Scham
und geringes Selbstwertgefühl lassen sich nicht mit dem Verstand allein
verbessern. Erklärungen (wie sie dieser Text bietet) reichen meist
nicht aus. Zumindest verringert Information über die Zusammenhänge
oft das Gefühl völliger Hilflosigkeit. Außerdem vermittelt sie
erstmals das Erlebnis, „endlich einmal verstanden zu werden, wie man
ist“.
Zur
„Heilung“ bedarf es fast durchweg neuer heilsamer Erfahrungen und
Erlebnisse. Zu ihnen gehören besonders
-
die Wertschätzung
der eigenen Person und des eigenen Erlebens durch einen Therapeuten oder
eine Therapeutin („Ansehen genießen“), dabei gilt es, auch
sich selbst wertschätzen zu lernen ("wie man nun mal
ist"),
-
die Erfahrung, Gefühlszustände
mit anderen teilen zu können (gemeinsame Trauer, Freude, Ärger
usw. - dies hilft, wieder Vertrauen in
das eigene Wahrnehmungsvermögen und in Beziehungen zu entwickeln),
-
das
häufige Erleben, dass man sich gefahrlos zeigen und geben kann,
wie man ist
(ohne dass neue Katastrophen – insbesondere Abwertungen - eintreten),
z.B. indem man Schwimmen oder in die Sauna geht, an Rhetorik-Kursen
der Volkshochschule teilnimmt,
-
das
Erlernen von Techniken, wie man sich Rückmeldungen
(Feedbacks) einholt (statt sich immer nur selbst zu fragen
"Was andere wohl von mir denken?", und
-
die
Erfahrung, Frustrationen (Enttäuschungen) bewältigen zu
können, ohne dass die Welt zusammenbricht und man sofort mit dem
Gedanken an Selbstmord spielt (denn nicht immer kann man der
"Sieger" sein).
Hier können verhaltenstherapeutische Maßnahmen nützlich sein (wie
„Antischam-Training“
oder Rollenspiele, die der Selbstsicherheit dienen).
Zugleich kann es sinnvoll sein, dass sich Therapeuten ausnahmsweise
etwas mehr „zeigen“, als es üblich ist, insbesondere in dem sie
(beispiel- oder vorbildhaft) auch „Schwächen“ enthüllen. Das Einüben
von Sozial- bzw. Beziehungskompetenz (zum Beispiel durch Rollenspiele) erleichtert
es, eine vielleicht schon eingetretene Isolation aufzuheben und
schamfördernde Verhaltensweisen (nicht nein sagen können, nichts
fordern, es allen recht machen) zu verändern. Auf diese Weise können
die Betroffenen lernen, ihrerseits nicht selbst bei anderen Scham
auszulösen (durch Bloßstellung oder Demütigung =
"Gegenbeschämung"). Kognitive Therapie kann die
teilweise religiös vermittelte Annahme relativieren, dass man sich auch
für seine Gedanken schämen muss (bis hin zu den Träumen). Eine
solche Annahme sorgt sonst für dauerhafte Ohnmachtserlebnisse, da
Gedanken nur schwer (und Träume überhaupt nicht) beherrschbar sind. Hier ist es hilfreich zu erkennen, dass "Gedanken frei sind"
und "dass wir an unseren Taten gemessen werden".
Kognitive Therapie kann auch dazu verhelfen, krankmachenden Gedanken
("Was andere wohl über mich denken?") ein entschiedenes "Stopp"
entgegenzuhalten. Außerdem kann man mit Hilfe dieses Verfahrens
erkennen, dass man sich die "Hölle auf Erden" durch
ungünstige Gedanken und Bewertungen ("ich bin zu dick") oft selbst
bereitet. Nicht zuletzt kann man lernen, die Welt
"realistischer" wahrzunehmen, etwa indem man sich vor Augen
führt, dass sich Top-Modells ihre "Traumfiguren" durch
krankmachendes Verhalten und Selbstvergewaltigung erkaufen.
Unterschiedliche Formen der Gesprächstherapie bei einfühlsamen
Therapeuten erlauben es, sich einmal "stressfrei" zu
zeigen, wie man ist, und dabei erstmals schwierige (schamerzeugende)
Situationen der eigenen Lebensgeschichte zu besprechen.
Außerdem
gilt es, das oft „eingefleischte“ Gefühl von „Ohnmacht“ zu
verändern. Dazu verhelfen Erlebnisse und Erfahrungen, bei denen man
sich als „wirksam“ erlebt. Eine „Normalisierung“ unerreichbar
hoher Ideale verhindert Vergleiche, die Scham auslösen. Oft muss
man auch gesellschaftliche Wertvorstellungen relativieren (wie
Schönheitsideale, Jugendlichkeitswahn, sexuelle Potenz, die Einstellung
"man ist, was man leistet", bestimmte Vorstellungen von
"Ehre").
Schließlich
gilt es auch, wieder oder erstmalig „Vertrauen“ in den Körper
zu entwickeln. Nicht nur in diesem Punkt kann Bewegungstherapie eine große
Hilfe sein: Bewegungstherapie (Sport) lädt ein, den Körper besser
wahrzunehmen, Symptome als „natürliche Rückmeldungen“ zu
interpretieren und sich durch zunehmende „Bewegungskompetenz“
(Fitness, Kraft, Beweglichkeit) als „wirksam“ zu erleben. Schließlich
können auch ein „Genusstraining“ sowie Entspannungsübungen
und künstlerische Therapien wichtige Beiträge liefern, indem
sie die Selbstwahrnehmung fördern und sie mit angenehmen Gefühlen
verbinden.
Gruppentherapie
hilft besonders, Schamgefühle zu überwinden und soziale Kompetenzen
zu gewinnen. In diesem Zusammenhang kann man auch üben, sich
gegenseitig hilfreiche (abwertungsfreie!) Rückmeldungen zu geben („Feedback-Kompetenz“).
Zugleich tritt häufigere Fremdbeobachtung an die Stelle der meist übertriebenen
Selbstbeobachtung und kann man lernen, eigene Gefühle mit denen
anderer abzustimmen. Forscherdrang und Lust, die Welt zu erobern, können
anstelle einseitiger Selbsterforschung treten. Eine familientherapeutische
Sichtweise (arbeiten mit dem Stammbaum,
"Familienaufstellungen") entlastet bei familiär begründeter Scham: 1. Sie
befreit von der Vorstellung, mit einer (vermeintlichen) Absonderlichkeit
allein bzw. für diese ausschließlich verantwortlich zu sein. 2. Sie verbindet die von Scham betroffene Person wieder
mit ihrer Familie und überwindet so das Gefühl, ausgeschlossen zu
sein. Für diejenigen, die Scham erzeugt oder weitergegeben haben, kann
Mitgefühl entstehen, da erkennbar wird, dass sie auch nur ein kleines Rädchen
in einer oft langen Geschichte sind. Einladungen
zu Humor, Spiel und kreativen Elementen können durch
Scham gedämpfte Freude und Lust wiederbeleben. |