Sie fühlen sich hässlich und sind überzeugt,
dass alle anderen Menschen genauso über sie denken. Sie leben in dem
Irrglauben, nur eine Schönheitsoperation könne ihnen helfen. Vor allem
Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren sind von der befürchteten
Hässlichkeit, der so genannten Dysmorphophobie oder auch
Schönheitshypochondrie, betroffen. Die Erkrankung, die oft begleitet
wird von Depressionen, Essstörungen, Ängsten und Schamgefühlen, bleibt
nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) viel zu
häufig unerkannt.
„Bei der
Dysmorphophobie handelt es sich um eine meist stark ausgeprägte
psychische Erkrankung, in deren Verlauf sich viele Betroffene
vollständig zurückziehen und sogar Suizidversuche unternehmen“,
erläutert Dr. Claudia Mehler-Wex von der DGKJP. „Die Patienten
beschäftigen sich übermäßig mit ihrem Körper, insbesondere konzentrieren
sie sich auf vermeintliche Defekte an Haut, Haaren, Geschlechtsorganen
oder im Gesicht. Die Angst, stark entstellt zu sein, ist dabei völlig
unbegründet: Andere Menschen können den angeblichen körperlichen
Missstand gar nicht oder nur minimal erkennen.“
Bis zu fünf Prozent der
Bevölkerung leiden mindestens ein Mal im Leben unter dem
Hässlichkeitswahn, besonders junge Mädchen sind von der krankhaften
Vorstellung eingenommen, dass sie zum Beispiel zu dicke Beine, einen zu
kleinen Busen oder eine schiefe Nase haben und deshalb von allen
angestarrt und abgelehnt werden. Sie stehen jeden Tag stundenlang vor
dem Spiegel, um ihren Körper zu überprüfen und nach Möglichkeiten zu
suchen, wie der vermeintliche Makel mit Kleidung oder Schminke vertuscht
werden kann. In der übrigen Zeit kreisen die Gedanken beinahe
ausschließlich um die körperliche Beschaffenheit. Der Alltag bleibt
dabei auf der Strecke: Viele gehen aus Angst und Scham kaum noch zur
Schule oder zur Arbeit, treffen sich nicht mehr mit Freunden.
Über die Ursachen ist
nur wenig bekannt. Eine genetische Veranlagung für psychische
Erkrankungen könnte eine Rolle spielen. Geringes Selbstbewusstsein,
Hänseleien oder ein traumatisches Lebensereignis können bewirken, dass
jemand seinem Äußeren übermäßige Aufmerksamkeit schenkt. „Das in den
Medien propagierte Schönheitsideal und die immer größer werdende
gesellschaftliche Akzeptanz von ästhetischer Chirurgie tragen ebenfalls
zur Entstehung von Dysmorphophobie bei“, betont Dr. Mehler-Wex von der
DGKJP.
Schönheitsoperation hilft selten
Die meisten Betroffenen
suchen ärztliche Hilfe – jedoch nicht beim Psychologen oder
Psychotherapeuten, sondern beim Hautarzt oder Schönheitschirurgen. Etwa
die Hälfte der Patienten hat einer Studie zufolge bereits mindestens
zwei dermatologische Behandlungen etwa gegen Haarausfall oder Akne
hinter sich oder zwei und mehr Schönheitsoperationen an Nase, Kinn,
Brust oder Zähnen. Der Erfolg solcher Eingriffe ist minimal: Nur 23
Prozent der Patienten spürten eine subjektive Verbesserung; oft waren
sie unzufrieden mit dem Ergebnis, oder das Empfinden eines Makels
verschob sich einfach auf einen anderen Bereich des Körpers.
„Vor allem bei jungen
Mädchen wird die Erkrankung sehr häufig übersehen, weil das wahre Ausmaß
der psychischen Belastung meist schamhaft verschwiegen wird“, erklärt
Dr. Mehler-Wex. Hier seien kosmetisch-hautärztliche und
ästhetisch-chirurgische Einrichtungen gefordert, konkreter nachzufragen
und die Patientinnen gegebenenfalls in kinder- und jugendpsychiatrische
Behandlung zu überweisen. Zunächst sollten dort die psychischen und
körperlichen Befindlichkeiten geprüft werden, um andere Erkrankungen
(Depressionen, Psychosen) auszuschließen. Mit einer intensiven
Verhaltens- und Psychotherapie, eventuell begleitet von einer
vorübergehenden medikamentösen Unterstützung mit Antidepressiva, kann
nach Angaben der DGKJP einem Großteil der Patienten geholfen werden.
„Doctor Shopping“ und
Selbstverstümmelung
Der Begriff
Dysmorphophobie leitet sich aus dem Griechischen ab („Missgestaltsfurcht“)
und wurde bereits 1891 von dem italienischen Psychiater Enrico Morselli
geprägt. Doch erst 1987 wurde das Syndrom als eigenständige psychische
Erkrankung anerkannt. Viele Patienten unterliegen der wahnhaften, von
anderen nicht in diesem Ausmaß nachvollziehbaren Vorstellung, in einem
bestimmten körperlichen Bereich derart entstellt zu sein, dass ihnen nur
eine plastische Operation helfen kann. Sie ziehen von Arzt zu Arzt („doctor
shopping“), bis sie jemanden finden, der sie operiert. Der DGKJP sind
Fälle bekannt, bei der sich Patienten die Nase zertrümmerten oder
Brustwarzen abschnitten, um den gewünschten Eingriff zu erhalten. Der
aggressive Hass gegen sich selbst, begleitet von schweren Depressionen,
führt zu Selbstmordgedanken und -versuchen: Etwa ein Prozent der
Betroffenen nimmt sich das Leben.
Quelle:
DKJP |