Boston/Aachen (pte/05.02.2009/06:10) - Erfahrungen, die eine Mutter im
Laufe ihres Lebens macht, können an die Kinder weitervererbt werden.
Diese der klassischen Genetik widersprechende Behauptung entstammt
einem Experiment von Humangenetikern der Tufts University
http://www.tufts.edu,
das im Journal of Neuroscience veröffentlicht wurde. Mäusemütter
vererben nicht nur einen Gendefekt, sondern auch Erfahrungen von
dessen Therapie an die Jungen weiter, bestätigten Verhaltensstudien
und physiologische Untersuchungen der Gehirnzellen der Tiere. Es gibt
demnach Erbinformationen, die vom eigentlichen DNA-Code unabhängig
sind und erst im Laufe des Lebens durch Umwelteinflüsse entstehen,
schließen die Forscher.
Die US-Forscher setzten weibliche Versuchsmäuse ein, die aufgrund
einer Genstörung ein schlechtes Gedächtnis hatten. Einen Tag, nachdem
man ihnen an einem bestimmten Ort im Labor einen Stromschlag
verabreicht hatte, zeigten sie keine Angst mehr vor dieser Stelle, im
Gegensatz zu den gesunden Mäusen. Diese Gedächtnisschwäche heilte
jedoch vollständig, wenn die Mäuse gleich nach der Geburt zwei Wochen
lang in eine Umgebung mit bunten Spielsachen, viel Bewegung und in die
Gesellschaft anderer Mäusen gesetzt wurden. Durch diese Anregung des
Gedächtnisses normalisierte sich auch die Aktivität in der betroffenen
Hirnregion für länger als drei Monate. In dieser Zeit bekamen die
therapierten, nun erwachsenen Mäuse ihren ersten Wurf. Obwohl die
Jungtiere denselben Gendefekt wie ihre Mütter aufwiesen und gleich
nach der Geburt von dieser getrennt wurden, zeigte deren Therapie auch
bei ihnen Wirkung. Über einen Monat lang funktionierte ihr Gedächtnis
normal - womit die Übertragung der Mutter auf die Kinder als bestätigt
gilt.
Wie diese Weitergabe funktioniert, erklärt Klaus Zerres, Direktor des
Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Aachen
http://www.ukaachen.de
, im pressetext-Interview. "Die DNA ist durch im Lauf des Lebens
modifizierte Methylgruppen organisiert, die über Aktivierung oder
Abschaltung eines Gens entscheiden. Bei der anfänglichen
Reorganisation des Erbguts eines Embryos werden diese Methyle nicht
vollständig abgebaut. Scheinbar können die Aktivierungsmuster somit
weitervererbt werden", so Zerres. Für die Weitergabe des Erlernten an
die Nachfolgegeneration gibt es bereits mehrere Befunde. Zerres
verweist auf länger zurückliegende Studien von Laborratten, die nach
einer Zeit der Unterernährung aufgrund Nahrungsmangels ihr
Untergewicht an die nächste und übernächste Generation weitergaben.
Auch medizinische Beobachtungen der niederländischen Bevölkerung
deuten in diese Richtung. Nach einem extremen Hungerwinter im Krieg
wurden auch in der Nachkriegsgeneration Hollands Neigungen zu
Untergewicht sowie ein daraus resultierendes höheres Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgestellt.
Direkte Rückschlüsse der Tierversuche auf den Menschen seien aufgrund
der höheren Komplexität jedoch nicht ohne weiteres möglich. "Beim
Menschen sind derart viele soziale Strukturen relevant, dass der
Nachweis methodisch schwierig ist", betont Zerres. Würden sich jedoch
die bisherigen Hinweise der genetischen Weitergabe von Erlerntem auch
beim Menschen bestätigen, hätte das ernste Konsequenzen. "Das würde
heißen, dass sich das Verhalten oder die Ernährung der Eltern auf die
Nachkommen auswirkt. Etwa das Verhalten der Väter würde somit
plötzlich viel mehr in Verantwortung genommen werden", so Zerres.
Zugleich warnt er vor einem unberechtigten Hochschaukeln von
Streitthemen wie etwa die Frage, ob die zunehmende Übergewichtigkeit
auch genetisch auf die Fernsehgewohnheiten zurückzuführen sei. "Wir
haben es kaum jemals mit monokausalen Effekten zu tun", betont der
Aachener Humangenetiker.
Bisher steckt die transgenerationale Epigenetik, wie das
Forschungsgebiet genannt wird, noch in Kinderschuhen und kämpft um
seine Anerkennung. "Gene machen vieles, jedoch nicht alles, daher ist
die Epigenetik keine Absage, sondern eine Ergänzung der klassischen
Genetik. Jedenfalls scheint jedoch die Vererbung noch flexibler und
modifizierbarer vor sich zu gehen als man bisher angenommen hat", so
Zerres abschließend zu pressetext. (Ende)
Quelle: Pressetext.de