Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Meine Erfahrungen mit den Anonymen Alkoholikern


03.07

Der erste Besuch bei der AA-Gruppe hat mich nachhaltig belastet. Ich habe große Scham empfunden, dort vor fremden Menschen geweint und mein Erinnerungsbild ist: „ein Häufchen Elend in elender Umgebung“. Die Örtlichkeit dort ist befremdlich und ernüchternd, die Gemeinschaft erscheint mir nur bedingt „gemeinschaftlich“, sie entspricht wohl der Ideologie der AA, dass jeder nur von sich und seinen Erfahrungen spricht und man sich nicht unbedingt gegenseitig reflektiert.

Ich empfand riesige Schmach an der Pforte beim Fragen nach dem Weg, aber das hat mir auch etwas Stärkegefühl und meine Willenkraft aufgezeigt. Jetzt kann ich abends nicht mehr direkt einschlafen, sehe die Bilder des Meetings vor mir und weine, ist das Selbstmitleid oder Trauer, dass es so weit kommen musste? Dass ich mir und vor anderen eingestehen muss, eine Alkoholikerin zu sein? Ich bin aufgewühlt, orientierungslos und verzweifelt.

Habe Angst vor dem nächsten Meeting, will mich dem aber stellen.

06.07

Bin nach wie vor enthaltsam, denke manchmal an Alkohol und wie schön es wäre, mir damit wieder ein Leichtigkeitsgefühl zu verschaffen. Ich bin aber eisern, halte mir immer wieder den erschreckenden Eindruck des ersten AA-Gruppenbesuchs vor Augen. Habe mich aber noch nicht wieder zum Meeting getraut.

30.07.

Habe so recht keine Idee für mein Hobby hinbekommen. Es kam Frust auf und es keimte kurz der Wunsch auf, Alkohol zu trinken. Darüber habe ich mich dann auch wieder geärgert. Hatte etwas schlechte Laune.

Ich habe Stress, alles was ich mir vorgenommen habe, auf die Reihe zu kriegen. Mir liegt der nächste noch nicht erledigte Besuch der AA Gruppe im Magen. Nicht weil ich nicht will, sondern jetzt, weil ich es zeitlich nicht so gut organisieren kann.

09.08.

Die erste Beschäftigung mit der Definition von Suchtphasen hat mir aufgezeigt, dass ich wohl gerade auf der Kippe zur richtigen Alkoholkrankheit gestanden habe. Das hat mich einerseits erleichtert, andererseits auch erschreckt, weil ich so kurz davor war, in die totale Abhängigkeit zu geraten. Umso mehr suche ich jetzt den Kontakt zu AA und bin neugierig, welche weiteren Erkenntnisse ich noch erlangen kann. Ich bin froh, dass ich weiterhin enthaltsam sein kann. Mein zweiter und dritter Besuch dort waren schon positiver. Ich fühle mich aber noch nicht ganz dazugehörig. Vielleicht liegt es daran, dass ich nur einmal in der Woche dorthin gehe, viele Teilnehmer sich aber täglich dort treffen. Ich merke, dass viele Wortbeiträge Schilderungen enthalten, die ich auch genauso erlebt habe. Es ist hilfreich, zu hören, wie andere mit der Sucht umgingen und davon loskamen.

19.08.

Mein Besuch in der AA-Gruppe heute war sehr beeindruckend. In der Donnerstags-Gruppe sind andere neue Leute, aber auch bekannte Gesichter. Ich suchte heute den Kontakt in der Pause und habe mich über die Kontaktaufnahme eines „AA- Freundes“ mit den Worten „ Na, du seltener Gast“ sehr gefreut. Wir haben uns dann länger unterhalten, er gab mir wertvolle Tipps + Erkenntnisse zum Nachdenken.

Ich habe heute zum ersten mal in der Gruppe gesagt „ Ich bin Alkoholikerin“ und war überrascht, dass ich damit gut umgehen konnte. Ich habe mich heute zum ersten mal getraut, mich zu einem Wortbeitrag zu melden, weil zwei neue Teilnehmer genauso hilflos und verwirrt wie ich beim ersten mal dasaßen, Ich versuchte, meine schmerzlich emotionalen Erfahrungen des ersten Gruppenkontakts zu schildern, und ich bekam sehr viel ermunternde und verständnisvolle Blicke. 

27.08.04

Ich habe mich gestern beim AA-Meeting sehr darüber gefreut, dass B. wieder betonte, wie schön es sei, dass ich noch einmal wieder da wäre. Ich merke, wie wichtig es mir geworden ist, zumindest regelmäßig Donnerstags abends zum Meeting zu gehen. Ich fühle mich dazu gehörig und schaffe es, andere Teilnehmer auch privat anzusprechen,.

Ich bleibe bewusst zum anschließenden freiwilligen Abwaschdienst da, um dort auch außerhalb des Meetings Kontakte aufzubauen. Auch fällt es mir etwas leichter, in der Vorstellrunde über meine Gefühle zu berichten. Ich hatte ein gutes Gefühl auf dem Heimweg, nämlich dass es mir gut tut, dort hin zu gehen und dass ich mir diese Zeit bewusst einfordere und frei halte.

Ich schäme mich nicht mehr darüber!

17.09.04

Meine letzten beiden Wochen waren geprägt von Missmut und großer Unzufriedenheit, weil Dinge sich nicht so entwickelten, wie ich es mir vorgestellt hatte. In dieser Phase erinnerte ich mich an ähnliche Situationen, in denen ich früher meine schlechten Gefühle sofort mit Alkohol betäubte. Es keimte ein Anflug von Verlangen danach in mir auf. Ich glaube, dass die mittlerweile gefestigte Einbindung in die AA-Gruppe sehr dazu beigetragen hat, dass ein wirklich konkreter Wunsch nach Alkohol nicht entstehen konnte.

Beim letzten AA-Meeting habe ich dann darüber berichtet, irgendwie war ich auch stolz, dass ich nicht schwach geworden bin. Es hatte mir in der Situation sehr geholfen, dass ich zuvor schon etliche Erzählungen von AA-Freunden zu den Erlebnissen und Gefahren einer Rückfälligkeit gehört hatte. Irgendwie hatte mir das Kraft gegeben.

Ich fühle mich wohl und ein Stück geborgen in der Gruppe und ich bin dankbar, dass ich dort offen und ohne Scham über mein Alkoholproblem sprechen kann.

23.09.04

Der letzte AA-Besuch hat mich besonders bewegt. Nach der Pause gab es keine Wortmeldung, wir waren nur eine kleine Gruppe. Ich habe allen Mut zusammengefasst und eine Wortmeldung gemacht. Ich wunderte mich: ich konnte frei und sicher sprechen, dafür gab es Anerkennung von allen, da es auch anderen in dem ersten Jahr meistens sehr schwer gefallen ist, vor der Gruppe zu sprechen. Zu meinem geschilderten Problem kam dann in den folgenden Wortmeldungen ganz viel Feedback , und zwar ganz persönlich an mich adressiert.

Ich hatte den Eindruck, dass die AA-Freunde mir dabei ehrlich ihre Erfahrungen als Hilfestellung mit auf den Weg geben wollten. Das war ein sehr schönes Gefühl.

30.09.04

Ich habe heute wieder neue Erfahrungen zum Thema „AA-Gemeinschaft“ machen können. Das Schöne an der Gruppe ist, dass jeder durch seine Wortmeldung seinen Emotionen freien Lauf lassen kann, es wird nicht nur gelacht zusammen, sondern auch geweint. Alles, was sich am Tag angestaut hat, findet hier in der Sicherheit der Anonymität den Weg nach draußen.  

Durch den Alkohol wurden bei mir alle schlechten Gefühle verdrängt und vernebelt. Ohne Alkohol muss ich mich mit diesen Gefühlen jetzt auseinander setzen, und das ist alleine nicht einfach. Nicht jedem ist es wie mir möglich, eine hilfreiche Therapie begleitend  zu beginnen. Dann ist aber zumindest in der Gruppe die Gelegenheit, alles, was  bedrückt oder verarbeitet werden will, einmal heraus zulassen.

Beeindruckt hat mich, dass ein AA-Freund jemanden, dem es psychisch besonders schlecht geht zur Zeit, nach dem Meeting in den Arm genommen hat. Es wird also bei AA auch ehrlich und menschlich  Anteil genommen und das ist schön.

07.10.

Ich bemerke, wie ich meine Gefühle der AA-Gemeinschaft gegenüber mehr und mehr verändere. Ich freue mich sogar auf die inzwischen bekannten Gesichter und frage mich, wie es ihnen wohl nach einer Woche so geht.

Im AA-Sprachgebrauch heißt es als Synonym zu den Meetings: “man trifft sich an den  Tischen“. Wir sitzen tatsächlich um einen riesigen großen Tisch, und erst letztlich ist mir so richtig aufgegangen, was dieser Tisch ausstrahlt. Er ist im Rahmen der Möglichkeiten liebevoll eingedeckt, es gibt neben Getränken auch immer Naschereien, Blumenschmuck und Kerzenlicht, Blöckchen für eigene Notizen und Literatur. Das alles drückt soviel Zuwendung aus, denn alles ist von Mitgliedern persönlich beigesteuert worden und zeigt mir: „Wir wollen dir helfen, dass du dich auch ohne Alkohol wohl fühlen kannst.“

Dazu kam im heutigen Meeting ein für mich wichtiger Gedankenansatz: Ich muss auch selber dafür sorgen, dass ich mich wohl fühle, ich muss erkennen, was mich negativ beeinflusst, und meine schlechten Gefühle in positive umwandeln. Mit dem so erlangten inneren Frieden brauche ich keinen Alkohol!

15.10.

Ich bin froh, nach wie vor enthaltsam sein zu können. Erstaunlicherweise empfinde  ich fast gar kein Verlangen mehr nach Alkohol. So kam dann gestern Abend auch ein Anflug von Gedanke, ich müsse ja nicht unbedingt zum Meeting gehen, da es mir ja gut geht. Den Gedanken schob ich schnell beiseite und raffte mich auf.

Seltsamerweise wurde gerade gestern dieses Thema von jemandem, der schon jahrelang regelmäßig zu den Treffen geht, angesprochen.

Es ist ausgesprochen hilfreich, sich immer wieder regelmäßig mit anderen Betroffenen zu dem Thema Alkoholkrankheit auszutauschen, damit nicht aus eigener Fehleinschätzung der gewonnenen Stabilität und aus Leichtsinn ein Rückfall entsteht. Davor habe ich besonders viel Angst.  Denn auch früher gelang es mir ohne Gruppe, längere Zeit ohne Alkohol zurecht zu kommen, was danach immer in noch stärkerem Suchtverhalten endete.

Ich bin recht sicher, mit Hilfe der regelmäßigen  AA-Besuche endlich eine dauerhafte Bekämpfung meiner Sucht erzielen zu können.

21.10.04

Obwohl ich noch nicht so lange zu den AA-Meetings gehe, konnte ich doch heute schon aus eigener Überzeugung einem „Neuen“ Mut machen, mit Hilfe von AA seine Sucht zu bekämpfen.

Jeder geht dabei ja seinen eigenen persönlichen Weg und doch gibt es Leitsätze bei AA, an denen eine Orientierung lohnt.

Ich selbst habe offensichtlich einen eisernen Willen zum Durchhalten entwickelt, aber für viele ist anfänglich die Reduzierung des eigenen Vorsatzes darauf, auf den Alkohol nur für den heutigen Tag, also für 24 Stunden, zu verzichten, hilfreich. Anstatt dem Alkohol für alle Zeiten abzuschwören oder sich Sorgen zu machen, ob man morgen auch noch trocken bleiben kann, konzentrieren sich Alkoholiker bei AA darauf, jetzt und heute nicht zu trinken.

Es heißt: „Lass in den nächsten 24 Stunden das erste Glas stehen“, was dann ja automatisch bedeutet, dass es auch kein zweites oder drittes gibt!  

Man hatte mir auch empfohlen, für einen Zeitraum von 90 Tagen regelmäßig und  möglichst täglich in AA-Meetings zu gehen, um mit anderen trockenen Alkoholikern in Verbindung zu bleiben und so immer im Zeitfenster von 24 Stunden zu denken. Mir persönlich reicht ein wöchentlicher Besuch, aber ich denke, bei extremen Alkohol- und Entzugsproblemen ist der tägliche Besuch äußerst sinnvoll.

Für mich war es anfänglich nicht vorstellbar, für den Rest meines Lebens auf Alkohol zu verzichten, jetzt ist dieser Gedanke gar nicht mehr so abwegig.

19.11.04

Heute bin ich seit langer Zeit endlich wieder zum AA-Meeting gegangen, es war mir leider aus verschiedenen Gründen nicht früher möglich. Ich fühle aber, wie wichtig es mir ist, den Anschluss an das Thema und an die Gruppe nicht zu verlieren.

Heute ging es um das Thema, wie man als trockener Alkoholiker mit normal trinkenden Partnern und Freunden umgehen kann, und ob es dauerhaft möglich ist, ohne Rückfallgefahr Alkohol im eigenen Haushalt, z.b. für Gäste, zu haben. Mein Beitrag dazu, dass dieses mir persönlich kein Problem bereitet, löste großen Widerspruch in den folgenden Wortmeldungen anderer AA-Freunde aus. Sie warnten aus eigener Erfahrung eindringlich vor dieser unnötigen Versuchung und verwiesen auch zusätzlich auf Rückfallauslöser durch versteckten Alkohol in Süßigkeiten und Soßen. All diese Dinge sollen strikt aus dem direkten Umfeld eines Alkoholikers verschwinden.

Ich bin nun etwas verunsichert, ob ich mich vielleicht auf dünnem Eis bewege, aber ich fühle mich derzeit stark genug, allen Versuchungen, die es tatsächlich in meinem Umfeld gibt, locker zu widerstehen.

Mitgenommen aus diesem Appell habe ich aber für mich wiederum, dass ich mir immer wieder meine Sucht vor Augen halten muss, um nicht in diese Fallen zu tappen.