Boston/Bonn (pte/18.08.2009/12:50) -
Wenn Sport im Übermaß betrieben wird, kann dies zu körperlicher
Abhängigkeit führen. Das berichten Forscher der Tufts University
http://www.tufts.edu
in der Zeitschrift Behavioral Neuroscience. Sie konnten bei
übertrainierten Ratten auf einfache Weise Entzugserscheinungen
hervorrufen, die vom Rauschgift-Entzug bekannt sind. "Übermäßiges
Laufen hat Ähnlichkeiten mit der Drogeneinnahme", so die Forscher.
Ausnutzen könne man dies, indem das positive Gefühl des Sports in die
Therapie von Suchtkranken integriert werde.
Im Experiment beobachteten die
Wissenschaftler 80 Ratten für mehrere Wochen. Man ermöglichte den
Tieren während dieser Zeit, sich in einem Laufrad auszutoben, und
gliederte sie nach dem Grad ihrer Aktivität in Gruppen. Abschließend
verabreichte man ihnen entsprechend ihrem Körpergewicht eine Dosis des
Medikaments Naloxon, das man bei Opiat-Überdosis zum Hervorrufen
sofortiger Entzugserscheinungen einsetzt. Während faule Ratten kaum
reagierten, zeigten die sportlichen typische Entzugserscheinungen wie
Zittern, Krümmen oder Zähneklappern. Am stärksten war dieser Effekt
bei den Tieren, die ihr Laufrad am häufigsten betätigt hatten. Die
Studienautoren gehen davon aus, dass hier dieselben Prozesse im
Belohnungssystem des Gehirns abliefen wie bei drogenabhängigen Ratten.
Vor einer Verwässerung des Suchtbegriffs durch Gleichstellungen mit
Alkohol- oder Drogensucht warnt Volker Weissinger, Geschäftsführer des
Fachverbandes Sucht e.V.
http://sucht.de,
gegenüber pressetext. "Viele Verhaltensformen wie etwa Arbeit, Putzen,
Musik oder eben Sport müssten dann als Sucht bezeichnet werden, wenn
sie im Übermaß betrieben werden. Eine Abgrenzung von 'normalem'
Verhalten ist hier aber schwierig, zumal Höchstleistungen doch
mitunter - gerade im sportlichen und kulturellen Bereich -
gesellschaftlich anerkannt sind." Entscheidend für die Frage, ob eine
Abhängigkeit vorliegt, sei wieweit das eigene Verhalten kontrolliert
werden kann oder nicht. Kritisch sieht Weissinger die Situation zudem
dann, wenn etwa beim Trinken die Toleranzgrenze steigt oder
Sozialkontakte unter der exzessiven Ausübung eines Verhaltens
langfristig leiden.
Im Speziellen suchten die Forscher auch nach Hinweisen für die
Essstörung bei Sportlern, der sogenannten "Anorexica Athletica".
Menschen, die an dieser Störung leiden, betreiben exzessiv Sport, um
somit einen Abmagerungseffekt durch fehlende Essenseinnahme noch zu
steigern. Sowohl aktive als auch faule Ratten untergliederte man dazu
weiters in Gruppen, die nur zu einer Tageszeit Futter bekamen, während
die anderen während des gesamten Tagesverlaufs fressen konnten. Der
beabsichtigte Gewichtsverlust trat auch bei den fastenden Tieren ein.
Bei der Naloxon-Probe zeigte sich, dass die Tiere, die nur einmal am
Tag Futter bekamen und zugleich am meisten liefen, die insgesamt
stärksten Entzugserscheinungen entwickelten. "In Verbindung mit
anderen psychischen Störungen steht exzessiv ausgeübter Sport unter
einem ganz anderen Licht", betont auch Weissinger.
Grundsätzlich sieht der Suchtexperte das Glückserlebnis, das die
Aussendung von Endorphinen im Gehirn auch beim mäßig betriebenen Sport
auslösen kann, positiv. "Der Mensch strebt nach Glücksmomenten, die
ihn aus dem Alltag herausheben. Sport ist eine grundsätzlich gesunde
Form, um dies zu erreichen, da er das körperliche Wohlgefühl und die
Leistungsfähigkeit fördert." Die von den amerikanischen Studienautoren
vorgeschlagene Einbeziehung des Sports in Entwöhnungsprogramme gibt es
in der Praxis bereits. "Multimodal ausgerichtete Behandlungsprogramme
beinhalten etwa neben Psychotherapie, Ergotherapie, arbeitsbezogenen
Leistungen auch Sport und Bewegung. Viele Suchtkranke haben ihren
Körper über längere Zeit vernachlässigt und profitieren von solchen
Maßnahmen", so Weissinger. (Ende)
Quelle: Pressetext.de