Berkeley/Regensburg (pte024/19.09.2011/13:35) - Das Ohrenleiden Tinnitus
ist meist Folge einer Hörstörung und entspricht in seinem Mechanismus
dem Phantomschmerz nach einer Amputation. Belege für diese Annahme
liefern Forscher University of California in Berkeley http://www.berkeley.edu
in der Zeitschrift "PNAS". Ihre Ergebnisse stellen einige der heutigen
Therapieansätze für Tinnitus in Frage. Bestimmte Gehirnveränderungen
nach einem Gehörverlust sollte man besser unterstützen statt verhindern,
so das Team um Shaowen Bao.
Gleicher Effekt wie
nach Amputation
Allein in Deutschland hören drei Mio. Menschen ein ständiges Pfeifen,
Klingeln oder Summen, das für andere nicht wahrnehmbar ist - auch als "Tinnitus"
bezeichnet. Wie dieses Leiden zustande kommt, konnten die US-Forscher in
Rattenversuchen zeigen. "Die Forschung liefert viele neue Erkenntnisse
zu Tinnitus sowie auch Anregungen für neuartige Therapien. Für deren
Umsetzung ist jedoch noch viel Geduld nötig", kommentiert Berthold
Langguth, Leiter des Tinnituszentrums Regensburg http://www.tinnituszentrum-regensburg.de
, im pressetext-Interview die Ergebnisse.
Der Verursacher von Tinnitus ist meist eine Hörstörung, etwa infolge
lauter Geräusche. Im Innenohr werden dabei Haarzellen zerstört, die
zuvor jeweils Signale bestimmter Frequenzen an die Hörregion in der
Großhirnrinde übermittelt haben.
Kommt kein Input mehr aus dem Ohr, nimmt die Hemmung der nun
unterbeschäftigten Neuronen ab. Sie werden übererregbar und feuern
spontane Impulse ab, die als Tinnitus-Geräusche wahrgenommen werden.
Den Forschern zufolge beruhen diese Veränderungen auf der Tendenz des Gehirns, die
Aktivitätsrate im System konstant zu halten. "Tinnitus gleicht in dieser
Hinsicht dem Phantomglied-Schmerz, den viele Amputierte empfinden",
so Bao.
Umstrukturierung ist
Vorteil
Doch Amputationen lassen das Gehirn nicht untätig. Fehlt etwa ein
Finger, so übernehmen teils Regionen, die für dessen Input zuständig
waren, Funktionen der Nachbarfinger. Ähnlich wird auch bei Tinnitus
die Hörregion umstrukturiert und der Bereich für die Wahrnehmung
niederer Frequenzen dehnt sich aus auf Regionen, in denen verlorene hohe
Frequenzen verarbeitet wurden. Veränderungen, die man bisher als
eine Ursache für Tinnitus hielt und rückgängig zu machen suchte, erklärt
Langguth. "Die neuen Ergebnisse lassen allerdings schließen, dass sie ein sinnvoller Versuch
des Gehirns sein könnten, Tinnitus zu bekämpfen."
Bestätigt sich diese Ansicht in weiteren Studien, werde man für künftige
Tinnitus-Therapien gezielt diese Umstrukturierung im Gehirn trainieren,
so Langguth. Studienleiter Bao schlägt noch andere Alternativen vor:
Künftig könnten auch Medikamente das spontane Abfeuern der Neuronen in
der Hörregion unterbinden. Die sonst für diese Hemmung zuständigen
Neuronen sind bei Tinnitus geschwächt, zeigten die Versuche. Um sie in
der klinischen Praxis gezielt ansprechen zu können, müssen jedoch erst
nicht-toxische Wirkstoffe gefunden werden.
Abstract der Studie unter
http://www.pnas.org/content/108/36/14974.abstract?sid=1ff83fff-f34a-4cb3-b09c-37da445f6da6
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