Tic-Störungen sind weit verbreitet
Fast jeder achte Grundschüler schneidet
unwillkürlich Grimassen oder zuckt mit den Muskeln
Tics, bei denen Betroffene plötzlich
ungewöhnliche Bewegungen ausführen oder merkwürdige Laute von sich
geben, sind im Kindes- und Jugendalter weit verbreitet. Nach Angaben der
Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie (DGKJP) leiden bis zu zwölf Prozent der Kinder im
Grundschulalter an Tic-Störungen.
Kinder mit
Tic-Störungen können nicht verhindern, dass sie permanent mit den Augen
blinzeln, urplötzlich Grimassen schneiden, mit den Armen zucken, sich in
einem fort räuspern, ohne Unterlass grunzen oder schmatzen. „Bei den
Tics handelt es sich um unwillkürliche, meist plötzlich einschießende
Bewegungen oder Laute, die immer wieder in gleicher Weise auftreten“,
erläutert Prof. Aribert Rothenberger von der DGKJP.
Meist machen sich
motorische Tics erstmals mit sechs oder sieben Jahren im Gesichtsbereich
bemerkbar, unwillkürliche Lautäußerungen setzen einige Jahre später
ein. Die Tics können mehrmals täglich in anhaltenden Serien über einen
langen Zeitraum auftreten, sie können aber auch für Wochen und Monate
vollständig verschwinden, bis sie sich unvermittelt wieder einstellen.
Bei drei bis vier Prozent der Grundschüler sind die Tics chronisch, bei
bis zu zwölf Prozent vorübergehend.
Wer Tic-Störungen
hat, ist oft auch von anderen Verhaltensauffälligkeiten beeinträchtigt.
50 bis 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind von einer
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und damit
einhergehenden Lernschwierigkeiten betroffen; viele sind
niedergeschlagen und ängstlich, können schlecht schlafen oder leiden
unter Zwangsstörungen. Oft ziehen sie sich aus Scham zurück und haben
Schwierigkeiten im Kontakt zu Gleichaltrigen. Sie werden gehänselt,
abgelehnt und ausgegrenzt. Dies auch, weil sich Klassenkameraden nicht
vorstellen können, dass Tics unwillkürlich auftreten. Manchmal wird den
Betroffenen vorgeworfen, sie wollen sich in den Mittelpunkt stellen.
Die bisweilen extreme
Form von Tic-Störungen wird Tourette-Syndrom genannt. Sie schließt
selbstverletzendes Verhalten etwa durch Schläge gegen Brustkorb oder
Kopf sowie das Ausstoßen obszöner Worte ein. Nach DGKJP-Angaben leiden
unter der kaum bekannten neuropsychiatrischen Erkrankung über 40.000
Kinder und Erwachsene in Deutschland.
In den meisten Fällen
lassen sich Tics gut behandeln. Häufig verschwinden sie mit der Zeit
auch von allein. Die Therapiemöglichkeiten sind vielfältig und sollten
sich immer an der Schwere der Symptome und den Bedürfnissen von Patient
und Eltern orientieren. Prof. Rothenberger: „Dazu gehören zunächst
einmal fachliche Informationen über Art und Verlauf der Erkrankung und
die damit verbundenen Probleme, Beratung und Schulung des Patienten,
seiner Eltern und eventuell weiterer Bezugspersonen wie Lehrer.“ Die
Therapie erfolgt in aller Regel ambulant; sie umfasst
verhaltenstherapeutische Verfahren mit Entspannungstechniken und
Wahrnehmungstraining sowie, falls erforderlich, eine medikamentöse
Behandlung mit so genannten Neuroleptika.
Da viele Betroffene
ihre Tics kurzzeitig unterdrücken können, lernen sie
verhaltenstherapeutische Techniken, um ihre Tics besser zu
kontrollieren. „Der Erfolg der Behandlung ist stark von der Mitarbeit
der Patienten abhängig. Sind sie entsprechend motiviert, können gute
Ergebnisse erzielt werden“, so Prof. Rothenberger. Insgesamt bessern
sich laut DGKJP die Tics bei zwei Dritteln der Kinder im
Erwachsenenalter deutlich oder verschwinden fast ganz.
Ursachen unklar
Wie es zu
Tic-Störungen kommt, ist nicht endgültig geklärt. „Nach derzeitigem
Stand der Forschung gehen wir von einer Fehlfunktion im Hirnstoffwechsel
aus. Der Neurotransmitter Dopamin, der für die Informationsverarbeitung
zwischen den Hirnzellen verantwortlich ist, ist bei Patienten mit
Tic-Störungen überaktiv. Eventuell sind auch weitere Botenstoffe wie
Serotonin beteiligt“, erläutert Prof. Aribert Rothenberger von der DGKJP.
Vor allem bei innerer Erregung wie Ärger und Freude kann es zu heftigen
neuronalen Entladungen und damit zu einer Verstärkung der Tics kommen.
Oft kündigen sich Tics durch sensomotorische Vorgefühle wie Kitzeln,
Stechen, Jucken, Muskelverspannungen oder durch erhöhte innere
Anspannung und Unruhe an.
Quelle:
DKJP |