Tag 0
Ich bin so müde. Es wiederholt sich alles, ewig
grüßt das Murmeltier. Ich kann nicht mehr. Es gibt überhaupt keine
Perspektive. Ich habe nicht die Kraft, mein Unglück zu verändern. Weinend
fahre ich zu meinem Termin bei Dr. Mück, schluchzend sitze ich da. Ich sitze
in der Falle, ich kann sowieso nichts ändern, es ist sowieso alles sinnlos.
Die Details langweilen ihn. Alles schon zu oft erzählt.
Die Entscheidung
Ich will mein Leben verändern.
Der Beginn davon wird die Trennung von meinem
Mann sein.
Das
Papaguhn sagt:
Du weißt doch überhaupt nicht, wohin.
Ich sage:
Ich werde alle meine Freunde fragen, vielleicht hat jemand eine gute Idee.
Das
Papaguhn sagt:
Niemand kann einfach mit vier Pferden umziehen. Man findet keinen Stall und
wenn, kann man ihn sich nicht leisten.
Ich sage: Zur Not muss ich mich von zweien trennen. Das wird schon irgendwie gehen. Ich
muss jetzt Prioritäten setzen.
Das
Papaguhn sagt: Du hast gar keine Freunde.
Ich sage:
Wenn ich in meiner Not über meinen Schatten springe und um Hilfe bitte, wird
sich zeigen, ob ich Freunde habe.
Das
Papaguhn sagt: Das schaffst du finanziell gar nicht, das wird eine
Katastrophe.
Ich sage:
Ich kann gut arbeiten und werde mich immer über Wasser halten. Meine Ansprüche
kann ich meinen Möglichkeiten anpassen – erst recht, wenn ich keine
unglückliche Beziehung mehr habe.
Das
Papaguhn sagt:
So ein Haus, wie du da zurücklässt, ist unverkäuflich.
Ich sage: Ich brauche nur einen einzigen Interessenten. Wir haben es ja auch gekauft.
Das
Papaguhn sagt: Du kannst nicht heimlich verschwinden. Das ist nicht fair, das
ist nicht erwachsen.
Ich sage:
Die Arten, wie man sich nicht trennt, kenne ich durch meine
Fehlversuche. Ich will ihm keine Gelegenheit geben, um mich zu werben, deshalb
muss ich ihn damit überraschen. Es gibt ohnehin keine gute Art, sich zu
trennen.
Das
Papaguhn sagt:
Das kannst du dem Kind nicht antun.
Ich sage:
Das Kind leidet unter dieser ungesunden Beziehung. Ich muss es auch für das
Kind tun.
Das
Papaguhn sagt:
Du wirst einsam sein.
Ich sage:
Ich bin jung, sehe gut aus, bin intelligent, witzig, im Beruf erfolgreich,
finde rasch Anschluss – das wäre doch gelacht, wenn ich einsam bliebe!
Das
Papaguhn sagt:
Du schaffst es sowieso nicht, du hast es noch nie geschafft, du wirst zu ihm
zurückkehren.
Ich sage:
Ich habe vielfältige Erfahrungen gemacht, wie ich es nicht geschafft habe. Aus
diesen Erfahrungen habe ich gelernt.
Tag 1
Ich maile an viele meiner Bekannten „Um mich
von meinem Mann zu trennen, brauche ich möglichst rasch eine
Übergangs-Bleibe.“ und „Wer hat eine Idee, wo ich meine Pferde unterbringen
kann?“ und „Kennt jemand eine passende Mietwohnung für mich und die meinen?“
Tag 2
Eine um ein paar Ecken bekannte Familie ist für
zehn Wochen in Spanien. Ihre 160qm-Wohnung steht leer. Der Kater, der darin
lebt und von Nachbarn versorgt wird, würde sich über eine Gastfamilie sehr
freuen. Ich kann heute noch die Schlüssel abholen.
Tag 3
Ich bekomme ein Angebot, meine Pferde
unterzubringen bei Leuten, die mich kennen und offenbar mögen. Das kann ich
finanziell stemmen. Wenn es nicht klappt, kann ich immer noch ans Verkaufen
denken.
Tag 4
Direkt neben dem Hof, auf dem meine Pferde
leben soll, wird ein Häuschen zur Miete frei. Perfekter Zuschnitt, der Preis
passt. Allerdings dauert es noch drei Monate, es zu renovieren.
Tag 5
Mein zukünftiger Vermieter aktiviert die Kraft
seiner ganzen Familie: zum nächsten ersten kann ich einziehen. Der Mietvertrag
ist unterschrieben.
Tag 6
Ich muss Vorsorge gegen meine Einsamkeit
treffen, Rückfallprophylaxe. Ich erstelle ein Profil in einer
Internet-Single-Börse. Ein Kollege aus demselben Ort identifiziert mich anhand
meiner Beschreibung. Er habe mich immer schon begehrenswert gefunden, ob er
jetzt, wo ich Single sei, mal mit mir ausgehen dürfe.
Tag 7
Heute geht es mir nicht gut. Ich bin nervös,
mir ist schlecht, ich zweifele. Heute werde ich alles, was in mein Auto passt,
einpacken, die Pferde in den Hänger, werde heimlich verschwinden und meinem
Mann erst abends mitteilen, dass ich nicht zurückkomme.
Mein neues Leben
Mein Mann war schockiert – aber er akzeptiert
meine Entscheidung als gut und richtig. Er spürt, dass es diesmal endgültig
ist.
Ich habe die Pferde in ihren neuen Stall
gebracht. Der Start dort war sehr gut, ich habe neuen Anschluss gefunden, viel
Ablenkung (Rückfallprophylaxe).
Ich wohne in der Wohnung der Spanien-Urlauber
und warte darauf, dass mein Häuschen bezugsfertig wird. Alles läuft dort nach
Plan.
Im Einvernehmen mit meinem Mann habe ich
gemeinsames bewegliches Eigentum verkauft, der Erlös war so hoch, dass auf
unserem Hauskonto die Kreditraten für die nächsten drei Monate bereitliegen.
Das verschafft uns Luft. Mein erarbeitetes Geld kann ich für mein neues Leben
nutzen.
Ich habe zum Hausverkauf im Internet viel
Werbung gemacht. Mein Mann wirkt am Verkauf mit und bleibt bis dahin dort
wohnen. Es gibt ein paar Interessenten. Ich bin guten Mutes.
Der Kollege, der mich im Single-Internet
aufstöberte, ist so genau der Mann, nach dem ich gesucht hätte, dass ich
diesen Zufall gar nicht fassen kann.
Kritische Zuschrift am 11.07.2014 |