Dem inspirierenden Buch
„Embodied Communication“ von Maja Storch und Wolfgang Tschacher
entstammt der Vorschlag, sich vom überkommenen Sender-Empfänger-Modell
(„Kanaltheorie“) gedanklich und praktisch zu verabschieden. Dies erspart
viele oft schmerzhafte und energieverzehrende Auseinandersetzungen. Man
muss nicht länger darüber streiten, wer denn nun aus einer Wortfolge die
„wirkliche“ Bedeutung entschlüsselt hat bzw. „was in Wirklichkeit
gemeint gewesen sei“. Dem zuletzt beschriebenen und mittlerweile
klassischen Ansatz stellen die Autoren die konstruktivere Sichtweise
gegenüber, dass jede Kommunikation immer eine GEMEINSAME Schöpfung
darstellt. Eine solche Perspektive regt dazu an, die entsprechenden
„Erschaffungsprozesse“ zu optimieren und damit eine schnell spürbare und
oft nachhaltige Zufriedenheit zu erzeugen (gelebt und gefühlt als
„Stimmigkeit“).
Embodied Communication – Der Körper
als Kommunikationsbeteiliger
Die von Storch und
Tschacher beworbene neue Kommunikationstheorie geht davon aus, dass
Kommunikation immer auch verkörpert ist („embodied“) und dann besonders
gut funktioniert, wenn die Kommunikationsbeiträge aller Beteiligten
ausreichend „synchronisiert“ sind. „Embodiment“ meint (verkürzt gesagt),
dass unsere Emotionen, Affekte und Gedanken immer auch von
Körperhaltungen und Muskelaktivierungen beeinflusst werden. Auch gibt es
mittlerweile zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass wir auf
nervlicher Ebene das ursprüngliche körperliche Erleben automatisch auch
dann wiederholen, wenn wir lediglich Sprache oder abstrakte Zeichen
verwenden. So lässt das ausgesprochene oder gelesene Wort „Lecken“ im
Gehirn auch diejenigen Bereiche aktiv werden, die das Lecken motorisch
steuern. Ähnlich aktiviert das Wort „Zimt“ im Gehirn Nerven, welche am
Riechvorgang beteiligt sind. Eine Kommunikation ohne sensomotorische
Körperbeteiligung erscheint somit unmöglich. Für unser Gehirn macht es
keinen großen Unterschied, ob wir uns eine Situation nur vorstellen,
diese konkret beobachten oder selbst die entsprechende Erfahrung machen.
„Resonanz“ erzeugen
Die Autoren orientieren
sich an der „Systemtheorie“, nach der wir Menschen „selbstorganisierende“
Systeme sind, auf die von außen nicht steuernd und gezielt auf
Einzelheiten zugegriffen werden kann. Lediglich über die Veränderung von
„Randbedingungen“ ist eine (allerdings wenig voraussagbare)
Beeinflussung möglich. Storch und Tschacher regen an, die „Illusion der
Gerichtetheit“ von Kommunikation („des eines nach dem anderen“)
aufzugeben. Denn Kommunikation findet – so ein anderes Bild – permanent
im Gegenverkehr statt, da auch der formal Zuhörende ständig sein
Beteiligtsein am Geschehen signalisiert. Kommunikation ist demnach
etwas, das sich als Ausdruck von Beziehung und Interaktion zwischen zwei
Menschen ereignet. Es ist nicht ein wechselseitiges und serielles hin
und her Bewegen von „Informationen“ zwischen Sendern und Empfängern.
Gegen eine vermeintlich vom Sender kontrollierbare Kommunikation spricht
nicht zuletzt, dass auch unbewusste und damit unkontrollierbare
Einflüsse in jeder Kommunikation eine Rolle spielen. Kommunikation
gelingt nach Auffassung der Autoren in dem Maße, wie es zu einem
„synchronisierten Embodiment“ zwischen den Beteiligten kommt. Ein
solches lässt sich mit Begriffen bzw. Formulierungen beschreiben wie
Imitation, Mimikry, Ansteckung, Resonanz, Zusammenschwingen, Gefühl von
Stimmigkeit und „Kommunikation läuft gut“. Bei Menschen mit sog.
sicherer Bindung ist dies häufiger der Fall. Optimal scheint ein
„mittleres Synchronisierungsniveau“ zu sein. Nachahmung war offenbar
immer schon für die menschliche Entwicklung sehr relevant, sofern sie
sich auf Phänomene bezog, die lebenswichtig waren bzw. Vorteile erwarten
ließen. Warum sollte Nachahmung (Resonanz) in der Kommunikation eine
geringere Rolle spielen? Gelingende Kommunikation erkennt man also
weniger an ihren Inhalten, als vielmehr daran, dass sie „gut läuft“.
Dies ist der Fall, wenn dabei weniger nach der Wahrheit als vielmehr
nach Stimmigkeit gesucht wird (was letztlich in eine gemeinsam
entwickelte Wahrheit münden kann).
Aufmerksamkeit sowie offene Augen und
Ohren fördern Synchronie
„Verstehen“ ist für die
Autoren daher vor allem ein „affektives“ und auf Synchronie abzielendes
Geschehen, das mit dem Gefühl von Stimmigkeit verbunden ist. Zusätzlich
gibt es natürlich auch eine „geistige Synchronie“, die sich im
Entwickeln gemeinsam getragener Bedeutungen manifestiert. Synchronie
kann man durch ein „AAO-Geschenk“ fördern, indem man beim Kommunizieren
1. aufmerksam ist (bezüglich der Situation, der eigenen Affekte und der
des Gegenübers), 2. die Augen aufhält (Wechsel zwischen direktem
Blickkontakt und peripherem Gesichtsfeld) und 3. die eigenen Ohren dem
anderen leiht. Wer Aufmerksamkeit (ein Zeit-Geschenk) erhält, fühlt sich
allein dadurch meist besser. Jede Wartezeit wird erträglicher, wenn der
Wartende zwischendurch Aufmerksamkeit erhält. Ohne Blickkontakt ist
keine körperliche Synchronie möglich, zugleich verteilt man durch
Blickkontakt „Blick-Geschenke“. Vor allem beim „aktiven Zuhören“, bei
dem man das Gehörte mit eigenen Worten bzw. darauf bezogenen Fragen
wiederholt, werden eigene Geschichten (Erfahrungen) mit denen des
Gegenüber synchronisiert. Die Nach-Frage dient nicht nur dem anderen,
sondern auch dem eigenen Bemühen, sich einschwingen zu können und so ein
Stimmigkeitsgefühl entstehen zu lassen. Zudem ist echtes Zuhören eine
heilsame Intervention. Auch wenn die Herstellung von Synchronie ein
wichtiges erstrebenswertes Ziel ist, sollte man sich eingestehen, dass
nicht jeder Menschen dazu bereit und in der Lage ist und dass es
durchaus auch Situationen gibt, in denen es angemessen sein kann, heftig
zu reagieren.
Wann und wie kommunizieren?
Die Autoren raten dazu,
nicht bei jeglichem „Problem“ (erkennbar am Ausmaß eigener „negativer“
Affekte) die Kommunikation mit dem (vermuteten) Problemerzeuger zu
suchen. Günstiger ist es, ein bereits „gut laufendes“
Kommunikationsgeschehen zu nutzen, um auf dieser Basis auch einmal ein
belastendes Thema anzusprechen. Wer sich schon vor dem Beginn eines
Gespräches schlecht fühlt, wird nur mit großer Anstrengung ein Erleben
von Stimmigkeit fördern können. Als Orientierungshilfe empfehlen die
Autoren, ein im zwischenmenschlichen Kontakt auftretendes Unwohlsein
(negativer Affekt) auf einer Skala von Null bis 100 einzustufen. Für
Werte unter 33 raten sie, den Vorfall als Lappalie auf sich beruhen zu
lassen. Für Werte zwischen 33 und 66 schlagen sie vor, die Situation für
sich selbst mit Hilfe von Selbstregulationsmechanismen zu entschärfen.
Hierbei kann es hilfreich sein, sich in einem ruhigen Moment möglichst 5
Möglichkeiten zu überlegen („Wunderrad-Methode“), wie man selbst
konstruktiv auf das „Problem“ reagieren könnte. Allein schon die
Möglichkeit, anschließend auswählen und ausprobieren zu können,
verbessert die Situation oft emotional. Erst wenn das eigene Unwohlsein
den Wert 66 überschreitet, sollte man „Kommunikation“ suchen, dann
allerdings nicht mit dem (vermeintlichen) Täter, sondern mit einem
professionellen Helfer bzw. jemandem, der auch mit heftigen Affekten
konstruktiv umgehen kann. Für solche Situationen schlagen die Autoren
außerdem die Philosophie des „Pizza-Werfens“ vor. Dieses Bild beschreibt
die menschliche Neigung, bei heftigen Affekten dem Gegenüber den
gesamten Pizza-Belag ins Gesicht zu schleudern, obwohl der oder die
Betreffende allenfalls für einen winzigen Teil des Belags verantwortlich
sind. Hier hilft es, die Vielfalt des Belags (also der aktuellen
Belastungen, Probleme, Kränkungen) in Ruhe zu analysieren, zu bewerten
und mit jeweils passenderen Lösungen zu versehen, um anschließend in
aller Regel wieder konstruktiv auf das Gegenüber zugehen zu können. Ein
weiterer Vorschlag der Autoren für verfahrenere Situationen ist der
Ideenkorb. Hierbei bittet man möglichst viele Bezugspersonen,
Lösungsideen für ein Problem zu entwickeln, die man dann in einem
imaginären oder echten Ideenkorb dankend einsammelt, um sie mit Hilfe
von „Affekt-Bilanzen“ in Ruhe auf ihre Eignung zu überprüfen. Paaren mit
Kommunikationsproblemen raten Storch und Tschacher, sich wechselseitig
fünfminütige AAO-Päckchen (siehe oben) zu schenken. Wenn man sich
gegenseitig die eigenen Sichtweisen mitteilt, sollte das Bemühen darauf
abzielen, diese Sichtweisen zu synchronisieren, so dass letztlich eine
gemeinsame und sich stimmig anfühlende Geschichte entsteht, auf die sich
beide künftig mit positiven Gefühlen beziehen können. Dabei ist – um es
zu wiederholen – weniger der sachliche Inhalt der Geschichte bedeutsam,
als die nunmehr geteilten positiven Affekte bzw. die erlebte Resonanz.
In meinen eigenen Paar-Coachings darf ich immer wieder die mich stets
tief berührende Erfahrung machen, dass sich weiterhin missverstanden
fühlende Partner plötzlich im Einklang (in Resonanz) fühlen, wenn sie
meiner Einladung folgen, sich gegenseitig in den Arm zu nehmen. Ich
kenne kein mich mehr beeindruckendes Beispiel von „Embodied
Communication“.
Wer genauere
Einzelheiten zu den hier zusammengefassten Gedanken des wirklich
lesenswerten Buches erfahren möchte, ist herzlich eingeladen, dieses nun
selbst zu studieren. Eine großzügige Geste der Autoren ist es, dass sie
das Bildmaterial des Buches kostenlos zum Download anbieten (www.ismz.ch)
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