Fast jeder
kennt die Erfahrung, innerlich mit sich selbst zu sprechen. Dies ist ganz
normal und hat absolut nichts mit „Stimmen hören“ oder einer „Spaltung der
Persönlichkeit“ zu tun. Wer genau lauscht, wird merken, dass es sich nicht
selten um eine Vielfalt unterschiedlicher Stimmen handelt. Manche sprechen
angesichts der inneren Diskussionen von einem „inneren Parlament“, andere
von einer „inneren Familie“. Der Ausdruck „innere Familie“ deutet an,
woher ein Großteil der inneren Stimmen stammt: Viele von ihnen erinnern an
die Art und Weise, wie Eltern, Großeltern, Tanten, Onkels oder andere
wichtige Familienmitglieder früher einmal mit uns gesprochen haben oder
sogar immer noch sprechen. Wieder andere Stimmen ähneln vielleicht mehr
denjenigen von Lehrern, Ausbildern, wichtigen Freunden, aber auch Feinden
(!) sowie anderen Menschen, die einmal eine bedeutsame Rolle in unserem
Leben gespielt haben. Die Art dieser Personen mit uns zu sprechen bzw.
umzugehen, haben wir verinnerlicht (was ein ganz normaler Vorgang ist). Je
nach Situation melden sich dann bei uns die passenden Stimmen. Es scheint
so, als versuchten sie, uns zu beraten bzw. zu beeinflussen. Vor allem in
kritischen Situationen melden sich meist widersprüchliche Stimmen, so dass
es zu regelrechten inneren Auseinandersetzungen kommen kann. Beispiel:
Ängstliche Menschen hören zum einen den „inneren Mutmacher“, der leider
dem lautstarken „Miesmacher“ mit seinen deftigen Sprüchen („Das schaffst
du nicht!“ „Was sollen die anderen von dir denken?“) meist unterliegt.
Depressive Menschen vernehmen Botschaften wie „Das hat doch alles keinen
Zweck.“, „Reiß dich zusammen!“ oder „Du bist ja doch an allem schuld!“.
Die Arbeit mit
den „inneren Stimmen“ (die fast immer auch eine Bearbeitung der
Vergangenheit ist) gehört zu den fruchtbarsten Techniken der
Psychotherapie. Verschiedene Techniken bieten sich an, wie das Benutzen
von Puppen (von denen jede eine andere Stimme repräsentiert) oder die
„Inszenierung auf dem heißen Stuhl“, bei der man selbst von einem Stuhl
auf den anderen wechselt und dabei jeweils die Stimme spricht, die man dem
Stuhl vorher zugewiesen hat. Auf diese Weise macht man sich nicht nur die
inneren Dialoge bewusst, die bisher automatisch abgelaufen sind, man
beginnt auch, bewusst auf diese Einfluss zu nehmen. Da vor allem
widerstreitende Stimmen zu regelrechten Blockaden führen, kann man
nützliche Energie freisetzen, indem man mit den inneren Stimmen
erfolgreich verhandelt und ihnen zu neuen Sichtweisen verhilft. Dabei ist
es sehr wichtig, auch den unangenehm klingenden Stimmen wertschätzend zu
begegnen – denn diese machen ja auch einen Teil unserer Persönlichkeit
aus! Die Arbeit an den inneren Stimmen ist eine Form der
Persönlichkeitsentwicklung und der Lösung innerer Konflikte.
Übung:
Trainieren
Sie insbesondere in kritischen Situationen, die in Ihnen laut werdenden
Stimmen zu hören und individuell zu unterscheiden. Geben Sie jeder Stimme
einen schlagkräftigen passenden Namen (wie „Miesmacher“, „Mutmacher“,
„Moralapostel“, „Träumer“, „Spieler“, „Antreiber“ usw.). Lassen Sie sich
auf das Abenteuer eines Gesprächs zwischen den verschiedenen Stimmen ein.
Schlüpfen Sie bei jeder fälligen Äußerung in die Rolle der betreffenden
Stimme und vertreten Sie entschieden deren Meinung. Wirken Sie insgesamt
aber darauf hin, dass sich die Positionen annähern und eine Lösung
entwickeln, die Ihren heutigen (!) Interessen entspricht. Um die inneren
Stimmen zu symbolisieren, können Sie Puppen, Papierblätter mit dem Namen
der jeweiligen Stimme oder mehrere Stühle benutzen (auf denen jeweils eine
bestimmte Stimme „sitzt“). Lassen Sie sich nicht unbedacht dazu verleiten,
eine Stimme völlig zu vernichten, da diese irgendwann in Ihrem Leben Ihnen
vermutlich einmal einen wichtigen Dienst erwiesen hat. Meist genügt es,
die Macht dieser Stimme auf ein vernünftiges Maß zu „schrumpfen“. |