedermann zugänglich im Internet
veröffentlicht (FN1). Dort könnten die Patienten überprüfen, ob ihre
Behandlung dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Forschung
entspricht. In der neuesten Ausgabe der Deutschen Zeitschrift für
Onkologie (Haug Verlag, Stuttgart, 2004) betont Prof. Bamberg: "Die
Leitlinien werden nicht von einzelnen Experten ausgearbeitet, sondern
von Teams aus verschiedenen Fachrichtungen." So werde eine einseitige
Betrachtung einer Erkrankung vermieden. Die Deutsche Krebsgesellschaft
ist noch einen Schritt weiter gegangen: "Unsere Leitlinien werden unter
unmittelbarer Beteiligung von Patientinnen und Patienten erstellt",
erklärt Prof. Bamberg. Es gibt
jedoch auch kritische Stimmen. Prof. Peter Matthiesen von der
Universität Witten/Herdecke bezweifelt nicht, dass Leitlinien "sinnvolle
und notwendige Orientierungshilfen" für Ärzte und Patienten sind. Der
Inhaber des Lehrstuhls für Medizintheorie und Komplementärmedizin an der
Reform-Universität sieht jedoch auch ein "Gefahren- und
Illusionierungspotenzial". Die Gefahr bestehe darin, dass die Leitlinien
sich im Wesentlichen auf die Ergebnisse von Plazebo-kontrollierten
Studien stützen. Andere Quellen medizinischen Wissens, zu denen Prof.
Matthiesen auch die Berufserfahrung der einzelnen Ärzte zählt, blieben
auf der Strecke. Individuelle Therapieansätze könnten sogar durch
"gleichgeschaltete Behandlungsmethoden" ersetzt werden.
Dass Leitlinien auf umstrittene
Therapiefragen immer eindeutige Antworten geben, ist für Prof.
Matthiesen eine Illusion. Es gebe Beispiele, in denen zwei Leitlinien
auf der Basis der gleichen Studien zu unterschiedlichen Ratschlägen
kämen. Da viele Studien von der Pharmaindustrie gesponsert werden,
könnten diese indirekt auch Einfluss auf den Inhalt der Leitlinien
nehmen, befürchtet Prof. Matthiesen. Überhaupt rät er seinen Kollegen
statt der p-Werte (sie signalisieren, ob eine Studie stichhaltig ist)
wieder stärker die Patienten in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu
stellen.
M. Bamberg:
Leitlinien in der Onkologie: Pro-Darstellung
Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2004; 36 (3): 135
P. Matthiesen:
Leitlinien in der Onkologie: Contra-Darstellung |