03.07
Der erste Besuch bei der AA-Gruppe hat mich nachhaltig
belastet. Ich habe große Scham empfunden, dort vor fremden Menschen
geweint und mein Erinnerungsbild ist: „ein Häufchen Elend in elender
Umgebung“. Die Örtlichkeit dort ist befremdlich und ernüchternd, die
Gemeinschaft erscheint mir nur bedingt „gemeinschaftlich“, sie entspricht
wohl der Ideologie der AA, dass jeder nur von sich und seinen Erfahrungen
spricht und man sich nicht unbedingt gegenseitig reflektiert.
Ich empfand riesige Schmach an der Pforte beim Fragen nach
dem Weg, aber das hat mir auch etwas Stärkegefühl und meine Willenkraft
aufgezeigt. Jetzt kann ich abends nicht mehr direkt einschlafen, sehe die
Bilder des Meetings vor mir und weine, ist das Selbstmitleid oder Trauer,
dass es so weit kommen musste? Dass ich mir und vor anderen eingestehen
muss, eine Alkoholikerin zu sein? Ich bin aufgewühlt, orientierungslos und
verzweifelt.
Habe Angst vor dem nächsten Meeting, will mich dem aber
stellen.
06.07
Bin nach wie vor enthaltsam, denke manchmal an Alkohol und
wie schön es wäre, mir damit wieder ein Leichtigkeitsgefühl zu
verschaffen. Ich bin aber eisern, halte mir immer wieder den
erschreckenden Eindruck des ersten AA-Gruppenbesuchs vor Augen. Habe mich
aber noch nicht wieder zum Meeting getraut.
30.07.
Habe so recht keine Idee für mein Hobby hinbekommen. Es kam
Frust auf und es keimte kurz der Wunsch auf, Alkohol zu trinken. Darüber
habe ich mich dann auch wieder geärgert. Hatte etwas schlechte Laune.
Ich habe Stress, alles was ich mir vorgenommen habe, auf
die Reihe zu kriegen. Mir liegt der nächste noch nicht erledigte Besuch
der AA Gruppe im Magen. Nicht weil ich nicht will, sondern jetzt, weil ich
es zeitlich nicht so gut organisieren kann.
09.08.
Die erste Beschäftigung mit der Definition von Suchtphasen
hat mir aufgezeigt, dass ich wohl gerade auf der Kippe zur richtigen
Alkoholkrankheit gestanden habe. Das hat mich einerseits erleichtert,
andererseits auch erschreckt, weil ich so kurz davor war, in die totale
Abhängigkeit zu geraten. Umso mehr suche ich jetzt den Kontakt zu AA und
bin neugierig, welche weiteren Erkenntnisse ich noch erlangen kann. Ich
bin froh, dass ich weiterhin enthaltsam sein kann. Mein zweiter und
dritter Besuch dort waren schon positiver. Ich fühle mich aber noch nicht
ganz dazugehörig. Vielleicht liegt es daran, dass ich nur einmal in der
Woche dorthin gehe, viele Teilnehmer sich aber täglich dort treffen. Ich
merke, dass viele Wortbeiträge Schilderungen enthalten, die ich auch
genauso erlebt habe. Es ist hilfreich, zu hören, wie andere mit der Sucht
umgingen und davon loskamen.
19.08.
Mein Besuch in der AA-Gruppe heute war sehr beeindruckend.
In der Donnerstags-Gruppe sind andere neue Leute, aber auch bekannte
Gesichter. Ich suchte heute den Kontakt in der Pause und habe mich über
die Kontaktaufnahme eines „AA- Freundes“ mit den Worten „ Na, du seltener
Gast“ sehr gefreut. Wir haben uns dann länger unterhalten, er gab mir
wertvolle Tipps + Erkenntnisse zum Nachdenken.
Ich habe heute zum ersten mal in der Gruppe gesagt „ Ich
bin Alkoholikerin“ und war überrascht, dass ich damit gut umgehen konnte.
Ich habe mich heute zum ersten mal getraut, mich zu einem Wortbeitrag zu
melden, weil zwei neue Teilnehmer genauso hilflos und verwirrt wie ich
beim ersten mal dasaßen, Ich versuchte, meine schmerzlich emotionalen
Erfahrungen des ersten Gruppenkontakts zu schildern, und ich bekam sehr
viel ermunternde und verständnisvolle Blicke.
27.08.04
Ich habe mich gestern beim AA-Meeting sehr darüber gefreut,
dass B. wieder betonte, wie schön es sei, dass ich noch einmal wieder da
wäre. Ich merke, wie wichtig es mir geworden ist, zumindest regelmäßig
Donnerstags abends zum Meeting zu gehen. Ich fühle mich dazu gehörig und
schaffe es, andere Teilnehmer auch privat anzusprechen,.
Ich bleibe bewusst zum anschließenden freiwilligen
Abwaschdienst da, um dort auch außerhalb des Meetings Kontakte aufzubauen.
Auch fällt es mir etwas leichter, in der Vorstellrunde über meine Gefühle
zu berichten. Ich hatte ein gutes Gefühl auf dem Heimweg, nämlich dass es
mir gut tut, dort hin zu gehen und dass ich mir diese Zeit bewusst
einfordere und frei halte.
Ich schäme mich nicht mehr darüber!
17.09.04
Meine letzten beiden Wochen waren geprägt von Missmut und
großer Unzufriedenheit, weil Dinge sich nicht so entwickelten, wie ich es
mir vorgestellt hatte. In dieser Phase erinnerte ich mich an ähnliche
Situationen, in denen ich früher meine schlechten Gefühle sofort mit
Alkohol betäubte. Es keimte ein Anflug von Verlangen danach in mir auf.
Ich glaube, dass die mittlerweile gefestigte Einbindung in die AA-Gruppe
sehr dazu beigetragen hat, dass ein wirklich konkreter Wunsch nach Alkohol
nicht entstehen konnte.
Beim letzten AA-Meeting habe ich dann darüber berichtet,
irgendwie war ich auch stolz, dass ich nicht schwach geworden bin. Es
hatte mir in der Situation sehr geholfen, dass ich zuvor schon etliche
Erzählungen von AA-Freunden zu den Erlebnissen und Gefahren einer
Rückfälligkeit gehört hatte. Irgendwie hatte mir das Kraft gegeben.
Ich fühle mich wohl und ein Stück geborgen in der Gruppe
und ich bin dankbar, dass ich dort offen und ohne Scham über mein
Alkoholproblem sprechen kann.
23.09.04
Der letzte AA-Besuch hat mich besonders bewegt. Nach der
Pause gab es keine Wortmeldung, wir waren nur eine kleine Gruppe. Ich habe
allen Mut zusammengefasst und eine Wortmeldung gemacht. Ich wunderte mich:
ich konnte frei und sicher sprechen, dafür gab es Anerkennung von allen,
da es auch anderen in dem ersten Jahr meistens sehr schwer gefallen ist,
vor der Gruppe zu sprechen. Zu meinem geschilderten Problem kam dann in
den folgenden Wortmeldungen ganz viel Feedback , und zwar ganz persönlich
an mich adressiert.
Ich hatte den Eindruck, dass die AA-Freunde mir dabei
ehrlich ihre Erfahrungen als Hilfestellung mit auf den Weg geben wollten.
Das war ein sehr schönes Gefühl.
30.09.04
Ich habe heute wieder neue Erfahrungen zum Thema
„AA-Gemeinschaft“ machen können. Das Schöne an der Gruppe ist, dass jeder
durch seine Wortmeldung seinen Emotionen freien Lauf lassen kann, es wird
nicht nur gelacht zusammen, sondern auch geweint. Alles, was sich am Tag
angestaut hat, findet hier in der Sicherheit der Anonymität den Weg nach
draußen.
Durch den Alkohol wurden bei mir alle schlechten Gefühle
verdrängt und vernebelt. Ohne Alkohol muss ich mich mit diesen Gefühlen
jetzt auseinander setzen, und das ist alleine nicht einfach. Nicht jedem
ist es wie mir möglich, eine hilfreiche Therapie begleitend zu beginnen.
Dann ist aber zumindest in der Gruppe die Gelegenheit, alles, was
bedrückt oder verarbeitet werden will, einmal heraus zulassen.
Beeindruckt hat mich, dass ein AA-Freund jemanden, dem es
psychisch besonders schlecht geht zur Zeit, nach dem Meeting in den Arm
genommen hat. Es wird also bei AA auch ehrlich und menschlich Anteil
genommen und das ist schön.
07.10.
Ich bemerke, wie ich meine Gefühle der AA-Gemeinschaft
gegenüber mehr und mehr verändere. Ich freue mich sogar auf die inzwischen
bekannten Gesichter und frage mich, wie es ihnen wohl nach einer Woche so
geht.
Im AA-Sprachgebrauch heißt es als Synonym zu den Meetings:
“man trifft sich an den Tischen“. Wir sitzen tatsächlich um einen
riesigen großen Tisch, und erst letztlich ist mir so richtig aufgegangen,
was dieser Tisch ausstrahlt. Er ist im Rahmen der Möglichkeiten liebevoll
eingedeckt, es gibt neben Getränken auch immer Naschereien, Blumenschmuck
und Kerzenlicht, Blöckchen für eigene Notizen und Literatur. Das alles
drückt soviel Zuwendung aus, denn alles ist von Mitgliedern persönlich
beigesteuert worden und zeigt mir: „Wir wollen dir helfen, dass du dich
auch ohne Alkohol wohl fühlen kannst.“
Dazu kam im heutigen Meeting ein für mich wichtiger
Gedankenansatz: Ich muss auch selber dafür sorgen, dass ich mich wohl
fühle, ich muss erkennen, was mich negativ beeinflusst, und meine
schlechten Gefühle in positive umwandeln. Mit dem so erlangten inneren
Frieden brauche ich keinen Alkohol!
15.10.
Ich bin froh, nach wie vor enthaltsam sein zu können.
Erstaunlicherweise empfinde ich fast gar kein Verlangen mehr nach
Alkohol. So kam dann gestern Abend auch ein Anflug von Gedanke, ich müsse
ja nicht unbedingt zum Meeting gehen, da es mir ja gut geht. Den Gedanken
schob ich schnell beiseite und raffte mich auf.
Seltsamerweise wurde gerade gestern dieses Thema von
jemandem, der schon jahrelang regelmäßig zu den Treffen geht,
angesprochen.
Es ist ausgesprochen hilfreich, sich immer wieder
regelmäßig mit anderen Betroffenen zu dem Thema Alkoholkrankheit
auszutauschen, damit nicht aus eigener Fehleinschätzung der gewonnenen
Stabilität und aus Leichtsinn ein Rückfall entsteht. Davor habe ich
besonders viel Angst. Denn auch früher gelang es mir ohne Gruppe, längere
Zeit ohne Alkohol zurecht zu kommen, was danach immer in noch stärkerem
Suchtverhalten endete.
Ich bin recht sicher, mit Hilfe der regelmäßigen
AA-Besuche endlich eine dauerhafte Bekämpfung meiner Sucht erzielen zu
können.
21.10.04
Obwohl ich
noch nicht so lange zu den AA-Meetings gehe, konnte ich doch heute schon
aus eigener Überzeugung einem „Neuen“ Mut machen, mit Hilfe von AA seine
Sucht zu bekämpfen.
Jeder geht
dabei ja seinen eigenen persönlichen Weg und doch gibt es Leitsätze bei
AA, an denen eine Orientierung lohnt.
Ich selbst
habe offensichtlich einen eisernen Willen zum Durchhalten entwickelt, aber
für viele ist anfänglich die Reduzierung des eigenen Vorsatzes darauf, auf
den Alkohol nur für den heutigen Tag, also für 24 Stunden, zu verzichten,
hilfreich. Anstatt dem Alkohol für alle Zeiten abzuschwören oder sich
Sorgen zu machen, ob man morgen auch noch trocken bleiben kann,
konzentrieren sich Alkoholiker bei AA darauf, jetzt und heute nicht zu
trinken.
Es heißt:
„Lass in den nächsten 24 Stunden das erste Glas stehen“, was dann ja
automatisch bedeutet, dass es auch kein zweites oder drittes gibt!
Man hatte
mir auch empfohlen, für einen Zeitraum von 90 Tagen regelmäßig und
möglichst täglich in AA-Meetings zu gehen, um mit anderen trockenen
Alkoholikern in Verbindung zu bleiben und so immer im Zeitfenster von 24
Stunden zu denken. Mir persönlich reicht ein wöchentlicher Besuch, aber
ich denke, bei extremen Alkohol- und Entzugsproblemen ist der tägliche
Besuch äußerst sinnvoll.
Für mich
war es anfänglich nicht vorstellbar, für den Rest meines Lebens auf
Alkohol zu verzichten, jetzt ist dieser Gedanke gar nicht mehr so abwegig.
19.11.04
Heute bin ich seit langer Zeit endlich wieder zum
AA-Meeting gegangen, es war mir leider aus verschiedenen Gründen nicht
früher möglich. Ich fühle aber, wie wichtig es mir ist, den Anschluss an
das Thema und an die Gruppe nicht zu verlieren.
Heute ging es um das Thema, wie man als trockener
Alkoholiker mit normal trinkenden Partnern und Freunden umgehen kann, und
ob es dauerhaft möglich ist, ohne Rückfallgefahr Alkohol im eigenen
Haushalt, z.b. für Gäste, zu haben. Mein Beitrag dazu, dass dieses mir
persönlich kein Problem bereitet, löste großen Widerspruch in den
folgenden Wortmeldungen anderer AA-Freunde aus. Sie warnten aus eigener
Erfahrung eindringlich vor dieser unnötigen Versuchung und verwiesen auch
zusätzlich auf Rückfallauslöser durch versteckten Alkohol in Süßigkeiten
und Soßen. All diese Dinge sollen strikt aus dem direkten Umfeld eines
Alkoholikers verschwinden.
Ich bin nun etwas verunsichert, ob ich mich vielleicht auf
dünnem Eis bewege, aber ich fühle mich derzeit stark genug, allen
Versuchungen, die es tatsächlich in meinem Umfeld gibt, locker zu
widerstehen.
Mitgenommen aus diesem Appell habe ich aber für mich
wiederum, dass ich mir immer wieder meine Sucht vor Augen halten muss, um
nicht in diese Fallen zu tappen. |