Oslo/Münster
(pte001/10.07.2012/06:00) - Empfindet eine schwangere Frau Angst vor der
Entbindung, beeinflusst dies wesentlich das Geschehen im Kreißsaal. Der
Geburtsvorgang dauert bei ihr oft länger und medizinische Interventionen
sind häufiger, berichten Forscher im Fachblatt "BJOG". "Geburtsängste
von Schwangeren haben zugenommen - obwohl sich Hygiene, Ernährung und
medizinische Versorgung enorm weiterentwickelt haben", sagt die Hebamme
und Diplom- Pädagogin Lioba Zeine im pressetext-Interview.
Ängstliche brauchen
länger
Die
Wissenschaftler der Universität Oslo http://uio.no testeten 2.206
Schwangere in der 32. Woche mit einer Ängste-Skala. Untersucht wurden
nur Frauen, die nach Möglichkeit natürlich entbinden wollten, wobei die
Hälfte Erstgebärende waren. Der Vergleich zeigte: Bei ängstlichen Müttern - sie
machen laut den Forschern fünf bis 20 Prozent der Schwangeren aus -
dauert die Geburt ab drei Zentimeter Muttermund-Öffnung anderthalb
Stunden länger als bei Zuversichtlichen. Zudem sind Einleitungen,
Geburtswerkzeuge oder eine Not-Sectio im Vergleich öfter nötig.
Immerhin
schafften 89 Prozent der Ängstlichen und 93 Prozent der Kontrollgruppe
eine Vaginalgeburt, 25 bzw. 44 Prozent sogar ohne jegliche Eingriffe.
Studienleiterin Samantha Salvesen Adams sieht die Ergebnisse als
"Puzzlestück des Grenzgebietes zwischen Psychologie und Gynäkologie":
"Es geht hier nicht um die Persönlichkeit der werdenden Mutter, sondern
um die Ärzte und Hebammen. Es ist gut, wenn sie über Ängste der Frauen
Bescheid wissen und darauf eingehen können."
Kindsgesundheit ist
Angst Nr. 1
"Eine längere
Geburt ist nicht zwangsläufig problematischer als eine kurze, wenngleich
der Druck auf medizinische Eingriffe steigt. Die Ergebnisse sind dennoch
ein Hilferuf: Schwangere brauchen mehr psychosoziale Unterstützung",
kommentiert Zeine. Studien zeigen, dass die Angst der Schwangeren
meist dem Kind gilt. "60 Prozent befürchten eine gesundheitliche
Beeinträchtigung oder Missbildung. An zweiter Stelle liegt Angst vor dem
Geburtsschmerz, dahinter vor Ungewissheit, Alleinsein, Kontrollverlust
oder Kraftlosigkeit."
Die
Geburtserfahrung ist in unserem Kulturkreis selten positiv besetzt und
Berichte darüber oft negativ aufgebauscht, analysiert Zeine die
Hintergründe. Zudem schafft auch die Schwangerenvorsorge nur selten ein
lockeres Verhältnis zur Geburt, da der Fokus auf der Gesundheit des
Kindes liegt. Daneben sieht die Expertin eine "bedenkliche" Technologisierung
und Pathologisierung von Schwangerschaft und Geburt. "Man sieht Geburt
heute als potenziell nicht funktionierend statt als natürlichen Prozess.
Dabei zielt die Natur nicht auf die Vernichtung, sondern auf das
Überleben von Mutter und Kind ab."
Schattenseite der
Diagnostik
Als Problem
sieht Zeine auch das Überborden
der Pränataldiagnostik. "Sie erzeugt die Illusion des 'gesunden Kindes'
und lässt glauben, man könne auf 'Nummer Sicher' gehen. Vieles
was erkennbar ist, ist jedoch nicht behandelbar." Damit wachse der Druck
auf Schwangere und führe manchmal zu wenig reflektierten Entscheidungen.
Etwa bei chromosomalen Auffälligkeiten brechen neun von zehn Frauen die
Schwangerschaft ab. "Wir können immer weniger mit Krankheit umgehen. Das
zeigt sich etwa, wenn Frauen, die trotz Abnormalitäten die Geburt wagen,
Kommentare wie 'Muss so was heute noch sein?' zu hören bekommen."
Für den Umgang
mit Geburtsängsten rät Zeine den Schwangeren, sich dieser zunächst
bewusst zu werden und Informationen einzuholen - etwa, mit welcher
Wahrscheinlichkeit das Befürchtete eintritt oder wie man im Fall des
Falles damit leben könnte. Schließlich gelingt ein Abbauen auch dadurch,
wenn man konkrete Vorkehrungen trifft. |