Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Gedanken zu
"Klatsch und Tratsch"

   
Der folgende  von Dr. Herbert Mück verfasste Beitrag wurde anlässlich eines Interviews mit Radio Eins/RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) für die Sendung „Die Profis“ am Samstag, den 25.02.2006 erstellt.

         foto: www.bilderbox.at









 


Was versteht man unter „Klatsch und Tratsch“?

Eigene Definition: Klatsch und Tratsch bilden einen hochpotenten Cocktail, bestehend aus je einem Schuss Sensationsgier, Voyeurismus, Werte-Check, Realitätsvergewisserung, Selbstbestätigung, Verbrüderung, Machtausübung sowie Abreaktion und Entgiftung. Dieser Cocktail wirkt sowohl beim einzelnen wie auch im sozialen Verbund. Er ist hochpotent, weil er insbesondere über das Ansehen“ anderer Menschen entscheiden kann und die eigene und wie auch fremde Identitäten zu definieren vermag. Im Extremfall kann er sogar zum „Rufmord“ führen. Klatsch und Tratsch sind also eine Kommunikationsform mit vielen Funktionen, die hilft, mit der Existenz „mächtigerer“, (scheinbar) wichtigerer oder „besonderer“ (= auffälliger) Menschen klar zu kommen, ohne sich selbst in Frage stellen zu müssen.

Wörterbücher beschreiben den Begriff „Klatsch“ mit „die Verbreitung von privaten Neuigkeiten, Gerüchten, z. T. unwahres Gerede über jemanden, der nicht anwesend ist, aber auch das Sprechen über private Ereignisse (oft in gemütlicher Runde, z. B: beim Kaffeeklatsch). Tratsch wird beschrieben als meist übles gehässiges Gerede über eine dritte Person oder über private Neuigkeiten zur Befriedigung von Neugier. Von beidem unterscheiden sich Geplauder, Smalltalk, Unterhaltung und andere Gesprächsformen. Oft werden beide Begriffe zusammengefasst oder in einem Atemzug genannt. Typisch ist eine gewisse Tendenz zur Übertreibung. Fast immer sind Wertvorstellungen („was sich gehört“ bzw. Wwelche Grenzüberschreitungen wieder einmal vorgenommen wurden“) im Vordergrund. Manchmal werden die Begriffe eher dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht zugeordnet (Beispiel Kaffeeklatsch, der noch immer keine männliche Domäne ist). Im Gegensatz zur eindeutigen Verleumdung bewegen sich Klatsch und Tratsch auf der Grenze des sozial Zulässigen, was sie zu einem subtilen und zugleich mächtigen Instrument machen kann und auch eine gewisse kommunikative Kompetenz erfordert. Klatsch und Tratsch haben sehr häufig etwas mit „Geheimnissen“ bzw. Heimlichkeit zu tun, was einen eigenen Reiz ausüben kann. Klatsch und Tratsch erwecken Aufmerksamkeit“. Alles was sich zu beiden Begriffen sagen lässt, darf nicht verallgemeinert werden! Hinter der Bedeutung beider Gesprächsformen verbergen sich unzählige Möglichkeiten, die vom reinen Unterhalten der Zuhörer bis zum gezielten Mobbing oder zum Rufmord reichen.

Welche Beispiele für Klatsch und Tratsch gibt es?

  1. Nachbarin A erzählt Nachbarin B, dass bei Nachbarin C jetzt schon der dritte Mann innerhalb einer Woche aus und ein gegangen sei. Einmal nachts wäre auch laut geworden und sei sogar die Polizei gekommen.
  2. Parteimitglied A erzählt Parteimitglied B, dass er von einem weiteren Beispiel gehört habe, dass zeige, wie korrupt und unzuverlässig Parteimitglied C ist.
  3. Bei einem Stehempfang tauschen sich zwei Gäste über die unmögliche Kleidung und die ungebührliche Ausdrucksweise der Schauspielerin A aus.

Seit wann gibt es Klatsch und Tratsch?

Als Prinzip dürfte es Klatsch und Tratsch schon so lange geben, wie Sprache in der dazu nötigen Qualität existiert. Die jeweiligen Ausprägungsformen sind jedoch kultur- und zeitabhängig (z. B. gibt es Kulturen, in denen die Geschlechter weniger miteinander als untereinander kommunizieren). Auch in unserer Kultur haben „technische Fortschritte“ auf die Klatschkultur Einfluss genommen, wie die Erfindungen von Buchdruck, modernen Transportmitteln, Telefon und Internet zeigen. So würde es ohne den Buchdruck keine „Klatschpostillen“ geben. Mit der Erfindung des Telefons und moderner Transportmittel hat sich die persönliche Reichweite von Klatsch und Tratsch eindrucksvoll ausgeweitet. Letzteres gilt insbesondere auch für das Internet, das zudem neue Varianten von Klatsch und Tratsch ermöglicht (Chatrooms, Blogging, wo die Teilnehmer beispielsweise weltweit und anonym Klatschen und Tratschen können).

Ist Klatsch und Tratsch nur etwas für Frauen?

Dass Tratsch und Klatsch immer noch überwiegend als Domäne von Frauen gelten, dürfte damit zusammenhängen, dass Kommunikation offenbar schon seit jeher eine Stärke von Frauen ist. Dies erklärt man sich damit, dass Frauen aus der Sicht der   Menschheitsgeschichte allein schon weitaus mehr Möglichkeiten hatten oder auch Notwendigkeiten ausgesetzt waren zu kommunizieren (z. B. Kindererziehung). Dagegen waren Männer mehr mit Jagen und Sammeln beschäftigt. Indem Frauen durch Klatsch und Tratsch über das Ansehen von Männern mitentscheiden konnten, verhalf und verhilft ihnen diese Kommunikationsform zu einer subtilen Macht gegenüber den körperlich überlegenen Männern. Beispiel: Zwei Freundinnen unterhalten sich darüber, wie gut ein gemeinsamer Bekannter angeblich im Bett ist. Das Ergebnis des Gesprächs kann über den weiteren Umgang mit diesem Bekannten entscheiden und ist möglicherweise auch diesem selbst nicht gleichgültig. In dem Maße, in dem sich die Geschlechterrollen auflösen, werden Klatsch und Tratsch auch für Männer attraktiver. Es gibt durchaus Lebensbereiche, in denen Klatsch und Tratsch von beiden Geschlechtern gleichermaßen betrieben werden („Büroklatsch“).

Was verleiht Klatsch und Tratsch mitunter einen besonderen „Kick“?

Die Macht des Tratsches beruhigt insbesondere darauf, dass im Tratsch über das soziale Ansehen einer abwesenden Person verhandelt wird. Das Ansehen eines einzelnen ist früher vielleicht mehr als heute mitunter lebensentscheidend. Wenn etwa im Mittelalter über eine Frau das Gerücht in die Welt gesetzt wurde, sie verhalte sich wie eine Hexe, war dies nicht selten ihr Todesurteil. Wenn im Büro über den Chef in Umlauf gesetzt wird, er schlafe mit jeder Sekretärin, trinke heimlich Alkohol und brauche für seine Entscheidungen immer den Rat seiner Ehefrau, kann dies ebenfalls dessen Karriere beenden. Von ihrem durch Klatsch beeinflussbaren „Ansehen“ hängt nach wie vor besonders das Schicksal von Politikern ab.

Welche weiteren Gesichtspunkte können den hohen Stellenwert von Klatsch und Tratsch erklären?

  1. Klatsch und Tratsch ermöglichen eine gewisse Teilhabe an den berichteten Geschichten und Erlebnissen, die ja oft Grenzüberschreitungen sind. Da die Spiegelnervenzellen unseres Gehirns nicht sicher unterscheiden, ob wir etwas selbst tun, es nur beobachten oder nur davon hören, ist das innere Erleben oft ähnlich. Tratschend kann man zumindest emotional am Handeln der von fern beobachteten Person teilnehmen, während man sich gleichzeitig sichtlich darüber brüskiert und damit auf der sicheren Seite wähnt. Von diesem Mechanismus der „Teilhabe“ bzw. der Möglichkeit, sich mit „Prominenten“ im Rahmen von „Klatsch“ zu identifizieren, dürfte vor allem die Boulevardpresse profitieren.
     
  1. Soziale Informationen haben für uns einen höheren Stellenwert als Sachinformationen.
     
  1. Als Menschen interessieren wir uns tendenziell mehr für schlechte als für gute Informationen (Bad news are good news). Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Auseinandersetzung und Beachtung „gefährlicher Informationen“ für das Überleben besser ist als die Konzentration auf gute Informationen (Lieber auf die Raubtiere achten, als sich an den Kuscheltieren erfreuen.
     
  1. Informationen stecken an (ähnlich wie hochinfektiöse Viren) und verändern den Empfänger, der fortan, der fortan die Welt nur noch durch die Brille der erhalten Information wahrnehmen kann („Information = Deformation“).
     
  1. Wahrnehmung ist immer auch stark sozial gesteuert. Wenn fünf Personen in einem verdunkelten Raum behaupten, dass sich ein Lichtpunkt auf einer Leinwand bewegt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die sechste Person dessen Bewegungen wahrnehmen, auch dann, wenn er sich gar nicht bewegt.
     
  1. Besonders die Selbstwahrnehmung eines Menschen, also seine Identität, entsteht im sozialen Austausch, insbesondere durch die Rückmeldungen anderer. Wenn sich Eltern und andere wichtige Personen gemeinsam dahingehend äußern, dass ein Kind musikalisch unbegabt ist, wird es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch selbst als unmusikalisch betrachten und allenfalls nur wenige Versuche starten, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Die Abhängigkeit der eigenen Identität von den Aussagen anderer spiegelt sich besonders in der weit verbreiteten Sorge wider „Was die anderen wohl von mir denken?“ Solche Personen sind der Wirkung von Klatsch und Tratsch besonders hilflos ausgeliefert. Indem Gesellschaften diese Sorge implantieren, machen sie die entsprechend Behandelten einerseits sozial leichter steuerbar, andererseits aber auch sensibler für Gefahren, die daraus erwachsen könnten, dass andere sich gegen einen selbst verschwören. In unserer extrem regulierten Massengesellschaft dürfte die erwähnte Sorge allerdings eine immer unwichtigere Rolle spielen.
     
  1. Klatsch und Tratsch können mitunter ein schwaches Selbstwertgefühl der Sprechenden stärken. Diese machen sich entweder durch ihren Tratsch interessant (durch dessen erhoffte Wirkung vielleicht sogar mächtig), zumindest fühlen sie sich wahrgenommen und als Informanten geschätzt. Indem sich der Tratschende negativ über andere äußert, wertet er sich scheinbar selbst auf (bietet er sich selbst als der vermeintlich bessere an).
     
  1. Klatschen und Tratsch dienen häufig der Regelung eigener Emotionen („Dampf ablassen“), beispielsweise wenn Ärger oder Neid auf Mächtigere im Spiel sind. Der Klatschende oder Tratschende verarbeitet seinen eigenen Ärger oder seine Aufregung, vielleicht seine Sensationsgier, indem er sie mit anderen teilt. Durch deren Rückmeldungen vergewissert er sich, über die Angemessenheit seiner Aufregung. Indem seine Aufregung geteilt und bestätigt wird, wird der Tratschende auch etwas beruhigt. Wenn sich auch der andere aufregt, kann es dagegen zu einem Aufschaukelungsprozess kommen.
     
  1. Im Tratsch bestätigt man sich gegenseitig fast immer die Gültigkeit der eigenen Normen.
     
  1. Da die Inhalte von Klatsch und Tratsch oft prekär oder brisant sind, entlastet sich der Sprecher (ähnlich wie bei einer Beichte). Klatsch und Tratsch können daher auch eine „Entgiftungsfunktion“ haben.
     
  1. Wie jedes laute Reden dienen Klatsch und Tratsch der Klärung eigener Vorstellungen nach der Devise von Kleist, dass sich Gedanken mitunter erst beim Sprechen bilden (anders ausgedrückt: Manches macht man sich erst beim Aussprechen bewusst).
  1. Klatschende und Tratschende wollen oft etwas erreichen, etwa einen Mitwisser oder einen Mitstreiter zu finden. Tratschender und neuer Mitwisser bilden eine Gemeinschaft. Sie fühlen sich dadurch weniger allein und formen eine Gruppe, die vereint mitunter mächtiger wirkt als der „Betratschte“. Klatsch und Tratsch können also auch verbinden und damit eigener sozialer Isolierung entgegenwirken.

Welche einschlägigen Forschungserkenntnisse gibt es?

Sozialpsychologische Experimente lassen vermuten, das Klatsch und Tratsch auch einen Überlebensvorteil haben. Dafür spricht allein die Tatsache, dass es diese Kommunikationsform offenbar schon lange gibt. Klatsch und Tratsch haben sich als zwischenmenschliche Werkzeuge zweifelsfrei im Lauf der Menschheitsgeschichte „bewährt“, sonst gäbe es sie nicht. In einem Versuch erhielten Studenten beiderlei Geschlechts Exemplare von Klatschzeitschriften. Anschließend wurden sie gefragt, welche Artikel ihnen im Gedächtnis geblieben waren. Es stellte sich heraus, das Männer und Frauen vor allem solche Artikel aufmerksam gelesen hatten, in denen jeweils das eigene Geschlecht schlecht abschnitt. Offenbar sind solche Informationen für das Überleben in der Welt besonders hilfreich, vermuteten die beteiligten Wissenschaftler, da sie den eigenen Status erhöhen und den des anderen erniedrigen. In einem anderen Experiment (stille Post) wurden nach vier Runden vor allem solche Texte relativ unversehrt weitergegeben, in denen es neben einer Personenbeschreibung auch um pikante Details ging (wie Lügen und Untreue). Reine Sachinformationen wurden am schlechtesten erinnert. Um sich sozial einordnen und absichern zu können, benötigt der einzelne möglichst viele Informationen über seine Mitmenschen und diese erhält er vor allem auf dem Weg des Klatsches.