Wien (pte012/10.10.2012/11:20) - Die meisten
Menschen verbringen mehr und mehr Zeit online. An das daraus
resultierende Doppelleben müssen wir uns aber erst noch gewöhnen und wie
diese virtuelle Parallelwelt aussehen wird, hängt davon ab, wer sich die
Kontrolle über die wachsenden Datenflut sichert. Wie sich die Dinge
momentan entwickeln, diskutierten hochkarätige Experten am Dienstagabend
im Rahmen der Vortragsreihe future.talks, die von der Telekom Austria
Group in Wien veranstaltet und dem krisengebeutelten Konzern wieder
einmal dringend benötigte positive Schlagzeilen bescheren wird.
"Alles wird komplizierter"
"Früher war alles einfacher. Damals sind wir
bei Bedarf zu den Informationen gegangen und nicht umgekehrt. Heute sind
wir gespalten zwischen virtueller und physischer Realität und jeder
Account bringt eine neue Identität mit sich. Das zunehmende Verlangen,
persönliche Informationen im öffentlichen Raum herzuzeigen, birgt
Gefahren. Der Schutz der Privatsphäre kann nur durch Zusammenarbeit von
Usern und Firmen gewährleistet werden. Diese neue Welt birgt aber auch
Chancen: Online wird jede Meinung hinterfragt", sagt Google Ideas
Director Jared Cohen.
Die Jugendlichen, die in dieser Welt
aufwachsen, werden online ein lückenlos dokumentiertes Leben führen und
daher nichts vergessen. Für Eltern bedeutet das eine neue
Herausforderung. "Für die Randgruppen der Gesellschaft und Dissidenten
in repressiven Regimen ergeben sich im virtuellen Raum ganz neue
Möglichkeiten, da sie sich frei von Unterdrückung bewegen können.
Allerdings erhalten auch Staaten Möglichkeiten zur lückenlosen
Überwachung an die Hand und Terroristen neue Ziele", so Cohen. Identität
werde im virtuellen Raum zunehmend eine Management-Aufgabe, so der
Google-Denker.
"Wer kontrolliert die Maschine?"
Um sich in der virtuellen Welt
zurechtzufinden, sind Menschen zunehmend auf Filter angewiesen. "Geräte
versorgen uns in Zukunft mit Informationen über unsere Umwelt. Ich halte
das für einen Rückfall in die Prä-Moderne, ein Universum, in dem die
Realität selbst mit uns zu sprechen scheint. Das Problem ist, dass die
Botschaft ideologisch aufgeladen ist. Die Technik tut, was das Gehirn
bei rassistischen Gedanken tut: sie zeigt uns Vorurteile. Die Frage ist,
wer diese Maschine kontrolliert", so Philosoph Slavoj Zizek. Zudem
verschiebe sich die Definition von öffentlichem und privatem Raum in der
virtuellen Welt, so der Denker.
"Es ist nicht der private Raum, der im
Internet verschwindet, sondern der öffentliche. Sogar in der
Online-Öffentlichkeit bewegen wir uns scheinbar privat. Einen
authentischen öffentlichen Raum zu schaffen, wird eine der
Hauptherausforderungen der digitalen Zukunft sein. Facebook und Co sind
dafür keine geeigneten Kandidaten, dort spiegeln sich lediglich
isolierte Narzissten gegenseitig. Das Internet ist eine offene Maschine,
über die Auswirkungen entscheiden wir durch unsere Beziehungen
zueinander. Für ein offenes Netz müssen wir aber kämpfen", so Zizek.
"Aufmerksamkeit als Öl der Gegenwart"
"Aufmerksamkeit ist der wertvollste Rohstoff
unserer Zeit. Das Angebot an Information explodiert gegenwärtig, die
Herausforderung ist, die wichtigen Dinge herauszufiltern. Dazu vertrauen
wir zunehmend auf Algorithmen. Diese zeigen uns die Dinge, von denen sie
glauben, dass wir sie wollen. Damit geben wir die Kontrolle über unsere
Aufmerksamkeit an ein Stück Code ab, das durch Werbung finanziert wird.
Google zeigt mittlerweile verschiedenen Personen verschiedene
Suchergebnisse, die Personbalisierung hat den ursprünglichen Gedanken
vom demokratischen Informationsfilter abgelöst. Verschwörungstheoretiker
bekommen jetzt Verschwörungstheorien", so Aktivist Eli Pariser.
Ein Problem der automatischen Filter sei,
dass sie Informationen hauptsächlich auf Basis der schnellen
Entscheidungen der User treffen. "Menschen tendieren dazu, Unterhaltung
sofort zu konsumieren, und hochwertigere Inhalte hinauszuschieben. Die
Algorithmen sehen aber nur, was ich zuerst klicke. So erkennen sie nur
das Verhaltens-Ich, nicht das Anspruchs-Ich. Facebook-Likes werden
leicht für erfolgreiche Marathonbewältigung gegeben, aber eignen sich
schlecht für schwer verdaubare Themen. Von diesen Entwicklungen
profitieren die Katzenvideos", sagt Pariser.
Den Glauben an ein Internet, das die Welt
demokratisiert, habe er vorerst ruhend gestellt, so Pariser. "Ich
dachte, die Online-Welt käme ohne Gatekeeper aus. Jetzt sieht es aber so
aus, dass Google, Facebook, Twitter und andere die Wächter der
Information sind. Sie treffen dieselben Entscheidungen wie die
Gatekeeper in den klassischen Medien des 20. Jahrhunderts, allerdings
ohne journalistische Ethik. Ein Facebook-Repräsentant sagte mir, es sei
nicht sein Job, wichtige Informationen an den User zu bringen. Wir
brauchen in Zukunft jenes Internet, das wir uns anfangs erhofft haben,
um die globalen Probleme zu bewältigen. Dazu müssen die Nutzer aber
Bürger sein und nicht Konsumenten", erklärt Pariser. |