Wien (pte/27.09.2005/12:45)
- Der jüngste WHO-Bericht über die steigende Fettleibigkeit der
Erdbewohner ( pte berichtete
http://www.pressetext.at/pte.mc?pte=050926015
) hat besonders die Polynesier in ein schlechtes Licht gerückt. Neun von
zehn Tonganischen Männern sind demnach fettleibig. Der Mediziner und
Fachbuchautor Christian Lehner kritisiert an dieser Untersuchung den
fehlenden kulturellen Hintergrund. "Fettleibigkeit bedeutet in
Polynesien nicht Krankheit, sondern großen Einfluss und Reichtum", so
Lehner im pressetext-Interview. Fettleibigkeit als Krankheitsbild gibt
es nicht, krank sei der, der so mager ist, dass man seine Knochen sieht.
"Die meisten Untersuchungen zur Fettleibigkeit sind von den USA
ausgegangen", kritisiert Lehner. Dass eine Veränderung der Mahlzeiten
wie sie von Exil-Polynesiern in Australien, Neuseeland oder in den USA
betrieben wird, problematisch ist, streitet der Mediziner nicht ab. Der
zunehmende Konsum von gesüßten Getränken, Dosenfleisch und der
Tabakkonsum geht mit verheerenden Folgen für die Gesundheit einher.
Ähnliche Phänomene sind auch bei Indianern in den USA aufgetreten.
"Jemand, der dick ist, gilt in Samoa oder Tonga aber nicht als krank,
sondern als angesehen, weil er Nahrung von anderen als Geschenk
bekommt", erklärt Lehner. Generell sei das Nahrungsaufteilungssystem auf
den Inseln anders als in Europa: Die Polynesier haben nie auf Vorrat
gesetzt, da alle Nahrungsmittel wie Fisch, Obst und Gemüse täglich
frisch waren und in der Dorfgemeinschaft aufgeteilt wurden. Mit
Einführung der Zahlungsmittel habe sich das geändert. "Cola und Eis
haben plötzlich zu unbekannten Erkrankungen wie Karies geführt", so
Lehner.
"Traditionelle samoanische Heiler behandeln keine Krankheiten, die
nicht-samoanisch sind. Dazu gehören zum Beispiel Diabetes, Syphilis und
TBC", erklärt der Mediziner, der mehrere Jahre auf Samoa verbrachte und
ein Buch über die traditionelle Medizin schrieb (pte berichtete
http://www.pressetext.at/pte.mc?pte=030802002
). Sie lehnen solche Erkrankungen ab, weil sie nicht in Samoa entstanden
sind. "Alles deutet darauf hin, dass sie von Palangis, so nennen
Samoaner die Weißen, nach Samoa gekommen sind", erklärt Lehner. Damit
verbunden war auch die neue, westliche Definition des Terminus
"Gesundheit": Gesund war, wer arbeitsfähig war. "Am Sklavenmarkt hatten
Käufer den Schweiß der Sklaven gerochen, damit sie sicher sein konnten,
dass es sich nicht um Diabetiker handelt", so Lehner.
Dass Fettleibigkeit automatisch heisst, dass man nicht alt wird, hält
Lehner für Unsinn. Der Dickste war immer der Chef - ein Beispiel dafür
ist der König von Tonga, Taufa'ahau Tupou der Vierte. Dieser Monarch hat
allerdings in den vergangenen Jahrzehnten in einem Sport- und
Fitnessprogramm, das auch die Untergebenen zur körperlichen Ertüchtigung
ermutigen sollte, -zig Kilo abgespeckt. Inzwischen ist der König 87.
Jahre alt. Dass nicht nur auf den Inseln Polynesiens die Lebenslust und
der Genuss groß geschrieben wird, hat auch eine Studie des National
Cancer Institute Anfang des Jahres gezeigt: Moderates Übergewicht wirke
sich lebensverlängernd aus, während konstantes Untergewicht - das nicht
durch Krankheit ausgelöst werde - als Risikofaktor für vorzeitiges
Ableben ermittelt wurde (pte berichtete:
http://www.pressetext.at/pte.mc?pte=050420051
). (Ende)
Quelle: pressetext.de |