Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Die Kunst sich abzustimmen

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Kennen Sie den Satz, dass man gut daran tut, den anderen erst einmal dort abzuholen, wo dieser (innerlich) gerade ist? Leider beherzigen viele Menschen diese Lebensweisheit nicht, sondern „poltern“ beispielsweise direkt los oder schütten unmittelbar ihr Herz aus, sobald sich die von ihnen angerufene Person am Telefon mit „Hallo“ meldet, ein Bekannter ihnen auf der Straße begegnet oder sie auf einem Fest einen Freund treffen. Offenbar setzen sie voraus, dass der Andere genau so an dem Gespräch und dem angesprochenen Thema interessiert ist wie sie selbst. Solchen Personen fällt es meistens sehr schwer sich vorzustellen, dass andere Menschen im gleichen Moment möglicherweise mit völlig anderen Dingen und Interessen beschäftigt sind. Sie können kaum nachvollziehen, dass sich deren Stimmung und Gefühle von den eigenen oft eher unterscheiden und eher selten von vornherein mit diesen deckungsgleich sind. In der Fachsprache sagt man, den Betreffenden fehle eine „Theory of Mind“ oder anders ausgedrückt: Sie sind nicht in der Lage sich bewusst zu machen, wie sehr sich die eigene Psyche in ihren Vorstellungen und Funktionieren mitunter von der Psyche anderer abhebt.

Die aufgrund der möglichen Diskrepanzen drohenden Missverständnisse, Kränkungen und Verletzungen lassen sich weitgehend vermeiden, wenn man zu Beginn eines jeden Kontaktes versucht, sich erst einmal gegenseitig aufeinander abzustimmen (ähnlich wie sich Musiker vor einem gemeinsam gespielten Stück auf einen gemeinsamen Ton einspielen). Wer diese Mühe aus Bequemlichkeit scheut, zahlt letztendlich doch drauf. Denn wenn das Gegenüber nicht „auf Sendung ist“, spricht man wie gegen eine Wand und alle aufgewandte Energie bleibt ohne Effekt.

Die Kunst, sich aufeinander abzustimmen, erlernt jeder Mensch mehr oder weniger gut von Geburt an: Wenn das Baby schreit, um auf seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen und seine Bezugspersonen mehr oder weniger gut reagieren, macht das Baby seine ersten Grunderfahrungen in zwischenmenschlicher Abstimmung. Sie können lebenslang prägen. Menschen, die sich als Erwachsene kaum oder nur schwer abstimmen können, fehlen vermutlich ausreichend gute „Abstimmungserfahrungen“ in der frühen Kindheit. Die Bindungsforscher sprechen in diesem Zusammenhang auch von mangelndem „Attunement“.

Ob und wie gut ein Mensch sich abstimmen kann, merkt man nicht nur daran, wie er das Gespräch eröffnet („Rufe ich zu einem günstigen Zeitpunkt an? Hättest du Lust jetzt mit mir etwas zu reden? Wie geht es dir gerade?“). Auch Zwischenfragen können die „anhaltende Abstimmungsbereitschaft“ signalisieren („Interessiert dich das noch? Spreche ich zu viel, zu schnell, zu laut? Wie geht es dir mit dem, was ich dir gerade erzählt habe?“). Außerdem erkennt man „abstimmungskompetente“ Menschen daran, dass sie ihren Redefluss an nonverbalen Signalen des anderen ausrichten, also beispielsweise diesen stoppen, wenn sie anhand der Mimik ihres Zuhörers registrieren, dass der andere gerade etwas entgegnen möchte. Sie „ziehen also nicht nur konsequent ihr Ding durch“. Vielmehr passen sie Sprechtempo, Lautstärke, Betonungen, Sprechmelodie, gewählte Sprachbilder, Dialekteinfärbungen und Redepausen der Sprachwelt ihres Gegenübers an.

Wie bedeutsam „gegenseitige Abstimmung“ für uns Menschen sein kann, belegen mitunter traumatisch wirkende Erfahrungen. Typischerweise prallen dabei zwei oder mehr Menschen in völlig unterschiedlichen Gefühlszuständen aufeinander und jeder versucht einseitig – ohne Abstimmungsversuch –seine Welt auszuleben. Beispiele: Ein Kind läuft strahlend auf seine Eltern zu, um diesen stolz ein gemaltes Bild mit der Aufforderung zu zeigen „Seht nur!“, wobei es direkt eine Ohrfeige erhält mit dem Kommentar „Du solltest doch dein Zimmer aufräumen!“ Oder jemand überschüttet einen anderen mit seinem ärgerlichen Äußerungen über eine nicht anwesende Person, wobei der „Zuhörer“ innerlich voller Trauer ist, weil er gerade vom Tod seiner Mutter erfuhr. Während solche „krassen“ Beispiele mangelnder Abstimmung fast jeden von uns von der Notwendigkeit des sich Abstimmens überzeugen, ist dies bei weniger offensichtlichen Unterschieden leider nicht der Fall. Dabei reichen oft schon minimale „Fehlabstimmungen“ aus, um das Gespräch bzw. den Kontakt ins Nichts laufen zu lassen (weil eine Partei schon nicht mehr ausreichend auf Empfang eingestellt ist, was man allerdings oft erst im Nachhinein merkt).

Wie und worüber sollte man sich nun vor allem „abstimmen“? Am hilfreichsten ist es vermutlich, sich immer und immer wieder Rückmeldungen („Feedback“) beim Gegenüber einzuholen. Geeignete Fragen sind: „Wie ist das bei dir angekommen?“ „Was hat es bei dir ausgelöst?“ „Wie hast du es verstanden?“ Wichtig ist es dabei, dem anderen ausreichend Zeit zu lassen, sich auf die neue Situation bzw. den Kontakt „einzustimmen“. Das beste Ergebnis erzielt ansonsten wahrscheinlich der Versuch, möglichst direkt die bei den Beteiligten gerade aktiven Bedürfnisse in Einklang zu bringen, soweit dies möglich ist. Einklang heißt dabei niemals, dass einer sein Bedürfnis zugunsten der Bedürfnisse eines anderen „aufgibt“ – so etwas geht vermutlich nicht. Offenbar ist dann eine Partei bereit, ihre Bedürfnisse zu „unterdrücken“, was ganz offensichtlich kein „Abstimmen“ ist. Die Abstimmung von Bedürfnissen ist keineswegs einfach. Die Schwierigkeiten beginnen oft schon damit, dass sich die Gesprächspartner ihrer momentan wichtigsten Bedürfnisse gar nicht bewusst sind. Da wir in einer Gesellschaft leben, die eher „coole Typen“ schätzt, werden Bedürfnisse tendenziell mit „Bedürftigkeit“ in Verbindung gebracht und deshalb eher verleugnet. Andererseits erzeugt die gleiche Gesellschaft ständig auf künstlichem Wege neue Bedürfnisse, um den Konsum anzuheizen. Sollte es den Gesprächspartnern dennoch gelingen, ihre Bedürfnisse zu spüren und klar genug zu benennen, werden sie oft überrascht feststellen, dass sich viele der geäußerten Bedürfnisse gar nicht widersprechen. In einer „konzertierten“ Aktion lassen sich dann oft mehr Bedürfnisse befriedigen, als man auf den ersten Blick erwartet hätte.

Woran erkannt man eine gelungene Abstimmung? Wer dies schon einmal erfahren hat, dem braucht man dies vermutlich gar nicht mehr erläutern. Ansonsten gilt: Gelungene Abstimmung erzeugt „Flow“ (es gibt kaum noch „Reibungsverluste“) und erzeugt dadurch Glücksgefühle. Die eigenen Bedürfnisse kommen zum Zug, ohne dass es besonderer (bzw. gewohnter!) Anstrengung bedarf.