Berlin (pte014/12.07.2011/12:55) - Menschen mit schweren Formen der
Verbitterung können durch Weisheit geheilt werden. Das berichtet der
Berliner Psychiater und Psychotherapeut Michael Linden im "Journal of
Psychotherapy and Psychosomatics". Linden hat 2003 die
posttraumatische
Verbitterungsstörung (PTED) als erster beschrieben (siehe:
http://pressetext.com/news/20091003004 ). Nun zeigte er in
einer randomisierten Kontrollstudie,
dass die kognitive
Verhaltenstherapie auf Grundlage der Weisheitspsychologie einen
wirksamen Ansatz für die Behandlung der Störung darstellt,
wenngleich diese im offiziellen Diagnoseschlüssel noch nicht aufscheint.
Lösung des
Unlösbaren
"Weisheit ist eine
psychologische Fähigkeit des Menschen, die ihm dabei hilft, mit
komplexen und undurchschaubaren Situationen fertig zu werden",
erklärt Linden im pressetext-Interview. Dringend nötig ist sie etwa bei
Menschen, die durch
Ungerechtigkeiten oder Erniedrigung zutiefst verletzt wurden und wo ein
Ungeschehen-Machen unmöglich ist - oft etwa nach einer Kündigung
oder nach dem Fremdgehen des Ehepartners. Alte Menschen besitzen oft
einen höheren Grad an Weisheit, jedoch auch bestimmte Berufe wie etwa
Rechtsanwälte, Psychotherapeuten oder Pfarrer.
Linden zieht einen Vergleich zur Selbstsicherheit, die jeder Mensch
kennt, die erlernbar ist und mehrere Dimensionen umfasst wie etwa
Blickkontakt oder Fähigkeit zum Neinsagen.
Ebenso ist auch die Weisheit ein Allgemeingut mit vielen Facetten wie
etwa Fähigkeit zu Empathie und Perspektivwechsel, Akzeptanz und
Steuerung eigener Emotionen, Wertrelativismus oder
Nachhaltigkeitsorientierung. Weisheitskompetenzen können recht einfach
verbessert werden, wie etwa durch fünfminütiges Nachdenken vor
überstürzten Handlungen oder durch den Blick auf langfristige Ziele.
"Weisheit heißt auch, sich nicht als Nabel der Welt zu sehen", so
der Experte.
Besser als bisherige
Therapien
Bei verbitterten Menschen soll Weisheit vor allem dazu dienen, durchgemachtes Leid hinter sich
zu lassen. Dennoch bricht bei Betroffenen diese Kompetenz oft
völlig zusammen. "Der psychische
Zustand der Kränkung löst oft einen Teufelskreis aus, der jedes
Überwinden nur erschwert. Neben der Stimmung sinkt auch der
Antrieb, viele entwickeln psychosomatische Beschwerden oder meiden
Sozialkontakte. Im Extremfall drohen sogar Suizid oder Amok", warnt
Linden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Verbitterte trotz ihres
Leidensdrucks oft sogar aggressiv gegen Hilfe von Außen wehren - auch
gegen Therapie.
Dass Verbitterte in ihrer Blockade durch Negativismus und Fatalismus
besondere Hilfen brauchen, verdeutlichte Lindens Pilotstudie. 25
PTED-Patienten, die eine multidimensionale kognitive Verhaltenstherapie
erhielten - bisher Standard für derartige Leiden - zeigten kaum die
erhofften Verbesserungen. Diese traten eher bei den 28 Patienten ein,
die mit einer auf der Weisheitspsychologie orientierten, spezifischen
Verhaltenstherapie behandelt wurden. Sichergestellt wurden diese
Ergebnisse mit üblichen Tests sowie einer Bewertung durch Patient und
Therapeut.
Friedlicher
Schlussstrich
So sehr die Studie auch für Lindens Ansatz spricht, relativiert dieser
jedoch. "Es ist noch nicht geklärt, ob der Erfolg auf die
Weisheitstherapie im engeren Sinne zurückzuführen ist oder die in diesem
Rahmen entwickelten Therapiestrategien, um mit dem Patienten überhaupt
ein Arbeitsbündnis herzustellen." Der Therapeut muss den Patienten
in seinem Elend annehmen und auch emotional zu verstehen, was bei
Verbitterung nicht leicht fällt. "Statt gleich Änderungen zu verlangen,
muss man als Therapeut erst einmal die Kränkung uneingeschränkt
miterleben."
Eine Motivation für das Einlassen auf die Therapie könne den Patienten
der Gedanke sein, dass es ungerecht ist, etwa seinen Job verloren zu
haben, jedoch noch ungerechter,
dass einem der ehemalige Chef nun auch noch ständig den Schlaf raubt.
Ziel der Behandlung seien nicht Rechtfertigung oder Kleinreden, sondern
ein Rückblick auf Schlimmes ohne Wut. "Der Patient muss selbst derart
Schluss mit seiner Vergangenheit machen können, dass sie keine Folgen
mehr für ihn hat - also ein Stück Vergebung", so der
Psychotherapeut. |