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Fußball-Fans, die mit ihrer Mannschaft fiebern, Kinofilme, die zu Tränen
rühren, Zeitungsberichte, die das Schicksal der "Promis" so hautnah
vermitteln, als sei man selbst betroffen: In solchen Momenten sind im
Gehirn spezielle Zellen aktiv, die Forscher als Spiegelneurone
bezeichnen. Diese Zellen erklären die soziale Isolation von autistischen
Kindern und weitere psychologische Phänomene, wie ein Artikel in der DMW
Deutschen Medizinischen Wochenschrift (Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
2006) zeigt. Außerdem könnten diese Zellen bei der Behandlung von
Schlaganfällen helfen.
Vor zehn Jahren hatte der italienische
Forscher Giacomo Rizzalatti von der Universität Pisa die Spiegelneurone
bei Experimenten mit Affen entdeckt. Diese speziellen Nervenzellen in
der Großhirnrinde werden kurz vor einer Handlung, also in der
unmittelbaren Planungsphase aktiv. Überraschenderweise „feuerten“ die
Zellen nicht nur, wenn die Tiere selbst die Handlung durchführten,
sondern auch, wenn sie andere Tier bei der gleichen Handlung
beobachteten. Inzwischen wurden diese Phänomene auch beim Menschen
beobachtet, wo sie eine Reihe psychologischer Phänomene erklären, welche
Professor Joachim Bauer von der Universität Freiburg als
"zwischenmenschliche Resonanz" bezeichnet: "Wenn Menschen in anderen
etwas zum klingen bringen, äußere Signale uns etwas über den inneren
Zustand des anderen verraten", dann sind laut Professor Bauer
Spiegelneurone im Spiel, wie folgendes Experiment belegt. Bei Frauen
wurde die Nerventätigkeit des Gehirns untersucht, während sie durch
elektrische Reize Schmerzen an der rechten Hand verspürten. Anschließend
sahen die Frauen dabei zu, wie ihren Männern der Schmerzreiz zugeführt
wurde. Es zeigte sich, dass bei den Frauen in beiden Situationen die
gleichen Nerverzellen im Gehirn aktiv waren. Bauer betrachtet die
Spiegelneuronen daher als wichtigen Träger von Mitgefühl und Mitleiden
der Menschen untereinander.
Ohne diese Spiegelneurone sind nach
Ansicht der Hirnforschung wichtige soziale Interaktionen nicht möglich.
Es kommt zum Autismus. Der Autismus ist eine organische Hirnkrankheit,
die zur sozialen Isolation führt. Die Kinder sind oft hoch intelligent,
scheinen aber kein Interesse an anderen Menschen zu haben. Tatsächlich
feuern bei autistischen Kindern die Spiegelneurone im Gehirn umso
schwächer, je stärker die Kinder sich sozial isolieren.
Professor Bauer befürchtet, dass sich
auch Erziehungsfehler negativ auf das "Training der Spiegelneurone" in
der Kindheit auswirken könnten. Zwischenmenschliche Defizite drohen,
wenn Computer oder Video bei Kindern den lebenden Partner ersetzen.
In der Reha-Medizin von
Schlaganfall-Patienten sind Spiegelneurone ein neuer Ansatz. Den
Patienten werden am Bildschirm zunächst Übungen gezeigt, welche sie
später selbst durchführen sollen. Die Aktivierung der Spiegelneurone
soll den Patienten helfen, ihre Lähmungen wenigstens teilweise zu
überwinden.
M. Lenzen-Schulte:
Spiegelneurone: Wie man sich in andere hineindenkt und mit ihnen fühlt
Deutsche Medizinische Wochenschrift 2006; 131 (09): 421-422 |