Magdeburg (pte/14.08.2009/15:30) -
Das menschliche Gehirn braucht nicht 200, sondern bloß 85
Millisekunden, um bei eintreffender Information den Unterschied
zwischen "bekannt" oder "neu" festzustellen. Das entdeckten
Psychologen und Neurologen der Universitäten Magdeburg
http://www.med.uni-magdeburg.de
und London
http://www.ucl.ac.uk.
In der Zeitschrift "Current Biology" korrigieren sie bisherige
Studien, die den Menschen stets eine mehr als doppelt so langsame
Unterscheidungsfähigkeit als Menschenaffen bescheinigt hatten. Neue
Experimente mit Magnetenzephalographie zeigten, dass diese Reaktion
gleich schnell abläuft, wenn man Menschen eine Belohnung in Aussicht
stellt, wie dies bisher auch bei Studien mit Affen geschah.
Die Geschwindigkeit
der Gehirnreaktion auf neue Inhalte stellte die Wissenschaft bisher
vor ein großes Rätsel. Denn zeigte man Menschen und Affen Bilder, die
es per Knopfdruck als "schon gesehen" oder "neu" zu beurteilen galt,
gelang den Tieren diese Unterscheidung im Gehirn nach 70 bis 80
Millisekunden, während Menschen etwa 200 Millisekunden benötigten. Nun
konnte bewiesen werden, dass diese Abweichung auf einen Fehler im
Versuchsaufbau zurückging. Denn während Menschen zur Aufgabenstellung
stets verbale Anweisungen bekommen hatten, erhielten Affen als
Motivation Saft oder Futter. Bezahlten sie die menschlichen Probanden
für korrekte Antworten, war die Reaktion ähnlich schnell wie bei den
Tieren.
"Wir nehmen an, dass diese schnellere Reaktion darauf zurückgeht, dass
das Gehirn bei angekündigter Belohnung über höhere Konzentrationen
Dopamin verfügt", berichtet Studienleiter Emrah Düzel im
pressetext-Interview. Möglich sei sowohl, dass das Glückshormon für
einen besser erregbaren Zustand die Nervenzellen sorge, als auch dass
es diese entscheidungsfreudiger mache. Die jüngsten Erkenntnisse
erklären auch, warum viele biochemische Prozesse wie die
Dopaminausschüttung bereits nach 200 Millisekunden ablaufen. "Jetzt
wurde klar, dass das Gehirn auch komplexe Entscheidungen aufgrund
seiner noch höheren Schnelligkeit treffen kann. Bei Erwartung einer
Belohnung ist das Dopaminniveau in allen Hirnregionen höher, außerdem
sorgt das Entdecken des Neuen für zusätzliches Dopamin." Viele
grundlegende Details der beteiligten Gehirnprozesse seien jedoch
bisher nicht entschlüsselt, gibt Düzel zu bedenken.
Wichtig für den Menschen ist die Unterscheidung von Neuem seit seinen
Ursprüngen. "In der Evolution setzten sich diejenigen durch, die
bekannte und unbekannte Nahrung oder Feinde am schnellsten
unterscheiden konnten. Ein neues Signal bedeutet immer Veränderung,
und ein schnelles Erkennen beschleunigt die Reaktion darauf", so Düzel.
Neues verknüpft das Gehirn mit potenzieller Belohnung, die den
Menschen zum näher Hinsehen motiviert. Bei Belohnung ist die
Dopaminreaktion weit stärker als bei Gefahr. "Wäre das nicht so, hätte
sich der Mensch nie aus der Höhle getraut, Kolumbus hätte nie einen
neuen Seeweg gesucht und der Marsflug wäre keine Überlegung für uns."
Bei alten Menschen sterben Dopaminneurone ab und die Konzentration des
Botenstoffes sinkt, was mit Gedächtnisverlust, deutlichen
Veränderungen der Motivation, dem Verlust des Verlangen nach Neuem und
häufig auch mit Depressionen verbunden sein kann. "Die Ergebnisse sind
daher besonders für die Demenz- und Altersforschung relevant", so der
Magdeburger Neurologe. (Ende)
Quelle: Pressetext.de