Mainz (pte/07.08.2009/11:20) - Überschuldung geht mit einem hohen
Risiko für Übergewicht einher. Zu diesem Schluss kommen
Sozialmediziner der Universität Mainz
http://www.uni-mainz.de
im Fachjournal BMC Public Health. Sie untersuchten 9.000 Menschen, von
denen ein Zehntel von Privatinsolvenz betroffen war. Jeder Vierte aus
dieser Gruppe war aus medizinischer Sicht fettleibig, während dies nur
bei jedem zehnten Nicht-Überschuldeten zutraf. Menschen mit hoher
Verschuldung ernähren sich weniger gesund und suchen durch Essen
Trost, außerdem kommen häufig auch Freizeitaktivitäten und
Sozialkontakte zu kurz, so die Erklärung der Wissenschaftler.
Dass niedriges Einkommen oder
Arbeitslosigkeit die Ausprägung von Fettleibigkeit wesentlich
beeinflussen, ist aus allen Industrieländern bekannt. "Neu ist der
Aspekt, dass auch die Überschuldung als zusätzlicher Risikofaktor
berücksichtigt werden muss, falls es keine entsprechenden
Gegenmaßnahmen gibt", erklärt Studienautorin Eva Münster im
pressetext-Interview. Durch die Einmalbefragung könne man die
Ursachen-Wirkungs-Beziehung nicht eindeutig abklären, gibt die
Sozialmedizinerin zu bedenken. "Es ist auch möglich, dass Fettleibige
eher gefährdet sind, den Arbeitsplatz zu verlieren und dadurch in die
Überschuldungsfalle geraten. Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass
beide Aussagen gültig sind."
Geänderte Alltagsroutinen in Folge einer Überschuldung sieht Münster
als plausibelste Erklärung für das Phänomen. "Eine private finanzielle
Krise führt oft zum sozialen Rückzug, da man etwa, um Ausgaben
einzusparen, aus Sportvereinen austritt oder Hobbys nicht mehr
nachgeht. Weitere Faktoren sind Depression und Müdigkeit, zudem
überdenken es überschuldete Menschen aufgrund des Zuzahlungswesens in
Deutschland dreimal, bevor sie einen Arzt aufsuchen." Die angespannte
Lage vieler Haushalte angesichts der Finanzkrise wird unter diesem
Gesichtspunkt auch zu einem Gesundheitsproblem ganzer Familien. "Es
fehlt allerdings bisher völlig an Langzeitstudien, um zu klaren
Aussagen zu kommen."
Kritik übt die Public-Health-Expertin auch an der derzeit ungünstigen
Verteilung der Lebensmittelpreise. "Energiereiche Nahrungsmittel wie
Süßigkeiten oder fettige Snacks sind meistens billiger als
Nahrungsmittel mit geringerem Energiegehalt wie etwa Früchte oder
Gemüse. Wer in Armut lebt, ernährt sich daher meist ungesünder", so
Münster. Eine Niedrigpreiskampagne für gesunde Lebensmittel könne
diesem Ungleichverhältnis entgegenwirken. "Derzeit werden
Milliardenbeträge für Programme zur Übergewichts-Prävention
ausgegeben, die jedoch kaum zum Erfolg führen. Es wäre sinnvoll, in
kleinem Maßstab neue Modelle auszuprobieren."
Längst sei zudem ein anderer Umgang der Gesellschaft mit Überschuldung
fällig. "Zahlungsunfähigkeit gilt bei uns als Tabu und ist mit einem
Stigma belegt. Wenige Arbeitgeber sind bereit, Menschen nach einer
Überschuldung anzustellen, da man das Versagen in der Vergangenheit
ankreidet und die Fähigkeit zur Lebenswandlung aberkennt." Weitaus
besser gehe man mit diesem Problem in Irland um. "Irische Arbeitgeber
sehen die Bewerbung von Überschuldeten viel eher als Akt der
Tapferkeit und sind bemüht, ihnen eine Chance zu geben", so Münster.
In der Praxis der Schuldnerberatung kann der Gesundheitsaspekt bisher
kaum berücksichtigt werden. „Es wäre wünschenswert, wenngleich die
Ressourcen dafür zu knapp sind und Menschen in der Beratung zudem kaum
über ihre Ernährungsgewohnheiten sprechen wollen“, betont Alexander
Maly von der Schuldnerberatung beim Fonds Soziales Wien
http://www.schuldnerberatung-wien.at
gegenüber pressetext. Anstatt Gesamtlösungen zu bieten, könne man als
Berater bloß versuchen, den Betroffenen Druck zu nehmen, indem etwa
gemeinsam Lösungen für die Verhinderung einer Delogierung gesucht
werden. Gesundheitliche Probleme gebe es beim Klientel jedoch
zahlreiche, unter ihnen auch übermäßiges Übergewicht. "Armut ist dick,
und die Klienten der Schuldnerberatung zählen zur ärmsten Schicht.
Wahrscheinlich führen jedoch Gesundheitsprobleme ebenso zur Armut wie
dies umgekehrt der Fall ist", so der Experte. (Ende)
Quelle: Pressetext.de