Die wenigsten
Menschen machen sich Gedanken über die Wirkung Ihrer Worte. Schnell ist
etwas „hingeplappert“, was auch nicht tragisch ist, wenn es ohne Folgen
bleibt (also nicht vernommen wird). Aber wehe wenn das
Geplappere das
Gegenüber verletzt oder in Wut versetzt oder Angst auslöst! Die Welt ist
dann sofort eine andere und meist gelingt es nicht mehr, das Gesagte
völlig ungeschehen zu machen. Selbst wenn der andere verzeiht, wird das
nicht nur Gesprochene, sondern auch Gehörte vermutlich auf beiden Seiten
im Gedächtnis dauerhafte Spuren hinterlassen haben. Sprecher und Zuhörer
sind dann auf Dauer „verändert“ und werden im Umgang mit dem weiteren
Leben mehr oder weniger stark durch die betreffende Erfahrung
(Verletzung, Wut, Angst) beeinflusst.
Welche enorme
Kraft Worte haben, beschreiben nicht nur Dichter wie Joseph von
Eichendorff in Versen wie
Schläft ein
Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.
Auch die
Bibel schreibt dem Wort eine kaum zu überbietende Bedeutung zu, wenn es
heißt (Johannes 1,1-2)
Am Anfang war
das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Alles wurde geschaffen durch das Wort und nichts ist geschaffen ohne das
Wort.
Kann man die
„Schöpfungskraft“ des Wortes noch überzeugender beschreiben?
Zu den
Personengruppen, die ebenfalls viel zu selten ihre Worte bedenken, bevor
sie diese aussprechen, gehören insbesondere Eltern, Lehrer und Erzieher,
die sich bisweilen zu Aussagen verleiten lassen wie „Aus dir kann nichts
werden“ oder „Das kannst du nicht“. „Du bist böse“. Ein solcher Satz
prägt nicht selten das gesamte weitere Leben eines Kindes oder
Jugendlichen, wenn der Betreffende am Inhalt nicht zweifelt, weil er der
Autorität des Sprechers vertraut. Künftig kann die Welt dann nur noch
durch die Brille dieser Vorstellung wahrgenommen werden. Zu den
Personengruppen, deren Worte mitunter ebenfalls sehr mächtig sind,
gehören nicht zuletzt die Ärzte: Ihre „Diagnosen“ verändern das Erleben
des jeweiligen Patienten oft schlagartig und beeinflussen sein weiteres
Denken, Verhalten und Fühlen in der Regel sehr nachhaltig. Dies ist kein
Problem, wenn es dem Patienten zum Besten gereicht. Nicht selten ist das
leider nicht der Fall. Dann schmerzen die Worte des Arztes oft länger
und mehr als die körperlichen Symptome. So kann eine nur beiläufig
gemeinte Bemerkung des Arztes „Wir sollten auch Krebs ausschließen“
wochen- bis monatelang, wenn nicht sogar lebenslang (!) eigentlich
völlig unnötige Ängste erzeugen.
Was können
wir daraus lernen? Worte können gleichermaßen verletzen (ängstigen) wie
heilen (beruhigen). Je nach Gebrauch wirken sie als Waffe oder Balsam.
Dabei hängt der jeweilige Effekt meist weniger vom Sprecher als vielmehr
vom Zuhörer ab („Denn über den Inhalt einer Botschaft entscheidet immer
der Empfänger!“). Jeder von uns sollte also zumindest in
bedeutungsvollen Zusammenhängen (also beispielsweise nicht bei
„Spaßveranstaltungen“), darauf achten, was und wie er es sagt, und sich
möglichst immer vergewissern, wie das Gesagte beim Zuhörer angekommen
ist.
Dass zu den
„heilenden Berufen“ insbesondere auch Psychotherapeuten gehören,
leuchtet in diesem Zusammenhang unmittelbar ein. Denn noch immer setzen
die meisten Psychotherapeuten vor allem Worte als „Medizin“ ein, etwa
wenn sie dem Patienten eine neue Deutungsmöglichkeit eines Ereignisses
anbieten, unter dessen bisheriger Deutung er noch immer leidet. Wer
aufgrund einer solchen Anregung beispielsweise nachvollziehen kann, dass
das Gehörte nicht als „Beleidigung des Zuhörers“ gemeint war, sondern
als eine „Rückmeldung über das Befinden des Sprechers“ ist mitunter
schlagartig den „belastenden Ärger“ los. Er ist damit zumindest in
diesem Punkt wieder „geheilt“ bzw. „unversehrt“.
Da unser
gesamtes BEWUSSTES Erleben (inklusive der von uns bewusst wahrgenommenen
Welt) durch Begriffe beschrieben wird, ist bewusstes Erleben letztlich
nur mit Hilfe von Worten möglich. Wer seine Worte verändert (also das
eigene Leben „mit anderen Worten beschreibt“), verändert damit
automatisch auch sein Weltbild und sein Welterleben. Diese Aussage
versteht jeder, der der sich mit dem Unterschied zwischen positivem und
negativem Denken befasst hat. Als Beispiel dafür dient klassischer Weise
das Bild des zu 50 Prozent gefüllten Glases, das man sowohl als
„(leider) schon halb leer“ oder „(glücklicherweise) noch halb voll“
beschreiben kann. Je nach dem wie ich die Situation beschreibe, werde
ich mich dann mehr oder weniger gut fühlen. Viele Phänomene, die unser
Leben beeinflussen, existieren sogar nur in Form von Begriffen,
beispielsweise in den Worten „Ehre“ oder „Wert“. Solche Phänomene können
nur existieren und unser Leben beeinflussen, weil sich ausreichend viele
oder mächtige Menschen darauf geeinigt haben, dass sie das, was mit den
Worten beschrieben werden soll, als „gültig“ anerkennen. Wenn sich heute
die „Mächtigen“ darauf einigen, dass Geld nichts mehr „wert“ ist, dann
ist es auch schon vorbei mit dem „Wert“.
Wussten Sie,
dass es bis zum Mittelalter in der deutschen Sprache die „Zukunft“ als
Zeit nicht gab? Erst als man von der lateinischen Sprache diese
Beschreibungsmöglichkeit von Erleben übernahm, wurde es in Deutschland
möglich, die dazu passenden Vorstellungen zu entwickeln. Bis dahin
erlebte man sich permanent in der Gegenwart, wobei in dieser Gegenwart
Dinge und Ereignisse „ankamen“, die man heute in der Zukunft verorten
würde. Das früher verbreitete Zeiterleben klingt noch in dem Ausdruck
„Advent“ an, wo etwas (aus der Zukunft) „ankommt“. Heute stehen uns
dagegen Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung, in deren Bildern wir
uns auf Künftiges hinbewegen (also nicht länger gelassen abwarten, was
vielleicht bei uns ankommt oder nicht). Welche der
Beschreibungsmöglichkeiten von Zeit „richtiger“ ist, bleibt eine müßige
und letztlich nicht entscheidbare Frage. Mehr Sinn macht die Frage,
welche der Beschreibungsformen für uns heutige Menschen hilfreicher und
insbesondere gesünder ist.
Interessanterweise bedarf es nicht immer vieler Worte und detaillierter
Beschreibungen, um ein Weltbild bzw. das Welterleben zu verändern.
Trifft man – wie im eingangs zitierten Gedicht beschrieben – das
„Zauberwort“, scheint es zu schlagartigen Heilungen („qualitativen
Sprüngen“) kommen zu können. Als modernes Vergleichsbild sei der
Computerbildschirm gewählt: Hier genügt es heute, das auf richtige
„Icon“ (= Symbol für ein Programm) zu „klicken“, um das Programm zu
aktivieren. Es ist nicht erforderlich, alle technische Einzelheiten des
Programms, insbesondere dessen Programmiersprache, zu kennen oder gar
diese erst zu erzeugen. Offenbar ist es auch mit den „Zauberworten“ so,
dass sie für einen umfangreicheren Prozess stehen, der in Gang kommt,
wenn man das „Zauberwort“ benutzt. Fast jeder kennt die Macht der
Zauberformel „Ich liebe dich“.
Zusammenfassende Kurzempfehlungen für die Praxis:
-
Gehen Sie
achtsam mit dem um, was Sie sagen: Mit jedem Wort können Sie Ihre
eigene Welt und die Ihres Gegenübers dauerhaft verändern.
Interessieren Sie sich für die Effekte, die Ihre Worte bei anderen
erzeugen.
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Nehmen Sie
gegenüber allen Worten, insbesondere abstrakten Begriffen, eine
vorsichtige Haltung ein. Das gilt beispielsweise auch gegenüber
„Diagnosen“. Wie vergänglich Begriffliches sein kann, zeigt die
Homosexualität, die in unserem Kulturkreis bis 1974 als „schwere und
unbehandelbare Krankheit“ galt.
-
Bedenken
Sie immer, dass Worte „Vorstellungen“ erschaffen bzw. symbolisch für
diese stehen. Einmal erzeugte Vorstellungen sind nicht weniger wirksam
in unserer „Vorstellungswelt“, als der Schlag eines Hammers auf einen
Nagel in der realen Welt.
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Geizen Sie
nicht mit Worten, wenn offenkundig ist, dass Sie damit heilen können.
Lassen Sie andere nicht nach Ihren Worten „hungern“. Strafen Sie nicht
durch Schweigen. Verschenken Sie insbesondere Wertschätzung, Vergebung
und Verantwortungsübernahme. Kein Medikament der Welt hat mehr
Heilkraft als dieses Trio.
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