Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Angst und Angstbewältigung vor chirurgischen Maßnahmen

(von Prof. Dr. Werner Tolksdorf)

Chirurgische Maßnahmen sind schmerzhaft und greifen in die Körperintegrität ein. Unabhängig von der kurativen oder palliativen Zielsetzung lösen sie im Patienten ein Gefühl der Angst aus. Viele Patienten geben an, die Ursachen ihrer Angst nicht konkretisieren zu können. Sie haben ein „komisches Gefühl“. Konkrete angst- oder besser Furcht auslösende Faktoren haben sich im Lauf der Jahre verändert. Dies zeigen viele Untersuchungen aus den 50er bis zu den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Dies hat mehrere Ursachen. Die Menschen haben sich geändert, ihre Lebenseinstellungen, die sozialen und politischen Verhältnisse u. v. a. m. Waren Anästhesie und Operation vor 20 – 30 Jahren Geheimnis umwobene Vorgänge hinter verschlossenen Türen, so können sie heute zu normalen Sendezeiten im Fernsehen verfolgt werden. Interessanterweise gibt es meines Wissens keine Untersuchung, die sich mit den Auswirkungen der veränderten Gegebenheiten Anfang des 21. Jahrhunderts befasst. Viele Angst auslösende Ursachen und Faktoren haben sich verändert: die Operationstechniken, die Anästhesiemethoden, die OP-Organisation (stationär, prästationär, ambulant) u. v. a. m. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass eins der wichtigsten anxiolytischen Maßnahmen, die Prämedikation, bei ambulanten Patienten gar nicht mehr durchgeführt wird. Ein Ergebnis früherer Untersuchungen, dass der prämedizierende Anästhesist möglichst auch der die Anästhesie durchführende Anästhesist sein sollte, ist heute zumindest in einer größeren Klinik fast nicht mehr organisierbar. Weshalb ist es überhaupt notwendig, sich mit der Angst des Patienten zu beschäftigen? Angst hat emotionale, physiologische und Verhaltenskonsequenzen. Die emotionale Komponente muss uns aus humanen Gründen interessieren, die physiologischen Konsequenzen sind unmittelbar anästhesie-relevant und die Verhaltenskonsequenzen dienen dazu, das Ausmaß der Angst bzw. die Art der Angstbewältigung festzustellen. Zum besseren Verständnis unserer Patienten ist es notwendig etwas über Angstbewältigung zu wissen. Der Zustand der Angst ist unangenehm und jeder Mensch versucht, diesen Zustand zu ändern. Die Angstbewältigung variiert vom extrem Sensitiven, d. h., der Patient sucht alle möglichen Informationen auf allen möglichen Wegen, um ein vollständiges Bild der Situation zu erlangen (was nicht gelingt) bis hin zu vollständiger Verleugnung und Verdrängung der Bedrohlichkeit der Situation (Repression). Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Angstbewältigung, die zu einem mittleren, sozusagen situationsadäquaten Angstniveau führt, für den Krankheitsverlauf am günstigsten ist. Der extreme „Sensitizer“ leidet vor allem emotional bis hin zu Panikattacken mit Bettflucht, Katheterentfernung u. s. w. Extreme „Represser“ hingegen geben vor, keine Angst zu haben, leiden aber physiologisch: sie neigen zu ausgeprägten Stressreaktionen, von Tachykardie und Blutdruckerhöhung bis hin zu vasovagalen Synkopen. Frauen neigen eher zu einem sensitiven Angstbewältigungsmechanismus, Männer sind häufiger Represser.

Beide Extremgruppen stellen Problempatienten dar, auf die individuell eingegangen werden muss. Die einfachste Methode ist die medikamentöse Prämedikation mit anxiolytisch wirkenden Benzodiazepinen.

Wie erkennt man Problempatienten? Glücklicherweise gelingt es im Prämedikationsgespräch, sowohl durch Befragung als auch durch Beobachtung der Patienten, den emotionalen Zustand gut einzuschätzen. Dies gilt nicht mehr für prämedizierte Patienten: hier können die Angsteinschätzung der Patienten von denen der Behandelnden extrem differieren.

Im Hinblick auf eine patientenorientierte anästhesiologische und operative Behandlung erscheint es auch heute notwendig, das Thema Angst in die aktuelle Forschung wieder einzubeziehen: in der Klinik drängt sich beispielsweise der Eindruck auf, dass ausgerechnet die Patienten, die von einem Periduralkatheter bei Lungen- oder abdominellen Eingriffen profitieren würden, diesen aus Angst (oder Angstverleugnung) ablehnen. Ich möchte deshalb den heutigen Vortrag dazu benutzen, wieder die Aufmerksamkeit auf psychologische Faktoren zu richten mit dem Ziel, unsere Maßnahmen menschlicher und zugleich effektiver zu machen.

Autor:

Prof. Dr. W. Tolksdorf
Prof. Dr. med.
Werner Tolksdorf, Chefarzt, Klinik für Anästhesie, Klinikum Hildesheim GmbH
Klinik für Anästhesie
Klinikum Hildesheim GmbH

Vortrag im Rahmen des 52. Anästhesiecongresses in München

19. April 2005; 08.30 - 10.00 Uhr; Raum 02