Die Kleinen hoben die Gegenstände tatsächlich innerhalb kurzer Zeit
auf und brachten sie den Wissenschaftlern. Das gleiche Verhalten
beobachteten die Forscher auch bei Schimpansen - allerdings nur bei
einfacheren Versuchsanordnungen. Diese neuen Experimente der Leipziger
Wissenschaftler zeigen, dass altruistisches Verhalten bereits ansatzweise
bei unseren nächsten Verwandten vorhanden ist. Wie jüngste Ergebnisse
anderer Forschungsgruppen des Instituts verdeutlichten, scheinen diese
sich allerdings auf bestimmte Situationen zu beschränken (Science, 3. März
2006).
Felix
Warneken und Michael Tomasello fanden heraus, dass bereits 18 Monate alte
Kinder auch fremden Personen bereitwillig zur Hand gehen. "Dieser Befund
war deshalb so erstaunlich, weil die Kinder sehr klein sind. Sie stecken
noch in den Windeln und fangen gerade erst an zu sprechen, aber sie
erkennen schon, wie sie jemandem helfen können", so Warneken.
Für die Studie überlegten sich die Wissenschaftler verschiedene kleine
Aufgaben: Beispielsweise ließ Warneken beim Wäscheaufhängen Klammern so
auf den Boden fallen, dass sie außerhalb seiner Reichweite landeten. In
den ersten zehn Sekunden versuchte er erfolglos, nach den Klammern zu
greifen. In den folgenden zehn Sekunden sah er beim Greifen das Kind an
und nach weiteren 20 Sekunden sagte er "Meine Klammer!" Doch er bat das
Kind niemals direkt um Hilfe, bedankte sich auch nicht oder belohnte es,
wenn es ihm die Klammer brachte. Fast alle Kinder halfen wenigstens einmal
und in 84 Prozent der Fälle taten sie das schon in den ersten zehn
Sekunden, noch bevor Warneken sie durch Blickkontakt überhaupt auf sein
Problem aufmerksam machen konnte.
"Die Kinder brachten die Klammer nicht automatisch. In einem anderen
Versuch warf ich die Klammer absichtlich zu Boden, aber sie hoben sie
nicht auf. Sie gaben sie mir nur, wenn sie erkannten, dass ich die Klammer
brauchte, um mein Ziel zu erreichen."
Für den Fall, dass das Aufheben von Klammern für die Kinder nichts Neues
war, erfand Warneken andere, kompliziertere Aufgaben: Er ließ einen Löffel
unabsichtlich in eine Kiste fallen, die mit einer Klappe versehen war,
durch die man Gegenstände wieder herausholen konnte. Der Wissenschaftler
verhielt sich so, als wüsste er nichts von der Klappe. Auch bei diesem
Experiment halfen die Kleinen dem Wissenschaftler nur, wenn er sich
vergeblich bemühte, den Löffel aus der Kiste herauszuholen. Sie taten es
nicht, wenn er ihn absichtlich hineinfallen ließ.
Aufwand zu betreiben um anderen zu helfen, ohne davon selbst zu
profitieren, nennt man Altruismus. Bisher sind nur Menschen
bewiesenermaßen altruistisch; Wir spenden Geld, zahlen Steuern und helfen
Menschen, die wir nicht persönlich kennen. Diese Studie zeigt, dass selbst
Kleinkinder ohne besondere Erziehung zu spontanem altruistischem Verhalten
willens und fähig sind.
Aber findet sich dieses Verhalten nur bei Menschen? So weist eine neue
Studie von Jensen und seinen Mitarbeitern darauf hin [1], dass Schimpansen
nur an ihr eigenes Wohlergehen denken, wenn es um Futter geht. Womöglich
helfen sie aber in anderen Situationen. Warneken führte die oben
beschriebenen Versuche auch mit jungen Schimpansen durch, die in
menschlicher Obhut aufgewachsen waren.
Obwohl die Affen in komplexeren Situationen, wie dem Kisten-Experiment,
nicht halfen, waren sie sehr hilfsbereit, wenn ihre Tierpflegerin nach
Gegenständen zu greifen versuchte, die sie nicht erreichen konnte.
"Dies ist die erste experimentelle Studie, die altruistisches Verhalten
bei einem nicht menschlichen Primaten nachweist.", so Warneken. " Bisher
ging man davon aus, dass Schimpansen hauptsächlich eigennützig handeln. In
unserer Studie hingegen halfen sie anderen, obwohl sie dafür nicht belohnt
wurden."
Altruismus bei Schimpansen könnte bedeuten, dass unser gemeinsamer
Vorfahre schon über rudimentäre Formen hilfreichen Verhaltens verfügte -
und das, bevor sich die Entwicklungslinien von Menschen und Schimpansen
vor sechs Millionen Jahren trennten.
"Früher nahm man an, hilfreiches Verhalten sei eine dem Menschen eigene
Fähigkeit. Aber vielleicht sind Schimpansen gar nicht so anders, wie wir
denken.", sagt Warneken lächelnd. "Vielleicht existierten erste Ansätze
von Altruismus, die sich beim modernen Menschen noch verstärkt haben, auch
schon bei unserem evolutionären Vorfahren."
Quelle: www.mpg.de
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