An dieser Stelle finden Sie vor mir
beantwortete E-Mail-Anfragen. Bitte machen Sie von der Möglichkeit,
mich schriftlich zu befragen, nur in wirklich dringenden Angelegenheit
Gebrauch. Denn dieser "Service" wird von mir in meiner
Freizeit und kostenlos erbracht.
Frage:
seit ca. einem halben Jahr habe ich große Schwierigkeiten mit dem
Essen. Bei einer Körpergröße von 161 cm habe ich in ca. 3 Monaten von 46
kg auf 60 kg zugenommen. Zur zeit schwankt mein Gewicht zwischen 52 und 54
kg... Ich habe regelrechte Fressanfälle, die mit der Zeit ein immer
größeres Ausmaß angenommen haben. Ich habe die Situation nicht mehr unter
Kontrolle und seit ein paar Wochen übergebe ich mich teilweise mehrmals am
Tag. Ich habe große Angst vor dem Alleinsein, da ich dann sofort anfange
zu "fressen", obwohl ich generell gerne alleine bin bzw. oft Zeit für mich
brauche. Ich bin 26 Jahre alt und im Alter von 11 Jahren hatte ich
Magersucht, dieses Problem habe ich eigentlich überwunden. ...auch mein
freund weiß von meinem Essproblem und ich erzähle ihm oft, wenn ich einen
Fressattacke hatte. Er kann damit nicht umgehen und ich auch nicht... Ich
schäme mich so vor mir selbst. Oft traue ich mich nicht aus dem Haus, weil
mein bauch so voll ist und ich mich zu fett fühle. Ich isoliere mich immer
mehr von meinen Freunden und meiner Familie. Nach außen hin versuche ich
eine Fassade aufrecht zu erhalten und meiner Mutter erzähle ich, dass ich
alles unter Kontrolle habe und keine Therapie benötige. Das Essen und
Übergeben bestimmt immer mehr mein Leben und ich habe Angst nicht mehr aus
diesem Teufelskreis zu kommen. Oft fühle ich mich gespalten. Auf der einen
Seite bin ich mir sicher, dass ich gesund werden kann und mein Freund mir
so viel kraft gibt. Auf der anderen Seite, fühle ich mich so schwach und
kann nicht immer die "starke" spielen, so wie mich meine Umwelt kennt. Oft
brechen die vielen Gedanken und Sorgen über mir zusammen und ich traue
mich mit niemandem darüber zu reden, sonst habe ich auch alles geschafft.
doch seit einiger zeit fühle ich mich so ausgepowert und verwirrt und
stopfe regelrecht alles in mich rein. Ich weiß, dass es nicht der richtige
Weg ist, deshalb übergebe ich mich danach oft aus schlechtem gewissen.
Meine Krankenkasse hat einen stationären Aufenthalt in einer
psychosomatischen Klinik abgelehnt und ich schaffe es nicht aus dem
Teufelskreis mit einer ambulanten Therapie. Können sie mir Tipps geben wie
ich mir selbst helfen kann und zu einem normalen Essverhalten zurückfinde?
Antwort:
Vielen Dank für Ihre vertrauensvolle Mitteilung. Sie werden verstehen,
dass ich Ihnen trotz Ihrer offenen Informationen unbekannterweise keine
Empfehlungen auf diesem Weg aussprechen kann. Das ist uns Ärzten mit Recht
verboten. Gerne bestätige ich Ihnen, dass alles in Ihrer
Selbstbeschreibung darauf hindeutet, dass Sie fachliche Begleitung
benötigen und auch ein Recht darauf haben. Verstehe ich Sie richtig, dass
Sie bereits in ambulanter Therapie sind (Ihre Zeilen sind
missverständlich) und dass es dem ambulanten Therapeuten nicht gelungen
ist, eine stationäre Behandlung bei Ihrer Krankenkasse zu erreichen? Dann
drucken Sie unsere Korrespondenz bitte unbedingt aus und geben Sie diese
Ihrem Therapeuten zu lesen. Er oder sie kann gegen den ablehnenden
Bescheid der Krankenkasse auf jeden Fall Widerspruch einlegen. Bis zu
einer erneuten Entscheidung der Krankenkasse könnten Sie sich auch einer
Selbsthilfegruppe anschließen, um zumindest schon einmal zu üben, vor und
mit anderen über Ihre Probleme und deren mögliche Lösungen zu sprechen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen auf diesem Weg keine
weiteren Empfehlungen übermitteln kann.
Nachtrag der Fragerin:
Vielen dank für ihre rasche Antwort. Auch wen Sie mir über diesen Weg
keine ärztliche Hilfestellung leisten dürfen, haben sie mir mit ihrer
Antwort viel geholfen: Ich habe mich heute bei einer Selbsthilfegruppe für
Anonyme Essgestörte angemeldet und werde bei meiner Krankenkasse
Widerspruch bezüglich des abgelehnten stationären Klinikaufenthaltes
einlegen. Ja, ich bin bereits in therapeutischer Behandlung gewesen, aber
ich habe die Therapie wegen meines Umzugs abgebrochen. Ich bin aber wieder
auf der Suche nach einem neuen Therapeuten, da ich gemerkt habe, dass ich
möglichst schnell aus dem gestörten Essverhalten herausfinden muss. Vielen
dank für ihre Hilfe,
Frage (Gefährdung des
Essverhaltens durch Partnerschaft)
Zunächst aber ein paar
"Daten" über mich: Ich (w) bin 32 Jahre, habe seit 11 Jahren Bulimie, bis
vor 5 Monaten mit niemandem darüber geredet, habe dann aber angefangen
über mich nachzudenken und ein Bewusstsein für die Krankheit entwickelt,
wollte dann auch etwas dagegen tun (was ich erstaunlicherweise 11 Jahre
nicht tun wollte weil es mir gut damit ging!), arbeite jetzt seit 5
Monaten ziemlich hart an mir, mache mir Gedanken über Ursachen..., habe
jetzt seit fast 5 Wochen nicht mehr erbrochen und schaffe es, langsam
wieder normal zu essen. Für mich sind das Riesen-Schritte, die ich in der
für mich kurzen Zeit geschafft habe. Nun aber meine Frage: Ich habe einen
Mann kennen gelernt, der auch davon weiß. Er unterstützt mich in allen
Richtungen, durch Gespräche etc. Er will eine feste Beziehung zu mir, ich
aber schrecke momentan davor zurück. Ich bin einfach noch nicht so weit,
meinen Körper so anzunehmen, wie er ist, und fühle mich oftmals unwohl. In
einer Partnerschaft wäre ich permanent mit der Auseinandersetzung mit
meinem Körper beschäftigt, und ich merke, je mehr ich mich auf eine
Beziehung zu diesem Mann einlasse, desto mehr kommen wieder in mir diese
negativen Gedanken auf. Nämlich nach dem Essen zu erbrechen um ja nicht
zuzunehmen. Das habe ich meinem "Partner" auch so erklärt und dass ich
jetzt keine Beziehung will, weil sie mir schadet und ich Gefahr laufe,
wieder rückfällig zu werden. Er aber will das überhaupt nicht akzeptieren
und ist der Meinung, ich würde damit der Krankheit zu viel Spielraum
lassen und mich hängen lassen. Das Gefühl habe ich aber ganz und gar
nicht, ich fühle nur, dass es mir für den Moment zu viel ist. Und ich
denke, dass ich einfach noch etwas Zeit brauche, um alles andere zu
stabilisieren, wieder "normal" zu werden, und mich dann auf eine Beziehung
einzulassen. Wer hat denn nun aber Recht? Ist es von mir eine Flucht, und
ich MUSS das jetzt durchziehen, weil es sonst nie besser wird, oder soll
ich auf mein Gefühl hören und mir erst einmal die in meinen Augen nötige
Zeit dafür nehmen?
Antwort:
-
Herzlichen Glückwunsch
zu Ihrer erfolgreichen „Selbstbehandlung“. Fünf Wochen ohne Erbrechen
und eine Normalisierung des Ernährungsverhaltens sind bei einer so
langen und verheimlichten Vorgeschichte eine großartige Leistung. Ich
wünsche Ihnen von Herzen, dass die Erfolgsserie so lange anhält, bis Sie
es dauerhaft geschafft haben.
-
Gönnen Sie sich bitte
eine professionelle Begleitung, deren Kosten auf jeden Fall von der
Krankenkasse getragen werden. Ein solcher Begleiter oder Begleiterin
kann Ihnen individuelle Rückmeldungen gaben, was mir aus der Ferne nicht
möglich ist. Wahrscheinlich spielen auch „Selbstwertfragen“ eine Rolle,
wie sich in Ihrer betont vorsichtigen Ausdrucksweise andeutet („Ich
möchte Sie nicht… belästigen“). Haben Sie sich in Ihrem Leben schon
einmal für andere als Last erlebt?
-
Was ist es genau, das
Sie vor einer „festen Beziehung“ zurückschrecken lässt? Das „Feste“? Die
Möglichkeit körperlicher Nähe? Eigentlich haben Sie ja schon eine – wie
Sie selbst schreiben – „Partnerschaft“, nur offenbar noch keine „feste“.
Vielleicht hält Ihr Freund ja auch eine „halbfeste“ Beziehung für eine
gewisse Zeit aus.
-
Wie lange kennen Sie
beide sich schon? Könnte es sein, dass eine Halt gebende Beziehung Ihnen
die positiven Veränderungen der letzten 5 Wochen erleichtert hat?
Vielleicht hilft Ihnen die Erfahrung, dass Sie von einem anderen
Menschen (Ihrem „Partner“) so angenommen werden, wie Sie sind, dabei,
auch Ihren eigenen Körper auch immer besser selbst annehmen zu können.
-
Handeln Sie nicht
notwendigerweise nach dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, wozu
Bulimie-Kranke leider neigen (alles rein schlingen, alles erbrechen).
Oft gibt es sehr gesunde Zwischenlösungen.
-
Es wäre extrem schade,
wenn Sie jetzt einen Rückfall riskieren würden, nur weil in der jetzigen
Beziehung Ihre „Grundängste“ wieder stärker werden. Daher nochmals die
dringende Anregung, sich jetzt sofort professionelle Hilfe zu gönnen, so
dass sich die erreichten Erfolge stabilisieren können.
Frage (Angstbesetzte zwanghafte
Beschäftigung mit Essen):
Ich leide seit über einem
Jahr unter Zwangsgedanken, die sich als Angst vor dem Essen deutlich
machen. Ich konnte nichts mehr essen aus lauter Angst, mich übergeben
zu müssen. Ich bin auf 41kg runtergerutscht und das bei einer Größe
von 1,75m. Die Panikattacken vor dem Essen gingen soweit, dass ich unter
Schweißausbrüchen litt. Ich habe dann lange Zeit nur von Toastbrot und
Zwieback gelebt, aus Angst mir den Magen an irgendetwas zu verderben und
mich übergeben zu müssen.
Lange Zeit wurde ich mit
diversen Magenmittel behandelt und habe mehrere Magenspiegelungen über
mich ergehen lassen. Leider konnte mir niemand sagen, was mit mir los
war. Einmal lautete die Diagnose Reizmagen und Reizdarm, ein andermal
chronische Gastritis usw. Schließlich war ich mit dem Gewicht so weit
unten, dass mir sogar das Treppensteigen zu viel wurde. Ich habe dann
meinen Hausarzt gewechselt und kam zu einer sehr guten Ärztin. Sie hat
mich nun zu einer Diplom Psychologin geschickt, bei der ich nun auch
seit drei Monaten in Behandlung bin. Mittlerweile habe ich 5 kg zugelegt
und nehme das Medikament Fluctin. Ich esse nun nach Plan, muss mich aber
immer noch zum Essen zwingen.
Dieses kann ich leider
nicht genießen, da ich immer wieder Angst habe, dass es mir schadet. Es
ist zwar mit den Panikattacken viel besser geworden und ich begebe mich
nun auch wieder etwas mehr unter Leute, was ich mir lange Zeit nicht
zugetraut habe. Ich bin doch ein junger Mensch und will mein Leben genießen.
Können Sie mir vielleicht
noch ein paar Tipps geben, wie ich meine Angst besser in den Griff
bekomme? Bekomme ich das Problem überhaupt in den Griff? Ich mache
momentan keine Fortschritte mehr und bewege mich auf der Stelle! Ist das
normal? Oder habe ich einfach zu wenig Geduld mit mir? Mein Leben muss
sich ändern, ich kann mich nicht den ganzen Tag nur mit dem einen Thema
"Essen und Übelkeit" herumschlagen.
Antwort:
Vielen
Dank für Ihre Offenheit und Ihr Vertrauen. Sicherlich werden Sie
verstehen, dass ich aus der Ferne und ohne Sie je gesehen und persönlich
gesprochen zu haben, keine "persönlichen" Rückmeldungen
geben kann. Das ist uns Ärzten mit gutem Grund verboten. Gerne
will ich jedoch einige allgemeine Gedanken äußern.
1. Vorab klingt es keineswegs so, als kämen Sie nicht von der Stelle. Es
geschafft zu haben, wieder kontrolliert zu essen und in rund 3
Monaten 5 kg zuzunehmen, ist schon eine beachtenswerte Leistung. Viele
Menschen reden sich gerne Negatives ein: Führen Sie doch ab sofort ein
Therapietagebuch, in dem Sie an jedem Abend die (noch so kleinen)
Fortschritte des Tages notieren. Am Ende der Woche werden Sie dann
feststellen, dass es bei einem gewissen auf und ab insgesamt doch wieder
etwas voran gegangen ist.
2. So wie Sie die Dinge mittlerweile angehen, werden Sie das Problem
vermutlich auch "in den Griff bekommen". Zwar konnte sich Ihr
Problem in mittlerweile mehr als einem Jahr ganz gut bei Ihnen
"einnisten", andererseits ist dies aber noch keine Ewigkeit,
so dass man nicht unbedingt schon von "Gewohnheiten" reden
kann. Diese Überlegung ist insofern wichtig, als sich viele seelische
Probleme oft dann schneller lösen lassen, wenn sie noch nicht so
"alt" sind.
3.
Ihr Problem unter die Rubrik "Angst" einzustufen, klingt sehr
sinnvoll. Denn zum einen haben Sie offenbar typische Angstsymptome, zum
anderen kann man gerade Ängste besonders gut behandeln (insbesondere
mit Verhaltenstherapie, die Ihnen anscheinend durch Ihre
Psychotherapeutin ermöglicht wird). Zur Verhaltenstherapie würde es
gehören, sich strikt an ein Ernährungsprogramm zu halten und nach Plan
sich unter Menschen zu begeben.
4. Zusätzlich zum Thema Angst könnte es sich lohnen, mit Ihrer
Therapeutin das Thema "Selbstwert" zu bearbeiten. Nach meiner
Erfahrung haben junge Frauen mit Essstörungen fast immer ein starkes
"Selbstwertproblem". Was sie dann als "Angst"
beschreiben, lässt sich mitunter noch besser als Scham einstufen (lesen
Sie dazu die Seite über Scham auf meiner Homepage, insbesondere das
Antischam-Training). Scham verändert man am besten dadurch, indem man
sich oft (!!) unter andere Menschen begibt, um dort die Erfahrung zu
machen, dass es keinen Grund für Scham gibt.
5.
Ich teile Ihre Ansicht, dass es extrem ungünstig ist, sich den ganzen
Tag nur mit dem einzigen Thema ("Essen und Übelkeit")
auseinander zu setzen. Auch hier kann Ihnen Verhaltenstherapie eine Brücke
bauen: Entwerfen Sie für jede Woche im voraus ein sinnvolles (!)
Aktivitäten-Programm, das Ihnen keine Zeit lässt, über "Essen
und Übelkeit" weiter nachzudenken. Je genussvoller die Vorhaben
sind, um so besser wird es wirken. In diesem Zusammenhang könnte es
auch sehr sinnvoll sein, Ihren Freundes- und Bekanntenkreis zu erweitern
und zu pflegen (Ihre E-Mail klingt so, als hätten Sie sich von der Welt
etwas zurück gezogen).
6.
Als letzten Gesichtspunkt möchte ich noch "Vertrauen"
ansprechen. Auch auf dieses Thema bin ich bei Frauen mit Essstörungen
immer wieder gestoßen. Oft findet man im Leben der Betroffenen
Ereignisse (meist schon in den ersten Lebensjahren), die entweder kein
"Grundvertrauen" entstehen ließen oder dieses nachhaltig
erschüttert haben. Dass auch Sie mit (mangelndem) Vertrauen zu kämpfen
haben, klingt darin an, dass Sie Ihrem Körper (speziell dem Magen)
nicht vertrauen. Wenn man sich schon selbst nicht vertrauen kann, wem
soll man dann vertrauen? Vertrauen zu entwickeln, ist keine einfache
Angelegenheit; wenn Sie eine gute Beziehung zu Ihrer Therapeutin haben,
kann dies schon der erste (entscheidende) Schritt dazu sein.
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