Die Art und Weise, wie wir
denken, fühlen und uns verhalten, ist in unserem Nervensystem mehr oder
weniger festgelegt. Für das Ergebnis spielt ein große Rolle, wie stark
oder schwach die Verknüpfung zwischen den beteiligten Nervenzellen ist: Je
stärker die Verknüpfung ausfällt, umso unwahrscheinlicher ist, dass sich
in unserem Denken, Fühlen und Verhalten etwas ändern wird. Dank der
Erkenntnisse der modernen Hirnforschung wissen wir, dass die wiederholte
„Benutzung“ zweier in Kontakt stehender Nervenzellen dazu führt, dass die
Verbindung zwischen ihnen an Stärke zunimmt (Man spricht in diesem
Zusammenhang auch von „Bahnung“). Es ist ähnlich wie bei einem Muskel, der
durch häufige Aktivierung kräftiger wird. So erklärt sich, warum in
unserem Nervensystem bei neuen Aufgaben vor allem solche Programme
„anspringen“, bei denen bereits kräftige Verknüpfungen zwischen den
beteiligten Nervenzellen bestehen. Auch hier passt der Vergleich mit den
Muskeln: Wer nur kräftige Beinmuskeln hat, wird zum Heben schwerer
Gegenstände vor allem diese einsetzen. Die Nachteil ist, dass die Beine
immer kräftiger werden und andere Muskeln – mangels Benutzung –
verkümmern.
Auch ein anderes Bild aus
dem Alltag kann die Situation in unserem Gehirn gut veranschaulichen.
Stellen Sie sich vor, dass sie mit einem vollen Reisebus in einem
Skigebiet mit hohem Schnee ankommen. Schon beim Aussteigen erkennen Sie
sofort, dass es zum Skilift nur zwei Wege gibt: einen breit getrampelten
und gut begehbaren Pfad und die Stapfen eines Einzelgängers, der im hohen
Schnee ein paar Stapfen hinterlassen hat. Welchen Weg werden die
Neuankömmlinge wohl nehmen? Die Antwort fällt nicht schwer: Fast alle
werden sich für den bequemen Weg entscheiden. Dies führt dazu, dass dieser
noch besser ausgetrampelt und so für künftige Ausflügler noch attraktiver
wird. Und ähnlich verhält es sich auch in unserem Gehirn. Wenn dort einmal
ein Muster stabil angelegt ist (im Denken, Fühlen oder Verhalten), wird
das Gehirn auf jeden noch so neuen Reiz reagieren, indem es ihn bevorzugt
in den alten Bahnen verarbeitet. Und genau hier können Psychotherapie und
Coaching einsetzen: Sie motivieren dazu, neue „Bahnen“ anzulegen, was
anfänglich oft mühsam und schwierig erscheint (So wie es anstrengend ist,
im hohen Schnee eine Spur zu treten). Je häufiger der Pfad jedoch begangen
wurde, umso mehr wird er sich zu einem geräumigen Weg entwickeln. Im
optimalen Fall ist er so breit und komfortabel, dass sich Neuankömmlinge
(neue Reize, neue Informationen) spontan für die neue Bahn entscheiden.
Wer kein Freund von Schnee ist, kann sich anstelle des hier
vorgeschlagenen Bildes auch einen Wald voller Dickicht vorstellen, durch
den einerseits ein breiter Weg, andererseits ein weitgehend verwachsener
und bislang nur von wenigen genutzter Kriechpfad führt.
Die benutzten Bilder
verdeutlichen ein weiteres: Zwar ist es lebenslang möglich, neue
attraktive Wege im Gehirn zu „bahnen“, gleichzeitig bleiben die alten
Pfade aber lange erhalten. Je mehr sie emotional eingebrannt sind, umso
schwieriger ist es, sie durch neue Erfahrungen zu löschen oder zu
„überschreiben“. So erklärt sich, warum es immer wieder (anfänglich
häufiger als später) zu „Rückfällen“ in die alten Gleise kommt. Dies ist
keine Tragödie, da die neue Bahn ja weiter existiert und schon beim
nächsten Anlauf anstelle der alten benutzt werden kann. Zudem können
Rückfälle dem Betroffenen verdeutlichen, dass er sich vorübergehend ein
bisschen mehr auf das Gehen konzentrieren, an Weggabelungen (vor
Entscheidungen) möglichst den neuen Weg wählen und sich nicht durch die
„Macht der Gewohnheit“ auf alte Pfade verlocken lassen sollte.
Bei Ängsten und
Depressionen können Nervenbahnungen besonders stabil und mächtig sein und
die Betroffenen in starren Muster gefangen halten. In einem solchen Fall
helfen oft Medikamente („Antidepressiva“, „Anxiolytika“, „Neuroleptika“)
oder Ausdauersport weiter. Antidepressiva und Sport scheint gemeinsam zu
sein, dass sie im Gehirn vermehrt „Nervenwachstumsfaktoren“ freisetzen.
Letztere fördern die Neubildung und Neuvernetzung von Nervenzellen (so
genannte Neuroplastizität).
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