Mit wachsendem Erfolg wird mit
hochspezialisierten Verfahren untersucht, was genau die Ursachen für die
menschliche Fähigkeit zur Sprache sind. Warum verstehen wir Menschen
komplizierte Sätze und unsere nächsten Verwandten -die Affen - hingegen
nur einzelne Worte? Nun haben Wissenschaftler des Leipziger
Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften
herausgefunden, dass im menschlichen Gehirn zwei Hirnareale für
verschiedene Verarbeitungsleistungen der Sprache zuständig sind. Sie
stellten fest, dass einfache Sprachstrukturen in einem evolutionär
älteren Hirnareal verarbeitet werden, über das auch Affen verfügen.
Komplizierte Strukturen jedoch aktivieren Prozesse in einem
entwicklungsgeschichtlich jüngeren Hirnareal, das nur höherentwickelte
Spezies (Mensch) besitzen. Diese Befunde liefern einen wichtigen
Baustein zum Verstehen des menschlichen Sprachvermögens (PNAS, 6.
Februar 2006).
Sprache verstehen und erzeugen zu können, ist ein wesentliches
Merkmal, das uns von nicht-menschlichen Primaten unterscheidet.
Speziell das Anwenden komplexer sprachlicher Regeln wird dafür
verantwortlich gemacht, dass Menschen im Gegensatz zu anderen
Spezies lange Sätze erzeugen und verstehen können. Wenn man die
Regeln der Sprache (Syntax) analysiert, kann man zwei grundlegende
Muster von Grammatik unterscheiden. Eine einfache Regel ist das
richtige Bilden von typischen (wahrscheinlichen) Wortverbindungen,
wie z.B. bei Artikel und Substantiv ("ein Lied") oder bei Artikel
und Verb ("ein gefällt"). So ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein
Substantiv auf einen Artikel folgt, sehr hoch, dass ein Verb einem
Artikel nachsteht, hingegen sehr gering. Um aber längere Sätze
verstehen zu können, benötigt man ein komplexeres Strukturmodell,
die so genannte "Hierarchie". Dabei werden hierarchische
Abhängigkeiten zwischen Satzverbindungen gebildet, um diese
miteinander zu verknüpfen, wie ein eingeschobener Nebensatz: "Das
Lied [das der Junge sang] gefiel dem Lehrer.". Ansatz der
Max-Planck-Studie war demzufolge, die Hirnaktivitäten bei der
Verarbeitung dieser beiden Modelle, also
"Verknüpfungswahrscheinlichkeit" und "Hierarchie", miteinander zu
vergleichen.
In einem Verhaltensexperiment hatten Wissenschaftler in den USA
zuvor gezeigt, dass nicht-menschliche Primaten (Tamarin-Äffchen)
zwar in der Lage sind, Regeln mit lokalen
Verknüpfungswahrscheinlichkeiten zu verarbeiten, nicht aber
hierarchische Regeln. Das Ergebnis veranlasste die Leipziger
Forscher zu der Hypothese, dass komplexe grammatische Regeln von
Hirnarealen verarbeitet werden, die 'phylogenetisch jünger' sind.
Diese Annahme untersuchten die Forscher in einem funktionellen
Kernspintomografie(fMRT)-Experiment an Menschen.
Dazu erzeugten die Wissenschaftler künstliche Grammatiken mit
sinnlosen, aber strukturierten Silben (z.B. de bo gi to). Die
Aneinanderreihung dieser Silben erfolgte entweder gemäß der
einfachen Regel ("Verknüpfungswahrscheinlichkeit") oder der
komplexeren Regel ("Hierarchie"). Die Silben wurden in zwei
Kategorien unterteilt. Silben der Kategorie A endeten mit lautlich
hellen Vokalen (de, gi, le ...), Silben der Kategorie B mit
dunklen Vokalen (bo, fo, gu, ...). Die einfache Regel bildete
abwechselnde Folgen von den Kategorien A und B (z.B. AB AB = de bo
gi ku), die komplexe Regel bildete dagegen Hierarchien durch das
Verknüpfen beider Kategorien (z.B. AA BB = de gi ku bo). Dieses
Prinzip entspricht dem Versuch, Grammatik auf die einfachsten
formalen Regeln zu reduzieren. Der Vorteil von künstlichen
Grammatiken besteht im Experiment - im Gegensatz zu natürlich
gesprochener Grammatik - darin, dass andere Strukturelemente der
Sprache (Semantik, Phonologie, Morphologie) keine zusätzlichen
Einflüsse auf den neurologischen Verarbeitungsprozess nehmen
können.
Die Versuchspersonen trainierten beide Grammatiktypen zwei Tage
vor der Kernspinuntersuchung. Eine Gruppe lernte die
"Verknüpfungswahrscheinlichkeit", die andere Gruppe die
"Hierarchie". Während der fMRT-Untersuchung wurden neue Abfolgen
von Silben über einen Bildschirm präsentiert, die syntaktisch
"richtig" (korrekte Sequenzen) oder "fehlerhaft" (inkorrekte
Sequenzen) waren. Auf diese Weise wurde das Anwendungsvermögen der
gelernten Regeln gemessen bzw. die Versuchspersonen sollten jede
Sequenz nach der Grammatikalität bewerten (richtig/falsch).
Beim Verarbeiten beider Regeltypen konnten die Leipziger Forscher
bei ihren Probanden Aktivitäten in einem menschheitsgeschichtlich
älteren Hirnareal (frontales Operculum) nachweisen. Wie sie
vermutet hatten, zeigte eine jüngere Hirnstruktur, das Broca
Areal, nur dann Aktivitäten, wenn von den Versuchspersonen
hierarchische Regeln verarbeitet wurden.
In einem zweiten Schritt wurde die Methode der
diffusionsgewichteten Bildgebung (diffusion tensor imaging, DTI)
verwendet, um strukturelle Verknüpfungen (Konnektivität) der
beiden Hirnregionen zu untersuchen. Als Ergebnis konnten auch hier
beide Hirnareale voneinander abgegrenzt werden. Das frontale
Operculum war über spezielle Faserverbindungen (fasciculus
uncinatus) mit den vorderen Bereichen des Schläfenlappens
verknüpft. Hingegen wies das Broca-Areal Verknüpfungen auf, welche
über den fasciculus longitudialis superior zu oberen
Bereichen des Schläfenlappens führten (vgl. Abb.).
Durch zwei unterschiedliche Verfahren (fMRT- und DTI-Messung)
konnten die Max-Planck-Forscher beide Hirnareale in Struktur wie
Funktion voneinander abgrenzen. Werden also einfache Regeln vom
Gehirn verarbeitet, wie dies beim Affen offenbar auch erfolgt, so
wird das stammesgeschichtlich ältere Areal im Gehirn aktiviert.
Hingegen wird beim Anwenden komplexerer Regeln, die ein Affe nicht
beherrscht, das Broca Areal herangezogen.
Dieser Befund ist zum einen höchst aufschlussreich für die
Lokalisierung jener Funktionsbereiche im menschlichen Gehirn, die
Sprachverarbeitungsprozesse steuern. Zum anderen führt er
exemplarisch vor, auf welche Weise komplexe Fragestellungen - wie
etwa die Entstehung des menschlichen Sprachvermögens - disziplin-
und fachübergreifend in der modernen Forschung aufgegriffen und
untersucht werden. Für die Grundlagenforscher in Leipzig heißt
das, als nächstes zu fragen, was die unterschiedlichen
Verknüpfungen zum Schläfenlappen für die Sprachverarbeitung im
Detail bedeuten.
Originalveröffentlichung:
Angela D. Friederici; Jörg Bahlmann; Stefan Heim;
Ricarda I. Schubotz; Alfred Anwander
The brain differentiates human and non-human
grammars: Functional localization and structural connectivity
PNAS, Early Edition, 6
February 2006 |
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