Wenn Zwölfjährige nichts Süßes mehr essen...
DGKJP: Früherkennung bei Magersucht immer wichtiger
Die zwölfjährige Tochter verschmäht auf einmal
Süßigkeiten. Später lässt sie immer öfter das Mittagessen weg und joggt
mehrmals am Tag. Bei solchen Veränderungen sollten Eltern hellhörig
werden: Sie können Symptome einer Magersucht sein. Da die körperlichen
Folgen des Hungerns bei jungen Patienten meist schwer wiegender sind als
bei Erwachsenen, rät die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie (DGKJP) Eltern, sofort professionelle Hilfe
aufzusuchen.
Bereits ein Drittel bis die Hälfte von neunjährigen Mädchen in England
und den USA wollen dünner sein als sie sind, 15 bis 20 Prozent von ihnen
haben bereits eine Diät durchgeführt. „Für Deutschland liegen zwar noch
keine genauen Zahlen vor, dennoch wird deutlich, dass immer mehr Kinder
unter 14 Jahren unter Essstörungen wie Magersucht leiden“, betont Prof.
Dr. Beate Herpertz-Dahlmann von der DGKJP. „Da Kinder eine bedeutend
geringere Fettmasse als Erwachsene haben, sind die körperlichen Folgen
bei den frühen Essstörungen meist viel gravierender. Umso wichtiger ist
es, dass Eltern auf die ersten Symptome achten.“ Die vorwiegend
weiblichen Betroffenen sind meist besonders introvertiert,
überdurchschnittlich intelligent und zeigen Ängste und Hemmungen.
Zunächst versuchen sie, ihr Gewicht ausschließlich durch
Nahrungseinschränkung zu reduzieren. In der Regel wird als Erstes auf
Süßigkeiten und andere kalorienreiche Nahrungsmittel verzichtet. Danach
werden oft fleischhaltige Lebensmittel und zuletzt, beginnend mit dem
Mittagessen, ganze Hauptmahlzeiten ausgelassen. Manchmal weigern sich
die Mädchen auch, Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Viele Betroffene
entwickeln zusätzlich eine exzessive körperliche Aktivität, meist in
Form von Joggen, Gymnastik oder Fahrradfahren. „Einige Patientinnen
nehmen langsam und kontinuierlich ab, andere verlieren innerhalb weniger
Wochen 25 Prozent ihres Gewichts“, so Prof. Herpertz-Dahlmann.
Gefahr psychischer Störungen
Doch anhaltende Hungerzustände verursachen nicht nur körperliche
Veränderungen wie Abmagerung, akute Austrocknungsgefahr auf Grund von
Wasserverlust und Langzeitschäden durch Osteoporose. Die DGKJP betont,
dass sie sich auch auf die Psyche auswirken: So sind Zwangserkrankungen
wie Ordnungs- und Kontrollzwänge, Angststörungen wie soziale Phobie und
depressive Verstimmungen typische Begleitsymptome. Auch Schlaflosigkeit
und Konzentrationsstörungen können auftreten. „Eine Früherkennung der
Symptome ist nicht nur wegen der körperlichen und seelischen
Langzeitschäden besonders wichtig, sie erhöht zudem die Heilungschancen.
Diese sind bei jungen Patienten wesentlich höher als bei Erwachsenen“,
so Prof. Herpertz-Dahlmann.
Therapien: Einbeziehung der Familie sinnvoll
Erster Schritt in der Behandlung essgestörter Patienten muss die
körperliche Rehabilitation und Ernährungstherapie sein. Dazu zählen die
Behandlung der körperlichen Folgen des Hungerns sowie eine
kontinuierliche, nicht zu schnelle Gewichtszunahme. Hinzu kommt eine
Normalisierung des Essverhaltens, die durch Ernährungsberatung,
Kochgruppen und gemeinsame Restaurantbesuche erzielt wird. Auch das so
genannte „Modellessen“ mit Betreuer hat sich als effizient erwiesen. Da
sich jüngere Betroffene oft weigern, ihr Verhalten und ihre
Überzeugungen in Frage zu stellen, sind die herkömmlichen
psychotherapeutischen Behandlungsformen für sie weniger geeignet. Sehr
sinnvoll bei Kindern und Jugendlichen ist dagegen die Einbeziehung der
Familie. „Dabei sollte die Familie nicht als Ursache der Essstörung,
sondern vielmehr als wirksame Ressource für deren Überwindung angesehen
werden“, so Prof. Herpertz-Dahlmann von der DGKJP. Zentrales Ziel der
Therapie sollte die Stärkung des Selbstwertgefühls sein. Dazu bieten
sich neben der individuellen Psychotherapie ergänzend körperorientierte
Verfahren wie Entspannungstraining und Körpererfahrung, Ergo- bzw.
Kunsttherapie sowie Musiktherapie an.
Quelle:
DKJP |