Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Magie der Worte

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Foto: www.bilderbox.biz
 

Die wenigsten Menschen machen sich Gedanken über die Wirkung Ihrer Worte. Schnell ist etwas „hingeplappert“, was auch nicht tragisch ist, wenn es ohne Folgen bleibt (also nicht vernommen wird). Aber wehe wenn das Geplappere das Gegenüber verletzt oder in Wut versetzt oder Angst auslöst! Die Welt ist dann sofort eine andere und meist gelingt es nicht mehr, das Gesagte völlig ungeschehen zu machen. Selbst wenn der andere verzeiht, wird das nicht nur Gesprochene, sondern auch Gehörte vermutlich auf beiden Seiten im Gedächtnis dauerhafte Spuren hinterlassen haben. Sprecher und Zuhörer sind dann auf Dauer „verändert“ und werden im Umgang mit dem weiteren Leben mehr oder weniger stark durch die betreffende Erfahrung (Verletzung, Wut, Angst) beeinflusst.

Welche enorme Kraft Worte haben, beschreiben nicht nur Dichter wie Joseph von Eichendorff in Versen wie

Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.

Auch die Bibel schreibt dem Wort eine kaum zu überbietende Bedeutung zu, wenn es heißt (Johannes 1,1-2)

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Alles wurde geschaffen durch das Wort und nichts ist geschaffen ohne das Wort.

Kann man die „Schöpfungskraft“ des Wortes noch überzeugender beschreiben?

Zu den Personengruppen, die ebenfalls viel zu selten ihre Worte bedenken, bevor sie diese aussprechen, gehören insbesondere Eltern, Lehrer und Erzieher, die sich bisweilen zu Aussagen verleiten lassen wie „Aus dir kann nichts werden“ oder „Das kannst du nicht“. „Du bist böse“. Ein solcher Satz prägt nicht selten das gesamte weitere Leben eines Kindes oder Jugendlichen, wenn der Betreffende am Inhalt nicht zweifelt, weil er der Autorität des Sprechers vertraut. Künftig kann die Welt dann nur noch durch die Brille dieser Vorstellung wahrgenommen werden. Zu den Personengruppen, deren Worte mitunter ebenfalls sehr mächtig sind, gehören nicht zuletzt die Ärzte: Ihre „Diagnosen“ verändern das Erleben des jeweiligen Patienten oft schlagartig und beeinflussen sein weiteres Denken, Verhalten und Fühlen in der Regel sehr nachhaltig. Dies ist kein Problem, wenn es dem Patienten zum Besten gereicht. Nicht selten ist das leider nicht der Fall. Dann schmerzen die Worte des Arztes oft länger und mehr als die körperlichen Symptome. So kann eine nur beiläufig gemeinte Bemerkung des Arztes „Wir sollten auch Krebs ausschließen“ wochen- bis monatelang, wenn nicht sogar lebenslang (!) eigentlich völlig unnötige Ängste erzeugen.

Was können wir daraus lernen? Worte können gleichermaßen verletzen (ängstigen) wie heilen (beruhigen). Je nach Gebrauch wirken sie als Waffe oder Balsam. Dabei hängt der jeweilige Effekt meist weniger vom Sprecher als vielmehr vom Zuhörer ab („Denn über den Inhalt einer Botschaft entscheidet immer der Empfänger!“). Jeder von uns sollte also zumindest in bedeutungsvollen Zusammenhängen (also beispielsweise nicht bei „Spaßveranstaltungen“), darauf achten, was und wie er es sagt, und sich möglichst immer vergewissern, wie das Gesagte beim Zuhörer angekommen ist.

Dass zu den „heilenden Berufen“ insbesondere auch Psychotherapeuten gehören, leuchtet in diesem Zusammenhang unmittelbar ein. Denn noch immer setzen die meisten Psychotherapeuten vor allem Worte als „Medizin“ ein, etwa wenn sie dem Patienten eine neue Deutungsmöglichkeit eines Ereignisses anbieten, unter dessen bisheriger Deutung er noch immer leidet. Wer aufgrund einer solchen Anregung beispielsweise nachvollziehen kann, dass das Gehörte nicht als „Beleidigung des Zuhörers“ gemeint war, sondern als eine „Rückmeldung über das Befinden des Sprechers“ ist mitunter schlagartig den „belastenden Ärger“ los. Er ist damit zumindest in diesem Punkt wieder „geheilt“ bzw. „unversehrt“.

Da unser gesamtes BEWUSSTES Erleben (inklusive der von uns bewusst wahrgenommenen Welt) durch Begriffe beschrieben wird, ist bewusstes Erleben letztlich nur mit Hilfe von Worten möglich. Wer seine Worte verändert (also das eigene Leben „mit anderen Worten beschreibt“), verändert damit automatisch auch sein Weltbild und sein Welterleben. Diese Aussage versteht jeder, der der sich mit dem Unterschied zwischen positivem und negativem Denken befasst hat. Als Beispiel dafür dient klassischer Weise das Bild des zu 50 Prozent gefüllten Glases, das man sowohl als „(leider) schon halb leer“ oder „(glücklicherweise) noch halb voll“ beschreiben kann. Je nach dem wie ich die Situation beschreibe, werde ich mich dann mehr oder weniger gut fühlen. Viele Phänomene, die unser Leben beeinflussen, existieren sogar nur in Form von Begriffen, beispielsweise in den Worten „Ehre“ oder „Wert“. Solche Phänomene können nur existieren und unser Leben beeinflussen, weil sich ausreichend viele oder mächtige Menschen darauf geeinigt haben, dass sie das, was mit den Worten beschrieben werden soll, als „gültig“ anerkennen. Wenn sich heute die „Mächtigen“ darauf einigen, dass Geld nichts mehr „wert“ ist, dann ist es auch schon vorbei mit dem „Wert“.

Wussten Sie, dass es bis zum Mittelalter in der deutschen Sprache die „Zukunft“ als Zeit nicht gab? Erst als man von der lateinischen Sprache diese Beschreibungsmöglichkeit von Erleben übernahm, wurde es in Deutschland möglich, die dazu passenden Vorstellungen zu entwickeln. Bis dahin erlebte man sich permanent in der Gegenwart, wobei in dieser Gegenwart Dinge und Ereignisse „ankamen“, die man heute in der Zukunft verorten würde. Das früher verbreitete Zeiterleben klingt noch in dem Ausdruck „Advent“ an, wo etwas (aus der Zukunft) „ankommt“. Heute stehen uns dagegen Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung, in deren Bildern wir uns auf Künftiges hinbewegen (also nicht länger gelassen abwarten, was vielleicht bei uns ankommt oder nicht). Welche der Beschreibungsmöglichkeiten von Zeit „richtiger“ ist, bleibt eine müßige und letztlich nicht entscheidbare Frage. Mehr Sinn macht die Frage, welche der Beschreibungsformen für uns heutige Menschen hilfreicher und insbesondere gesünder ist.

Interessanterweise bedarf es nicht immer vieler Worte und detaillierter Beschreibungen, um ein Weltbild bzw. das Welterleben zu verändern. Trifft man – wie im eingangs zitierten Gedicht beschrieben – das „Zauberwort“, scheint es zu schlagartigen Heilungen („qualitativen Sprüngen“) kommen zu können. Als modernes Vergleichsbild sei der Computerbildschirm gewählt: Hier genügt es heute, das auf richtige „Icon“ (= Symbol für ein Programm) zu „klicken“, um das Programm zu aktivieren. Es ist nicht erforderlich, alle technische Einzelheiten des Programms, insbesondere dessen Programmiersprache, zu kennen oder gar diese erst zu erzeugen. Offenbar ist es auch mit den „Zauberworten“ so, dass sie für einen umfangreicheren Prozess stehen, der in Gang kommt, wenn man das „Zauberwort“ benutzt. Fast jeder kennt die Macht der Zauberformel „Ich liebe dich“.

Zusammenfassende Kurzempfehlungen für die Praxis:

  1. Gehen Sie achtsam mit dem um, was Sie sagen: Mit jedem Wort können Sie Ihre eigene Welt und die Ihres Gegenübers dauerhaft verändern. Interessieren Sie sich für die Effekte, die Ihre Worte bei anderen erzeugen.
  2. Nehmen Sie gegenüber allen Worten, insbesondere abstrakten Begriffen, eine vorsichtige Haltung ein. Das gilt beispielsweise auch gegenüber „Diagnosen“. Wie vergänglich Begriffliches sein kann, zeigt die Homosexualität, die in unserem Kulturkreis bis 1974 als „schwere und unbehandelbare Krankheit“ galt.
  3. Bedenken Sie immer, dass Worte „Vorstellungen“ erschaffen bzw. symbolisch für diese stehen. Einmal erzeugte Vorstellungen sind nicht weniger wirksam in unserer „Vorstellungswelt“, als der Schlag eines Hammers auf einen Nagel in der realen Welt.
  4. Geizen Sie nicht mit Worten, wenn offenkundig ist, dass Sie damit heilen können. Lassen Sie andere nicht nach Ihren Worten „hungern“. Strafen Sie nicht durch Schweigen. Verschenken Sie insbesondere Wertschätzung, Vergebung und Verantwortungsübernahme. Kein Medikament der Welt hat mehr Heilkraft als dieses Trio.