Die Fähigkeit, mit Unsicherheit leben zu können und auf die Illusion von
Sicherheit zu verzichten, ist gesundheitlich besonders förderlich. Dabei
gilt es, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass außer unserem Tod in
dieser Welt nichts sicher ist. Unser stark durch Kausalität geprägtes
Denken (Nach dem Motto „Alles hat eine Ursache“) verleitet uns zu der
Fehlannahme, man könne alles verstehen bzw. erklären und damit letztlich
auch „kontrollieren“. In der Wissenschaft weiß man dagegen schon lange,
dass alles nur „relativ“ ist und auf Annahmen beruht, die in
menschlichen Köpfen entstanden sind. Wie die Welt genau funktioniert und
wie sie vielleicht „wirklich“ ist, werden wir mit unseren (bescheidenen)
Mitteln nie erfahren. Die folgenden Anregungen laden Sie dazu ein, sich
auf das Abenteuer der Freiheit einzulassen. Ihr Preis ist die
Unsicherheit.
Sicherheitsversprechen misstrauen
Ein ganzer
Wirtschaftszweig („Versicherungswesen“) lebt davon, Sicherheit zu
verkaufen. Dies nährt die Illusion, dass Risiken kontrollierbar bzw.
vermeidbar sind. Kontrollierbar ist aber allenfalls der mögliche
Schaden, der beim Eintritt eines Risikos droht.
Skeptisch mit
„wissenschaftlichen Erkenntnissen“ umgehen
Wer sich intensiver
mit Wissenschaft befasst hat, weiß, dass viele „Erkenntnisse“ nur auf
Durchschnittswerten beruhen, „Tendenzen“ aufzeigen bzw. „Annäherungen“
verkörpern. In einem Land wo es entweder bitterlich kalt (- 10 Grad)
oder extrem heiß ist (+ 40 Grad), herrscht immerhin statistisch eine
sehr angenehme Durchschnittstemperatur von 25 Grad. Würden Sie im
Vertrauen auf diese „Durchschnittstemperatur“ dort Urlaub machen wollen?
Reagieren Sie lieber skeptisch auf „wissenschaftliche“ Zahlenspiele
(insbesondere Wahrscheinlichkeitsvoraussagen), sonst entwickeln Sie
schnell verzerrte Vorstellungen von den tatsächlichen Verhältnissen.
Sich auf
Chaos einlassen – es wie mit dem Wetter halten
Viele Wissenschaftler
orientieren sich an dem Gedanken, dass die Welt ein „Chaos“ ist. Zwar
bilden sich auch hier immer wieder „Ordnungen“, aber diese lassen sich
nie genau berechnen und sind zudem vergänglich. Wie chaotisch und
unberechenbar die Welt ist, erfahren wir tagtäglich in Form des Wetters.
Bis heute ist dieses trotz modernster Messanlagen und Computertechnik
manchmal selbst für nur wenige Stunden nicht genau vorhersagbar. Wie
chaotisch es letztlich ist, demonstrieren uns jedes Jahr genügend
„Naturkatastrophen“. Und selbst wenn es uns gelänge, das Wetter
vorherzusagen, könnten wir es damit noch lange nicht steuern.
Mit
Widersprüchen leben können oder die Sowohl-als-auch-Haltung
Unser „modernes“
Denken ist von „Logik“ geprägt, nach der sich viele Dinge und
Sachverhalte nur nach einem „entweder-oder-Prinzip“ verhalten können.
Viele Vorgänge richten sich aber nicht nach dieser Logik. So kann man
einen Menschen lieben und ihm doch gleichzeitig wehtun. Sie werden
insgesamt erfolgreicher durchs Leben gehen, wenn Sie Widersprüche
aushalten bzw. Gegensätzliches nebeneinander bestehen lassen.
In einer
unbeständigen Welt nicht um Beständigkeit kämpfen
In dieser Welt ist
nichts von Bestand – oder kennen Sie eine Ausnahme? Keine Ordnung bleibt
ohne äußeres Zutun erhalten. Lösen Sie sich daher von der Illusion, Sie
könnten je einen Zustand erreichen, wo „alles in Ordnung ist“ und Sie
selbst damit „in Sicherheit sind“. Eine solche Ruhe finden Sie
frühestens im Grab. Machen Sie lieber das Beste aus den vielen
Unbeständigkeiten. Schließlich wehren Sie sich ja auch nicht gegen das
Erfordernis, täglich zu essen, zu trinken und zu schlafen. denn.
Möglicherweise gehören Sie ja zu den Menschen, die diese Form des
täglichen Abstrampelns sogar genießen können.
Balanceakte
als Daueraufgabe
Die zuletzt
geäußerten Gedanken verdeutlichen, dass Leben ein labiler
Gleichgewichtszustand ist. Er muss pausenlos neu „einreguliert“ werden.
Glücklicherweise gelingt dies unserem Wunderwerk von Organismus
weitgehend automatisch. Denn in uns arbeiten unzählige „Autopiloten“ die
uns sicherer durchs Leben steuern, als dies Fluglotsen oder
Hightec-Geräten je möglich sein wird.
Vieldeutigkeit bzw. Vielfalt genießen, nicht nur sie ertragen
Zu den „unsichersten“
Phänomenen dieser Welt gehören „Bedeutungen“. Diese werden durchweg von
Menschen gemacht und sind daher alles andere als „eindeutig“ bzw.
„sicher“. Werten Sie dies nicht als Tragödie oder Drama: Eine
vieldeutige Welt ist viel interessanter und bietet mehr Möglichkeiten
(Freiheiten) als eine Welt, die jeweils immer nur eine einzige Lösung
kennt und Sie dann zu einem bestimmten Verhalten zwingt.
Unsicherheit
als Voraussetzung von „Freiheit“ wertschätzen
„Freiheit“ gehört zu
den höchsten Werten der meisten Menschen. In vielen Befragungen rangiert
„Freiheit“ sogar auf Platz eins, wenn untersucht wird, was Menschen
„glücklich“ macht. Freiheit ist aber nur dort möglich, wo möglichst
wenig „vorbestimmt“ oder „geregelt“ ist (vieles also unsicher bleibt!).
So überraschend dies auch klingen mag: Indem Unsicherheit Freiheit
ermöglicht, trägt sie wesentlich zu menschlichem Wohlbefinden bei.
Entscheidungen treffen und dafür Verantwortung übernehmen
Wer mit Unsicherheit
schlecht leben kann, dem fällt es meist auch schwer, Entscheidungen zu
treffen. Solche Zauderer schrecken oft deswegen vor Entscheidungen
zurück, weil sie für deren Folgen nicht die Verantwortung übernehmen
wollen. Fazit: Wer bereit ist, mit Unsicherheit zu leben, muss auch
bereit sein, Entscheidungen zu treffen und für deren Folgen die
Verantwortung zu tragen.
Vertrauen
entwickeln
Auf Sicherheit
drängen vor allem Personen, die wenig Vertrauen in das Leben, in ihre
Mitmenschen oder zu sich selbst haben. Wenn Sie dazu gehören, haben Sie
vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht. Diese sollten Sie aber nicht
verallgemeinernd auf (fast) alles und jeden übertragen. Das Leben meint
es überwiegend gut mit uns, sonst wäre die Menschheit längst
ausgestorben.
Selbstvertrauen aufbauen
Der einzige, dem Sie
wirklich vertrauen können, sind Sie selbst. Falls Sie sich selbst noch
nicht vertrauen, sollten Sie nachdenklich werden: Wie wollen Sie zu
irgend etwas oder irgend jemandem je Vertrauen finden, wenn Sie sich
schon nicht selbst vertrauen? Bei Ihnen selbst fängt die Aufgabe also
an. Selbstvertrauen fliegt niemandem zu – es bedarf vielfältiger
Erfahrungen, bei denen man sich vom eigenen Funktionieren in der Welt
immer wieder neu überzeugt.
Grenzen des Bewusstseins akzeptieren
In unseren Köpfen können
wir lediglich nur Vorstellungen über die Welt erzeugen. Diese bilden die
Wirklichkeit nie exakt ab. Es ist wie bei einem Stadtplan, der die wahre
Stadt immer nur symbolisch beschreiben kann. Dennoch erleichtern es
solche Pläne, sich in Städten bzw. im Leben zurechtzufinden. Selbst
unsere „Willensentscheidungen“ scheinen eher fiktiv zu sein. Die
Forschung hat nämlich gezeigt, dass unser Gehirn längst Entscheidungen
getroffen hat, bevor uns das Bewusstsein glauben lässt, wir hätten
gerade etwas höchstpersönlich und bewusst entschieden. Selbst für unser
Bewusstsein scheinen die erwähnten „Autopiloten“ somit eine größere
Rolle zu spielen, als es unserem Stolz vielleicht lieb ist. Andererseits
haben wir viel Grund, diesen „Autopiloten“ dankbar zu sein. Kein Kapitän
dieser Welt könnte auf die Dauer Gleiches leisten. |