Oft unterschätzt:
Kranke Eltern belasten ihre Kinder psychisch DGKJP fordert mehr
Angebote für betroffene Familien
Kinder schwerkranker Eltern sind um ein Vielfaches häufiger von
psychischen Erkrankungen betroffen als Kinder gesunder Eltern. Sie
leiden unter Depressionen, Albträumen oder schweren Trennungsängsten,
wenn Mutter oder Vater für längere Zeit ins Krankenhaus müssen oder
sogar sterben. Diese Kinder benötigen die besondere Aufmerksamkeit von
Ärzten und Therapeuten, damit seelischen Traumatisierungen vorgebeugt
werden kann, betont die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP).
Bis zu 15 Prozent der Mädchen und Jungen erleben nach DGKJP-Angaben
während ihrer Kindheit, dass Mutter oder Vater an Krebs erkranken, einen
Herzinfarkt erleiden oder chronisch von Rheuma, Diabetes oder
Dauerschmerzen betroffen sind. „Dies belastet Kinder in vielerlei
Hinsicht“, erläutert Prof. Peter Riedesser von der DGKJP. „Sie sehen und
hören Dinge, die sie noch nicht verarbeiten können, erleben
Krankheitssymptome und Nebenwirkungen der Therapien hautnah mit und
bemerken die erschrockenen Reaktionen der Eltern und Angehörigen. Meist
entwickeln sie starke Schuldgefühle und sind in großer Sorge um die
Zukunft der Familie.“
Auf die außerordentlichen Belastungen reagiert jedes Kind anders: Einige
lutschen wieder am Daumen oder nässen ins Bett, andere werden depressiv
und ziehen sich immer weiter zurück, wieder andere reagieren mit Sucht-
und selbstverletzendem Verhalten. Bei größeren Kindern und Jugendlichen
kommt die Angst, selbst krank zu werden, hinzu – besonders dann, wenn es
sich um eine vererbbare Erkrankung handelt. So kann der Brustkrebs der
Mutter für die heranwachsende Tochter zu schweren Störungen hinsichtlich
der eigenen Weiblichkeit und Sexualität führen.
Eine ihren Nöten angemessene Beachtung finden die Kinder nur in den
wenigsten Fällen. Prof. Riedesser: „Da die elterliche Erkrankung im
Zentrum des familiären Alltags steht, treten Kinder mit ihren
vielfältigen Bedürfnissen häufig in den Hintergrund. Sie sind auf sich
allein gestellt, leisten psychische Schwerstarbeit und sind damit oft
überfordert.“ Häufig werden die Kinder viel zu früh erwachsen: Sie
übernehmen schon in sehr jungen Jahren Verantwortung für die kranken
Eltern und fühlen sich selbst nicht mehr behütet und geschützt. Ihre
Hilferufe verhallen jedoch oft ungehört.
Die DGKJP fordert daher ein besseres Betreuungs- und Beratungsangebot
für Kinder schwerkranker Eltern. Ärzte und Angehörige sollten ihnen mehr
Aufmerksamkeit schenken, offen und altersgemäß mit ihnen über die
Erkrankung der Eltern sprechen. Diese vorbeugende psychologische Hilfe
sei notwendig, um Sorgen und Ängsten wirksam zu begegnen. „Unser
medizinisches Versorgungssystem muss sensibel werden für die
spezifischen Gefährdungen und Bedürfnisse der betroffenen Kinder. Es ist
zu hoffen, dass ein entsprechendes Behandlungskonzept in nicht allzu
ferner Zukunft eine Selbstverständlichkeit sein wird“, sagt Prof.
Riedesser.
Beratungsstelle in Hamburg eingerichtet
Am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) wurde mit Unterstützung der
EU eine Beratungsstelle „Kinder körperlich kranker Eltern“ eingerichtet.
Das Angebot richtet sich an Familien mit erkrankten Eltern und
minderjährigen Kindern. Hier wird in Einzel-, Eltern- und
Familiengesprächen nach Wegen gesucht, wie das Kind in der schwierigen
Situation unterstützt werden kann. Etwa 120 Familien haben hier seit der
Gründung vor vier Jahren Hilfe gesucht. Prof. Riedesser: „Beginnt die
Betreuung frühzeitig, reicht meistens eine vorübergehende unterstützende
Begleitung aus, um die Kinder wieder ins seelische Gleichgewicht zu
bringen und die Eltern für die Bedürfnisse ihrer Kinder zu
sensibilisieren.“
Quelle:
DKJP |