Wenn dies so ist, sagte sich der amerikanische Psychologe Dr. Les Femi,
dann könnte es für uns vielleicht hilfreich sein, unsere Aufmerksamkeit
von den Objekten weg und auf das „Nichts“ hin zu lenken. Es gelang ihm,
Übungen zu entwickeln, mit denen, ausreichendes Training vorausgesetzt,
jeder von uns in einen angenehmen entspannten Zustand gelangen kann, den
Dr. Fehmi mit „Open Focus“ bezeichnet. Wie der Begriff andeutet, ist dabei
die Aufmerksamkeit „offen“, also nicht auf Objekte gerichtet. Wer sich im
Zustand des Open Focus befindet, dessen im EEG gemessenen Hirnströme sind
in aller Regel entspannt. Viele Teile des Gehirns weisen dann einen
„synchronen Alpha-Rhythmus“ auf. In einem solchen Zustand fühlt man sich
meist sehr wohl. Man registriert die unterschiedlichsten Sinneseindrücke
(die sonst oft ausgeblendet werden), wodurch man sich mitunter sehr wach
und lebendig fühlt.
Dr. Fehmi empfiehlt ein Vorgehen, dass zwar im ersten
Schritt die Wahrnehmung auf Objekte lenkt, im zweiten Schritt dann aber
anregt, sich von den Objekten wieder zu lösen und nun ausschließlich den
Raum zwischen den Objekten wahrzunehmen. Das kann z.B. der Raum zwischen
den Zeilen eines Buches oder der Raum zwischen zwei Buchstaben, der Raum
zwischen linkem und rechtem Ohr, der Raum zwischen einem Baum und mir sein
usw. Offenbar fällt ein solches Wahrnehmungsverhalten Angehörigen anderer
Kulturen (Dr. Fehmi erwähnt die japanische) leichter als uns, weil es dort
eine Selbstverständlichkeit ist.
Wenn wir unsere Wahrnehmung für den „Raum“ zwischen den
Objekten öffnen, öffnen wir uns letztlich für das „Nichts“. Dies erklärt
vermutlich, warum Geist und Körper in einer solchen Haltung zur Ruhe
kommen und sich unsere angespannten Muskeln wieder entspannen können. Da
wir uns von den Objekten gelöst haben, gelangen wir zugleich in einen
Zustand, der Kreativität erleichtert. Psychoanalytiker würden einen
solchen Zustand vermutlich als „freischwebende Aufmerksamkeit“ bezeichnen.
Letztere ist die Grundhaltung, die ein analytisch arbeitender Therapeut
entwickeln muss, um seine Patienten hilfreich begleiten zu können. Auch
der Begriff der Achtsamkeit beschreibt ähnliche Haltungen.
Das hier geschilderte Vorgehen mag ein wenig an
„klassisches Meditieren“ erinnern (vor allem im Hinblick auf den
Zielzustand „Open Focus), dennoch unterscheidet es sich zumindest in der
Methode deutlich: Während beim klassischen Meditieren häufig auf ein
Objekt fokussiert (und die abschweifende Aufmerksamkeit immer wieder
darauf gelenkt) wird, widmet sich der Open-Focus-Ansatz dem „Raum
dazwischen“. Dieser lässt sich überall entdecken. Dabei ist es wichtig,
sich den „Raum“ NICHT als „Objekt“ vorzustellen, sondern sich um die
Wahrnehmung einer Qualität zu bemühen, die mit herkömmlichen Kategorien
nicht beschreibbar ist. Wer sich mit Open Focus beschäftigt, wird sich
automatisch auch an die „Gestaltpsychologie“ erinnert fühlen, die bei der
Wahrnehmung zwischen „Figur“ und „Hintergrund“ unterscheidet und hier
„Kipp-Phänomene“ erleben lässt. Schon diese Erfahrung kann sehr befreiend
(und damit entspannend) sein, weil sie aufzeigt, wie willkürlich unsere
Wahrnehmung ist (und damit auch unsere Vorstellungen von der Welt). Auch
erleben wir, dass wir unsere Wahrnehmung und damit unsere Erfahrungen
steuerbar sind.
Persönliche Anmerkungen:
Aus eigener Erfahrung gehe ich davon aus, dass die
Wahrnehmung des „Raumes“ erleichtert wird, wenn man sich von vornherein
auf eine entspannte Haltung einlässt (und nicht abwartet, dass erst die
Wahrnehmung des Raumes zur Entspannung führt). Mit anderen Worten: Unsere
„Objekt-konzentrierte“ Wahrnehmung ist eher ungeeignet, etwas
Nicht-Objekthaftes wahrzunehmen. Oder nochmals anders beschrieben: Wer
darauf fixiert ist, die Welt nur sehend wahrzunehmen, erschwert es sich,
die Welt zu hören.
Mir selbst hilft es manchmal, meinen Augen dadurch zu einem
Open Focus zu verhelfen, indem ich sie auf zweidimensionale Bilder blicken
lasse, aus denen mein Gehirn nur dann eine dreidimensionale Abbildung
konstruieren kann, wenn meine Augen sich von Details lösen (also nicht auf
Objekte fokussieren). Die Erfahrung, mit Hilfe eines solchen „Open Focus“
plötzlich etwas komplett Neues und zudem Räumliches sehen zu können, wirkt
zumindest auf mich „bezaubernd“ und zugleich irritierend, weil sie mein
bisheriges Erleben komplett in Frage stellt.
Während sich die normale Wahrnehmungslenkung dadurch
auszeichnet, dass wir uns einem Objekt aktiv zuwenden und damit häufig auf
dieses auch einwirken, hat der Zustand des Open Focus mehr mit „Hingabe“
an das zu tun, was vielleicht auf uns zukommen möchte. Wir sind dann offen
für Impulse von außen und für Antworten aus unserem Inneren
(„Resonanzkörper“), was bei der aktiven Wahrnehmungslenkung seltener der
Fall ist, da wir dort eher als Impulsgeber auftreten. Dem Open Focus
ähnliche Zustände glaube ich, auch bei der Gehmeditation schon erlebt zu
haben: Hier führte die Haltung „Offensein für alles, was auf mich zukommen
möchte“ zu einer eindrucksvoll lebendig-räumlichen Wahrnehmung der „Welt“.
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