Gespräche und
Besprechungen gehören zum beruflichen Alltag. Das Eingangsbeispiel
skizzierte eine gängige Praxis vieler Unternehmen. Verdichtet lassen sie
sich die Erfahrungen kurz wie folgt darstellen:
- Besprechungen sind häufig nicht
ausreichend vorbereitet: sie finden oft ohne definierte Zielsetzung,
Themen bzw. Tagesordnung und Zeitrahmen statt. Die Folge ist, dass die
Teilnehmer ebenfalls nicht vorbereitet sind und der Verlauf für alle
Beteiligten unbefriedigend ist.
- Viele Besprechungen beginnen
verspätet, z.B. weil die Bedeutung nicht klar ist, einige der Teilnehmer
nicht rechtzeitig erscheinen. Analog sind die Terminplanungen mancher
Teilnehmer so eng, dass sie vorzeitig die Besprechung verlassen müssen.
- Häufig werden Besprechungen
weder moderiert noch geleitet.
- Die Besprechungsteilnehmer
hören einander nicht wirklich zu. Es fällt ein Stichwort – und schon
wird ein Gesprächsbeitrag unterbrochen. Ein wirklicher und konstruktiver
Dialog im Sinne der Sache entsteht nicht.
- Besprechungen werden immer
wieder, auf Kosten der „inhaltlichen Arbeit“, zur persönlichen
Profilierung genutzt.
Zurück zum einführenden
Beispiel: Allein die Durchführung der Besprechung mit 10 Mitarbeitern über
2,5 Stunden verursacht durchschnittliche kalkulatorische Kosten in Höhe
von 2500 – 3000 Euro. Eine deutlich schwerwiegendere Folge jedoch ist,
dass die Motivation aller Beteiligten, zukünftig an einer solchen
Besprechung teilzunehmen, sicherlich sinken wird.
Schade um die Zeit und Energie!
Darüber hinaus wird die fortgesetzte Wiederholung von Besprechungen dieser
Art und Weise das Verhalten der Mitarbeiter und damit die
Unternehmenskultur nachhaltig prägen.
Erstaunlich ist, dass die
Fachliteratur zum Thema „Moderation und Durchführung von Besprechungen“
viele Regale füllt. Warum ist es in der Praxis trotzdem so schwer,
effektive und befriedigende Besprechungen durchzuführen?
Was können wir für
Besprechungen aus Aikidō lernen und in die
berufliche Praxis übertragen?
Schauen wir uns die wichtigsten Aspekte an:
·
Ein angemessener Rahmen
und eine gute Atmosphäre sind wichtig für das Gelingen
(analog zum Aikido-Dōjō).
Er macht die Bedeutung des Gesprächs für alle Teilnehmer deutlich. Es ist
wichtig, einen „geschützten Raum“ für Austausch und Dialog zu schaffen.
Infrastruktur und alle benötigten Hilfsmittel sind vorhanden. In einem
vertrauensvollen Miteinander sind Fragen selbstverständlich und leisten
einen Beitrag zum gemeinsamen Verständnis und Lernen.
- „Pünktlichkeit“ wird übersetzt
mit Wertschätzung für alle Teilnehmenden. Alle Teilnehmer
investieren ihre wertvolle Zeit und Energie; die wechselseitige
Wertschätzung gebietet diese nicht unnötig zu vergeuden.
·
Teilnehmer aus anderen
Wissensgebieten oder Fachbereichen sprechen oft eine andere Sprache.
Begriffe sind anders besetzt; die Denk- und Arbeitsweise ist meist anders
entwickelt. Hier kommt es darauf an, wirklich zuzuhören und den
Gesprächspartner ausreden zu lassen; wirklich verstehen wollen, statt auf
ein Stichwort hin dem Sprecher ins Wort zu fallen und seine eigenen Fragen
zu stellen. Mit anderen Worten: es geht darum, die Perspektive
meines Gesprächpartners einzunehmen (Perspektivenwechsel analog zur
Technik
irimi).
·
Der vertraute Rahmen ermöglicht
gemeinsames Lernen in der Praxis – mit direkter Rückkopplung über
den erreichten Lernerfolg. Es ist hilfreich die Grundhaltung des
Lernenden einzunehmen statt die des „Wissenden“! „Wenn ich etwas nicht
verstehe, frage ich nach. Meine Beiträge sind wertungsfrei und
wertschätzend“.
·
Jeder Teilnehmer wird meist mit
unvorhergesehenen Situationen und Fragen konfrontiert. Eine Vorbereitung,
die dies vollständig verhindern könnte, ist nicht möglich. Diese Situation
ist vergleichbar mit der des „Freikampfes“ (Jiyu-Waza)
im Aikidō. Hier kommt es darauf an den Überblick und die
Orientierung zu bewahren sowie seine eigene Kompetenz und die der
Gruppe zu nutzen.
·
Der Gesprächsleiter (Moderator)
gibt Orientierung und versteht sich als Dienstleister für die Gruppe. Er
initiiert zum Ende der Besprechung eine gemeinsame Reflexion im
Sinne von:
- „Was habe ich gelernt?“
- „Was hat mir an der heutigen Besprechung gefallen?“
- „Was möchte ich verbessern?“
Dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung für qualitative
Weiterentwicklung von Teilnehmern und Organisation.
·
Jeder
Teilnehmer übernimmt die unbedingte Verantwortung für den Verlauf
und das Ergebnis der Besprechung bzw. des Gespräches. Jeder hat einen
Gestaltungsspielraum und somit Einfluss auf das gemeinsame Ergebnis! Die
„lernende Organisation“ beginnt bei ihren Mitarbeitern und ist ein langer
Weg! Sie ist das Ergebnis vieler kleiner Schritte und kontinuierlicher
Übung.
Auch die Durchführung von
Besprechungen kann als Weg (Dō)
verstanden werden: es wird nicht gleich bei der ersten Besprechung
gelingen, alle „Probleme“ der Vergangenheit zu beseitigen. Lernen ist ein
kontinuierlicher Prozess –eine Art Spirale- aus „Ziel, Handeln und
Reflexion“ etc. Der Prozess ist umso komplexer, je mehr Menschen sich im
Kontext einer Organisation gemeinsam entwickeln.
Und so könnte eine
Besprechung verlaufen, wenn die Grundprinzipien des Aikidō angewendet
werden:
Montagmorgen 11.00. Eine wichtige
Besprechung. Die Einladung mit kurzer Agenda und Zielen habe ich vor drei
Tagen erhalten. Aus der Teilnehmerliste konnte ich entnehmen, dass der
Abteilungsleiter auch da sein wird. Sehr gut - ich hatte ausreichend Zeit
meine Argumentation vorzubereiten. Wenn die Besprechung so gut läuft, wie
sie vorbereitet wurde, werden wir wohl zügig fertig sein.
Als ich um kurz vor elf den Raum betrete, sind schon fast alle da. Beim
Kaffee bleibt noch Zeit für einen kurzen Plausch mit meinem neuen
Kollegen, der seit kurzem die Projektleitung hat. Mein Kollege aus der
anderen Abteilung fragt mich, wie ich zu Punkt 2 der Tagesordnung stehe.
Er möchte sich gerne mit mir im Anschluss noch über das weitere Vorgehen
abstimmen.
Wir beginnen pünktlich. An der Wand hängt noch das Papier mit den
Gesprächsregeln, welche wir gemeinsam in unserer letzten Besprechung
vereinbart haben.
Der Moderator stimmt kurz die Reihenfolge der Themen und die Ziele unseres
Meetings ab. Er schlägt vor, den Punkt 2 als letztes zu behandeln. Dann
wird auch der Abteilungsleiter da sein, der sein späteres Kommen
angekündigt hat. Das erste Thema wird zügig bearbeitet. Alle sind gut
vorbereitet – die Wortbeiträge sind respektvoll und angemessen in der
Dauer. Der Projektleiter hat ein Handout für seinen Vortrag mit der
Einladung verteilt. Er beschränkt sich auf die wesentlichen Themen, die er
auf einem Flipchart verdichtet dargestellt hat. Mittlerweile ist auch der
Abteilungsleiter da. Er entschuldigt sich kurz für seine Verspätung. Der
Moderator gibt ihm –in einer 5-Minutenpause- einen kurzen Abriss der
bisherigen Ergebnisse. Nach der Pause diskutieren wir kontrovers die
aktuelle Situation im Projekt. Der Abteilungsleiter schätzt die Situation
anders ein als der Projektleiter. Der Moderator hält den „roten Faden“ der
Diskussion in der Hand; er fasst die konträren Standpunkte für alle
verständlich zusammen und macht einen konstruktiven Vorschlag, der alle
Positionen zufrieden stellt. Gemeinsam stimmen wir das weitere Vorgehen
ab.
Nach knapp zwei Stunden haben wir alle Themen besprochen. Wir sind sicher
früher fertig. Der Moderator fasst die erarbeiteten Ergebnisse und
Beschlüsse zusammen. Das Fotoprotokoll der heutigen Arbeitsergebnisse
werden wir heute per Email bekommen.
Es bleibt noch genügend Zeit für eine Abschlussrunde unter dem Motto „benefits
& concerns“. Wir vereinbaren einstimmig, Beschlussvorlagen demnächst
ebenfalls mit der Einladung zu versenden. Nach zweieinhalb Stunden endet
das Meeting. Ich bin mit dem Verlauf und Ergebnis sehr zufrieden. Wir
haben einen klaren Konsens für das weitere Vorgehen im Projekt erreicht.
Die Sitzung hat sich wieder mal gelohnt.
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