Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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"Wendepunkte" erkennen, setzen und nutzen
(zum Ausdrucken als pdf-Datei)

 

Fast jeder von uns weiß, dass es im Leben „Wendepunkte“ gibt. Vermutlich werden Ihnen direkt eindrucksvolle Beispiele einfallen. Meistens handelt es sich dabei um GROSSE Wendepunkte, die dem Leben eine neue Richtung verleihen und sich dadurch auch dauerhaft einprägen. Um solche soll es im Folgenden jedoch nicht gehen. Dieses Merkblatt befasst sich vielmehr mit den vielen kleinen potenziellen Wendepunkten, die sich uns tagtäglich anbieten und die wir leider meistens übersehen und daher nicht nutzen. Zu ihnen gehören der freundliche Blick eines Fremden, den wir nicht aufgreifen, um daraus ein Gespräch und weitere Möglichkeiten zu entwickeln, oder die Chance, uns in einem Restaurant zu anderen Menschen an den Tisch zu setzen, statt (wie immer) einen leeren Tisch zu suchen. Statt uns bei einem beliebigen Anlass (wie immer) freiwillig in die letzte Reihe zu stellen, könnten wir uns auch einmal vorne platzieren und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass solche Situationen andere Verläufe nehmen als bislang. Statt des geplanten üblichen Wochenendausflugs machen wir unserem/r Partner/in einen völlig neuen Vorschlag, der aus der Reihe tanzt. Statt wie sonst auf ungewohnte Vorschläge ablehnend zu reagieren, könnten wir uns auf diese immer häufiger einlassen. Statt einem uns auf den ersten Blick unsympathischen Menschen aus dem Weg zu gehen, könnten wir mit ihm ein Gespräch beginnen. Mit anderen Worten: Es geht um die unzähligen täglichen Chancen, dem Leben eine kleine Wende zu geben und es dadurch letztlich interessanter zu gestalten.

Die Bedeutung der vielen potenziellen kleinen „Wendepunkte“ wurde mir selbst durch mein Interesse am Schauspielen bewusst (Ich besuchte über 1,5 Jahre lang einen Laienschauspielkurs und las begleitend dazu das Buch „Story, Die Prinzipien des Drehbuchschreibens“ von Robert McKea). Dabei wurde mir bewusst, dass uns Theaterstücke und Filme vor allem dann interessieren, wenn wir beispielhaft miterleben, wie sich das Leben der Darsteller ständig und jeweils unerwartet wendet, was den jeweiligen Figuren und damit auch uns als Zuschauern zu neuen Einsichten verhilft. Dieser Vorgang geht IMMER mit Überraschung einher und weckt uns schlagartig aus unserer „Alltagstrance“, in der wir wie im Halbschlaf einfach nur „funktionieren“ und wie im Traum unsere Aufgaben erledigen. Bewusst erlebte (!!!) Wendepunkte machen uns hellwach und neugierig auf den weiteren Verlauf des Lebens. Wir haben „Aha-Erlebnisse“ und freuen uns stetig auf mehr“.

„Überraschungen“ zulassen und so das Leben interessanter gestalten

Nur durch eine stete Folge von „Wendungen“ (im Denken, Handeln und Fühlen) wird unser Leben letztendlich spannend und erlangen wir ein etwas komplexeres Verständnis vom Funktionieren dieser Welt. Wer Wendepunkte nicht erkennt, setzt und nutzt, verzichtet auf das Abenteuer des Lebens. Solche Menschen wundern sich, wenn sie beim Blick auf den Kalender den Eindruck erhalten, ihr Leben verrinne und verfliege immer schneller. Das liegt vermutlich daran, dass unser Gedächtnis nur „Bedeutsames“ (also Wendungen!) registriert und sich „Altbekanntes“ nicht mehr extra merkt. Lebensphasen ohne besondere „Wendungen“ erscheinen dem Gehirn daher im Rückblick kurz (der Gedächtnisfilm ist schnell abgespult). Sie vermitteln das Gefühl, die Lebenszeit verfliege. Dagegen hat ein Gedächtnisfilm mit zahlreichen Wendungen eine deutlich längere Laufzeit. Er geht mit dem Eindruck eines deutlich langsameren (weil reichhaltigeren) Lebenstakts einher. Ähnliches illustriert eine weitere Lebenserfahrung: Wenn Sie selbst Auto fahren, kennen Sie vermutlich die Erfahrung, dass Autobahnfahren bei geringem Verkehrsaufkommen und guten Sichtverhältnissen zum Träumen bzw. Abschalten verleiten kann und Sie plötzlich am Ziel sind, ohne sich an genauere Einzelheiten der Strecke erinnern zu können. Damit dadurch weniger Unfälle entstehen, haben deutsche Autobahnplaner bewusst darauf verzichtet, kerzengerade Strecken zu bauen und integrieren in die Streckenführung möglichst auch (sanfte) Kurven („Wendungen“). So bleiben wir einigermaßen wach und tauchen nicht in unbewusste Automatismen ab.

„Wendepunkte“ als Tür zu neuer Erfahrung

Aus verhaltenstherapeutischer Sicht mag die Idee der „Wendepunkte“ alter Wein in neuen Schläuchen sein. Denn Verhaltenstherapeuten ermutigen schon immer dazu, sich auf neue Erfahrungen einzulassen bzw. diese regelrecht zu suchen. Schließlich erwerben wir nur dadurch neue Kompetenzen und lernt unser Gehirn dazu. Dennoch besticht der Begriff „Wendepunkte“ allein schon durch die mit ihm verbundene konkrete Vorstellung mehr als das abstrakte Wort „Erfahrung“. Bei „Wendepunkt“ werden sich viele von uns spontan und bildhaft einen Weg vorstellen, der abrupt einen Knick macht und uns im Extremfall sogar dorthin zurückgehen lässt, wo wir gerade hergekommen sind (etwa bei einem Wald- oder Gebirgsweg).

Bereits aus den bisherigen Überlegungen dürfte deutlich geworden sein, dass ein durch viele Wendepunkte interessantes und waches Leben seinen Preis hat: Es erfordert eine ausreichende Risikofreude und die damit verbundene Fähigkeit, mit (permanenter) Unsicherheit leben zu können. Die Psychologie-Forschung zeigt, dass „Risikofreudigkeit“ ein Merkmal ist, das von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt ist (sei es durch Veranlagung oder durch Erfahrung). Wie Sie schon ahnen, wendet sich dieses Merkblatt vor allem an Personen, die eher weniger risikofreudig sind und daher mögliche Wendepunkte lieber ausblenden oder an ihnen vorbeischleichen. An solche Menschen richtet dieser Text die Einladung, ab jetzt im Alltag möglichst oft potenzielle Wendepunkte zu erkennen, gegebenenfalls selbst zu setzen und sie dann auch zu nutzen. Was davon (noch) abhält, sind in der Regel alte Gewohnheiten (Bequemlichkeit), Angst und eigene Gedanken („Das geht doch nicht!“ „Was sollen die anderen denken?“).

Auch Psychotherapie darf, ja soll überraschen

Rückblickend kann ich sagen, dass die „besten“ Therapiesitzungen, die ich erleben durfte, DURCHWEG durch einen oder mehrere bewegende Wendepunkte gekennzeichnet waren. Das wohl häufigste „Erfolgserlebnis“ war die Erfahrung, Klienten von einem Moment zum anderen eine für diese völlig neue Sichtweise ihrer Situation erleben zu lassen. In solchen „Aha-Momenten“ wurden die Betreffenden hellwach („Now Moments“ nach Daniel Stern) und verbesserte sich ihr Befinden schlagartig. Ich habe mir daher vorgenommen, möglichst jede Therapiesitzung mit mindestens einem (überraschenden) Wendepunkt „anzureichern“. Dies setzt allerdings zwingend voraus, dass sich die Klienten auf ein entsprechendes „Spielangebot“ zumindest vorübergehend auch einlassen (Dazu habe ich für sie ein eigenes Merkblatt verfasst und auf meine Website eingestellt). In Behandlungen, in denen es ausreichend viele Wendepunkte gab, freuten sich die Klienten zunehmend mehr auf kommende Sitzungen und deren „Überraschungen“.

Hinter Wendepunkten stecken „starke Werte“

Im Theater und im Film zeichnen sich „echte“ Wendepunkte meistens auch dadurch aus, dass wichtige Werte in Frage oder sogar auf den Kopf gestellt werden. Wenn Sie darauf achten, werden Sie merken, dass auch bei Ihren potenziellen Wendepunkten „Werte“ eine erhebliche Rolle spielen: Sei es, dass Sie durch das Einlassen auf den neuen Wendepunkt alte Werte „riskieren“, nicht weiterhin nur das tun, was Sie für „richtig“ halten oder bisher weitgehend ungelebten Werten eine Chance einräumen (wie Neugier, Abenteuer oder Erlebnisfreude). Es lohnt sich daher auch unter dem Aspekt der „Wendepunkte“, sich in regelmäßigen Abständen die wichtigsten Werte bewusst zu machen, unter deren Regie man sein Leben bislang gestaltet hat. In der Film- und Theatersprache würde man sagen, dass ein Wendepunkt mit ausreichend „starken Werten“ aufgeladen sein muss.

Künftig das eigene Lebensdrehbuch schreiben

In der Sprache von Theater und Film lade ich Sie ein, zunehmend mehr zum Drehbuchschreiber und Regisseur Ihres eigenen Lebens zu werden. Experimentieren Sie anfänglich mit Wendepunkten in kleineren Alltagsszenen. Machen Sie sich dabei bewusst, welcher Wert momentan gerade Ihrem Handeln zugrunde liegt. Riskieren Sie dann, diesen Wert „experimentell“ in Frage zu stellen, indem Sie sich auf einen Wendepunkt einlassen und Ihrem Leben (wenigstens vorübergehend) einen ungeplanten Verlauf gestatten. Nutzen Sie insbesondere „Konflikte“ jeder Art als Hinweise darauf, dass Sie gerade an einem potenziellen „Wendepunkt“ angelangt sind. Dies wird Ihnen helfen, Konflikte künftig nicht nur als „Belastung“, sondern auch als „Chance“ für neue Lebenserfahrungen und ein vertieftes Wissen über Vielfalt und Möglichkeiten dieser Welt zu betrachten und dann auch zu nutzen. Als Drehbuchautor Ihres eigenen Lebens werden Sie sich zwar damit arrangieren müssen, dass das Leben permanent unsicher und in seiner Komplexität für unser Auffassungsvermögen nicht verstehbar ist. Als „Autor“, der sich bewusst Wendepunkte ausdenkt oder auswählt, gewinnen Sie zumindest ein Mindestmaß an (Mit)gestaltungsmöglichkeit, gelangen Sie zu einer Fülle oft spannender Einsichten und Erfahrungen und werden Sie zum aktiven „Mitspieler“ (und damit nicht zum Opfer!) in Ihrem vermutlich wichtigsten Spiel: Dem eigenen Leben.

Tragen Sie in die folgende Tabelle Ihre ersten Ideen dazu ein, wo sich für Sie in den letzten Wochen „Wendepunkte“ angeboten haben (ohne dass Sie die Chance nutzten, sich auf einen ungeplanten Situationsverlauf einzulassen):

Zurückliegender ungenutzter „Wendepunkt“

Auf welche dazu passenden künftigen Vorkommnisse könnte ich mich einmal einlassen? Welche Wendepunkte könnte ich selbst probehalber setzen?