1.
Bewahren Sie die Ruhe! Die Diagnose
„Krebs“ ist heute keineswegs mehr ein „Todesurteil“. Selbst wenn sie
ein solches wäre, kann es bis zur „Vollstreckung“ Jahrzehnte dauern.
In vielen Fällen (z. B. Prostatakarzinom) sterben die „Verurteilten“
in der Zwischenzeit an völlig anderen Todesursachen. Mitunter hilft
auch folgende Relativierung: „Sogar das Leben ist eine Erkrankung,
die durch Geschlechtsverkehr übertragen wird und immer tödlich
endet“. Wie der letzte Satz hoffentlich zeigt: Krebsbetroffene
dürfen weiterhin Humor haben (der bekanntlich die Gesundheit
fördert).
2.
Finden Sie
heraus, was die Diagnose genau bei Ihnen auslöst.
Ist es mehr der Aspekt, dass Sie erstmalig sehr konkret mit der
Möglichkeit des eigenen Todes konfrontiert werden? Bedrückt Sie mehr
die Vorstellung von möglichem Leid, das auf Sie oder Ihre
Angehörigen zukommt? Haben Sie die Sorge, dass Sie isoliert werden
könnten, weil man in unserer Gesellschaft noch immer nicht frei
genug über das Thema „Krebs“ spricht? Fallen Ihnen plötzlich
Schicksale anderer Krebsbetroffener ein, die Ihnen Angst machen?
3.
Relativieren Sie
Ihre Sorgen. Gönnen Sie sich bei Bedarf
die Hilfe eines „Krebs-erfahrenen“ Psychotherapeuten. Im Gespräch
mit diesem werden Sie erleben, dass viele Ihrer Sorgen teilweise
erheblich nachlassen. Unter anderem werden Sie dabei erfahren, dass
Ihre bisherigen Vorstellungen gar nicht immer so viel mit Ihrer
individuellen Situation zu tun haben. Außerdem werden Sie am eigenen
Beispiel nachvollziehen, dass man über (fast) alles sehr gut reden
kann. Diese Erfahrung können Sie dann auf Ihre Beziehungen zu
anderen Menschen übertragen.
4.
Leben Sie weiter.
Bei manchen Krebsbetroffenen hat man den Eindruck, dass Sie sich
aufgrund der Diagnose schon so verhalten, als wären Sie bereits tot.
Das ist vermutlich der größte Fehler, der Ihnen zur Zeit unterlaufen
könnte. Fragen Sie sich an jedem Morgen, was Sie an dem jeweiligen
Tag tun würden, wenn es die Diagnose nicht gegeben hätte. Überlegen
Sie, ob Sie einen Teil dieser Dinge nicht trotz der Diagnose tun
oder erleben wollen. Lassen Sie auf keinen Fall Ihr gesamtes
weiteres Leben nur noch durch die Krebsdiagnose bestimmen. Ziehen
Sie sich nicht aus wichtigen Beziehungen zurück (es sei denn, dass
Ihr bisheriges Leben mit Stress oder einem Zuviel an Kontakten
überfrachtet war). Vermeiden Sie auch den Fehler, immer nur voller
Sorgen auf das Ergebnis der nächsten Kontrolluntersuchung zu warten.
Wenn eine solche Untersuchung gut ausfällt, sollte dies ein
ausreichender Grund sein, die Zeit bis zur nächsten Kontrolle um so
mehr zu genießen.
5.
Bleiben Sie im
Gespräch. Wenn die Diagnose gesichert ist,
macht es meist sehr viel Sinn, diese auch wichtigen Bezugspersonen
mitzuteilen. Wenn Sie anderen „seelische Lasten“ ersparen wollen
(der Ehefrau, den Kindern, Freunden und Bekannten), tun Sie sich
selbst, aber auch den „anderen“ meist keinen Gefallen. Für Sie
persönlich wird die „Last“ um so größer und die „anderen“ spüren
meist, dass Sie etwas verheimlichen. Dadurch können Phantasien und
(unausgesprochene) Ängste entstehen, die ihrerseits die Beziehungen
zusätzlich unnötig belasten. Nutzen Sie die Möglichkeit, Ihr
Gegenüber zu befragen, was die Diagnose Krebs bei diesem ausgelöst
hat. Wenn Sie über solche menschlichen „Reaktionen“ im Gespräch
bleiben, werden Sie Ihre Beziehungen auch in Krisenzeiten
hervorragend „regeln“ können. Scheuen Sie sich nicht, auch Ihren
Ärzten entsprechende Fragen zu stellen. Diese sind ebenfalls nur
ganz „normale“, also nicht perfekte Menschen, was Sie über kurz oder
lang bei der Behandlung ohnehin feststellen werden. Scheuen Sie sich
nicht, Ihre Ärzte mit Fragen zu „löchern“. Wenn es um das eigene
Leben geht, kann man sich nicht blamieren und gibt es keinen Grund,
„auf eine günstigere Gelegenheit zu warten“.
6.
Planen Sie von
einer Wegmarke zur anderen. Es ist ganz
natürlich und auch vernünftig, wenn Sie sich jetzt so kundig wie
möglich machen. Dafür bietet das Internet heutzutage eine
unerschöpfliche Quelle (leider mitunter auch der Verwirrung). Bitte
bedenken Sie bei Ihren Nachforschungen unbedingt, dass alle „Fakten“
und „statistischen Werte“ sich auf Menschen beziehen, die nicht
unbedingt mit Ihnen vergleichbar sind. Gehen Sie vor allem mit
„Prognosen“ sehr kritisch um. Prüfen Sie, ob diese überhaupt auf Sie
zutreffen (und wenn ja in welchem Umfang). Deshalb macht es nicht so
viel Sinn, alle möglichen Einzelheiten eines sehr langen
Weges jetzt schon zu bedenken (da von diesen Eventualitäten immer
nur ein Bruchteil auf Sie zutreffen wird). Das kann sehr Energie
raubend sein. Die „Hauptreiserichtung“ sollten Sie allerdings immer
im Auge behalten. Dazu gehört insbesondere die Frage, wie Sie die
kommenden Wochen, Monate und Jahre möglicherweise anders gestalten
wollen, als es bislang geplant war.
7.
Schöpfen Sie alle
medizinischen Möglichkeiten aus. Wir haben
in Deutschland das Glück, dass jeder Bürger Anspruch auf die
notwendige Diagnostik und Behandlung hat. Sie dürfen also darauf
vertrauen, dass man Ihnen alle heute zur Verfügung stehenden
Möglichkeiten eröffnet. Es liegt an Ihnen, diese auch rasch und
konsequent auszuschöpfen. Bei manchen Krebserkrankungen (schnell
wachsende Tumore) ist es wichtig, nicht unnötig Zeit zu verlieren.
Beginnen Sie also nicht mit den „alternativen Methoden“, sondern
setzen Sie die letztgenannten möglichst immer „ergänzend“ ein (also
nicht „alternativ“). Vertrauen Sie darauf, dass alle Ärzte
mittlerweile gehalten sind, Ihre Behandlungen am „gesicherten Stand
der Wissenschaft“ (Evidence Based Medicine) zu orientieren. Dieser
hat Eingang in „Leitlinien“ gefunden, die Sie meistens im Internet
finden werden. Zögern Sie nicht, sich bei unklaren Diagnosen eine
„zweite Meinung“ einzuholen. Das ist nicht nur Ihr gutes Recht,
sondern auch ratsam, da Ihre Erkrankung mit großer
Wahrscheinlichkeit nicht „lehrbuchmäßig“ verläuft. Selbst unter
Kostengesichtspunkten ist es sinnvoll, die Weichen schon am Anfang
optimal zu stellen (wozu eine zweite Meinung beitragen kann).
Entscheiden Sie sich bei stationären Aufenthalten möglichst für eine
Klinik, die schon über größere Erfahrung im Umgang mit ihrer
Erkrankung verfügt. Mittlerweile ist es bei einzelnen
Tumorerkrankungen (Beispiel: Brustkrebs) sogar verbindlich
vorgesehen, diese nur noch in erfahren „Zentren“ zu behandeln. Im
Anschluss an die Versorgung im Akutkrankenhaus haben Krebsbetroffene
in aller Regel Anspruch auf eine „onkologische Rehabilitation“ in
einer Nachsorgeklinik. Machen Sie davon Gebrauch.
8.
Lassen Sie Ihre
Gefühle zu. Für viele Menschen ist die
Diagnose Krebs oft der erste Anlass, sich intensiver mit der eigenen
Gefühlswelt auseinander zu setzen (was für Männer mitunter
schwieriger ist als für Frauen). Normalerweise erleben die meisten
Menschen in einer solchen Situation Gefühle von Wut und Zorn („Warum
gerade ich?“), aber auch von Angst und Verzweiflung („Soll das mein
Leben gewesen sein?“ „Was kommt als nächstes?“). Sie hadern mit
ihrem Schicksal und wollen es nicht wahr haben. Um den eigenen
Energiehaushalt zu entlasten und die zwischenmenschlichen
Beziehungen nicht damit zu belasten, sollten Sie sich ihrer Gefühle
bewusst werden, diese ansprechen und die mit den Gefühlen verbundene
Energie konstruktiv nutzen (z. B. in Form gesunder Verhaltensweisen,
aktiver Therapiemitarbeit, neuer Lebensgestaltung). „Bekämpfen“ Sie
nicht Dinge, die sich nicht mehr verändern lassen. Akzeptieren Sie
diese lieber und werden Sie dadurch in Ihren Handlungs- und
Erlebnismöglichkeiten freier.
9.
Verzichten Sie
auf Schuldzuweisungen. Viele Menschen
fragen sich nach der Krebsdiagnose, was sie falsch gemacht haben.
Diese Frage lohnt insofern, als die Antwort dazu anregen kann, das
weitere Leben günstiger zu gestalten. Auf keinen Fall sollte man mit
Hilfe der genannten Frage „den oder die Schuldigen“ suchen. Das
bringt nicht weiter, sondern erhöht für alle Beteiligten nur den
schon meist reichlich vorhandenen Stress. Schuldzuweisungen sind oft
nur Ausdruck von Wut und Verzweiflung, der Hilflosigkeit („Das kann
doch nicht alles nur Schicksal sein!“) und des Bemühens, für den
Gang der Dinge nicht allein Verantwortung tragen zu müssen. Außerdem
lenken Schuldzuweisungen den Blick weg von Gegenwart und Zukunft,
die aufgrund der Krebserkrankung jetzt vermehrt Beachtung verdienen.
10.
Verringern Sie
„Dis-Stress“. Fast immer findet man bei
Krebsbetroffenen „massiven Stress“ in der Vergangenheit (Definition:
Stress ist ein Missverhältnis zwischen inneren und äußeren
Anforderungen einerseits und den vorhandenen Möglichkeiten ihrer
Bewältigung andererseits). Es ist müßig zu überlegen, ob Stress zur
Krebsentstehung beitrug (das verändert nichts an der gegenwärtigen
Situation). Viel hilfreicher ist es, sich in Gegenwart und Zukunft
unnötigen Stress zu ersparen. Denn ein Übermaß an Stress
beeinträchtigt nachweislich das Immunsystem. Dieses kann Krebszellen
dann weniger gut erkennen und beseitigen. Rutschen Sie auf keinen
Fall von einem Extrem ins andere: Absolut nichts mehr zu tun, ist
selten eine bessere Lösung. Am förderlichsten für unsere Gesundheit
sind Anforderungen, die uns reizen und die wir mit „etwas“ (!)
Anstrengung bewältigen können (sog. Eustress). Achten Sie bei Ihrer
Lebensführung auf einen vernünftigen Wechsel von Anspannung und
Entspannung. Erlernen Sie bei Bedarf Autogenes Training, progressive
Muskelrelaxation oder Meditation. Auch Biofeedback kann Ihnen
helfen, sich selbst zu beruhigen. Hören Sie nicht unbedingt auf,
Sport zu treiben, wenn dieser Ihnen bisher gut getan hat (Fragen Sie
dazu Ihren Arzt!).
11.
Zapfen Sie alle verfügbaren Informationsquellen an.
Zögern Sie
nicht, alle vorhandenen Informationsquellen auszuschöpfen. Wie
wollen Sie kompetent an Ihrer Behandlung mitwirken und alle
wesentlichen Entscheidungen selbst treffen, wenn Ihnen ein Minimum
an Entscheidungsgrundlagen (Informationen) fehlt? Hilfreiche
Ansprechpartner sind heute außer Ihren behandelnden Ärzten auch
Tumorzentren, Selbsthilfegruppen und „Hotlines“ für Krebsbetroffene.
An die zuletzt genannten können Sie sich per Telefon oder per E-Mail
wenden. Als Beispiel sei der Krebsinformationsdienst Heidelberg
genannt (Tel. 06221-410121, mo-fr 8-20 Uhr, E-Mail:
krebsinformation@dkfz.de, Internet:
www.krebsinformation.de). Informationen zu
Selbsthilfegruppen erhalten Sie ebenfalls oft im Internet, bei Ihrer
kassenärztlichen Vereinigung oder dem Paritätischen
Wohlfahrtsverband. Zu den häufigeren Krebsarten (wie Brustkrebs)
gibt es meist schon laienverständlich geschriebene Bücher oder
Broschüren der pharmazeutischen Industrie. Mittlerweile bieten zudem
viele gesetzliche Krankenkassen und Privatversicherungen
„Gesundheitstelefone“ für Ihre Kunden an. Manche Krankenkassen haben
für ihre Versicherten sogar einen besonderen Service: Ein
medizinisch kompetenter Mitarbeiter („Gesundheitspilot“, „Case-Manager“)
begleitet den Versicherten bei komplizierteren Behandlungen durch
das „Gestrüpp des Gesundheitsdickichts“. Erkundigen Sie sich bald,
ob Ihnen ein solcher Service zur Verfügung steht.
12.
Erfragen Sie die
Therapieprinzipien. Um konstruktiv an
Ihrer Behandlung mitwirken zu können, ist es unabdingbar, deren
Prinzip verstanden zu haben. So sollte man beispielsweise bei einer
Chemotherapie wissen, dass diese darauf abzielt, Zellen während des
Vermehrungsprozesses zu behindern. Da sich Tumorzellen besonders
rasch vermehren, erzielen Chemotherapeutika bei diesen viele
„Treffer“. Leider gilt dies auch für schnell wachsende gesunde
Zellen, wie Haar- oder Schleimhautzellen (was viele Nebenwirkungen
erklärt, wie etwa den Haarausfall). Zugleich wird verständlich,
warum Chemotherapie bei langsam wachsenden Tumoren weniger
erfolgreich ist.
13.
Legen Sie eine Gesundheitsakte an.
Wer als Krebsbetroffener nicht das Glück hat, nur einen
Ansprechpartner vorzufinden (z. B. Betreuung durch ein
Tumorzentrum), muss seinen „Fall“ oft mit vielen unterschiedlichen
Helfern besprechen. Sie erleichtern sich dies und sorgen für eine
optimale Information aller Beteiligten, wenn Sie sich eine
„Gesundheitsakte“ anlegen, in der Sie alle wichtigen Fakten und
Informationen sammeln, die Ihre Erkrankung betreffen (z. B. auch die
Namen und Adressen Ihrer medizinischen Betreuer, insbesondere aber
Ihre ausführliche und ständig aktualisierte „Krankengeschichte“).
Machen Sie davon ausreichend viele Kopien und reichen sie (nur!) die
Kopien weiter.
14.
Mit Unsicherheit
leben lernen. Selbst wenn Sie alle heute
verfügbaren Informationsquellen nutzen, wird immer ein mehr oder
weniger großer Rest an Unsicherheit bleiben. Daran ändern auch noch
so viele „Statistiken“ und „Erfahrungen“ nichts. Mit dieser
Erkenntnis sollten Sie sich arrangieren, um sich selbst „Ent-Täuschungen“
zu ersparen. Machen Sie sich bewusst, dass Ihnen niemand die
Verantwortung abnehmen kann, angesichts der immer vorhandenen
Unsicherheit „Entscheidungen“ treffen zu müssen (zum Begriff der
„Entscheidung“ gehört ja, dass diese in einer gewissen Unsicherheit
getroffen wird). Da Leben unberechenbar ist (manche beschreiben es
auch als „Eine Störung nach der anderen“), zeigt immer erst die
weitere Entwicklung, inwieweit eine Entscheidung letztendlich
wirklich hilfreich war. Auch wer einen Menschen heiratet, erfährt
oft erst nach sehr vielen Jahren, ob sich die Entscheidung in der
Praxis als gut erwiesen hat. Ähnliches gilt für
Berufsentscheidungen. Warum sollte es in Gesundheitsangelegenheiten
anders sein? Wägen Sie bei Ihren Entscheidungen immer sorgfältig
zwischen den sich mitunter ausschließenden Alternativen
„Lebensverlängerung“ und „gute Lebensqualität“ ab. Oft ist es
befriedigender, lieber etwas kürzer, dafür aber glücklicher zu
leben, als einige Monate oder Jahre zu gewinnen, die man dann aber
hauptsächlich im Krankenhaus verbringt (anders ausgedrückt: „Es
kommt nicht immer darauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt
werden“). Zwar kann Ihnen niemand abnehmen, die für Ihr weiteres
Leben wichtigen Werte selbst festzulegen. Dennoch haben Sie die
Möglichkeit, sich vorher mit Freunden und Verwandten zu besprechen.
15.
In der Krise die
Chance entdecken. Für sehr viele Menschen
stellt die Krebsdiagnose einen „wertvollen“ (!) Wendepunkt in ihrem
Leben dar. Sie reißt sie aus dem „Alltagstrott“ heraus, indem sie
ihnen die Endlichkeit des Lebens abrupt vor Augen führt und den Sinn
bisherigen Tuns hinterfragen lässt. Manche ziehen daraus
Schlussfolgerungen und gestalten Ihr Leben um. Vor allem: Sie
gewinnen ein neues Verhältnis zu Gegenwart und Zukunft, indem sie
die Gegenwart viel mehr schätzen und genießen und Wichtiges nicht
länger auf den meistens doch nicht eintretenden Tag X verschieben.
Überlegen Sie, ob Sie nicht auch in dieser Hinsicht ein wenig
umdenken und anders handeln wollen. So paradox es auch klingt: Nicht
wenige Menschen lebten nach der Diagnose Krebs in mancherlei
Hinsicht glücklicher als zuvor.
Zögern Sie nicht, mir
weitere hilfreiche Ansätze mitzuteilen!
Alles Gute!
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