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Der Mensch erreichte im Verlaufe der Evolution, bezogen auf sein
Körpergewicht, die größte Großhirnrinde (Kortex) mit einer besonders
schnellen Informationsverarbeitung im neuronalen Netzwerk. Der
menschliche Kortex besteht großenteils aus sechs Schichten mit einer
gesamten Dicke von drei bis fünf Millimetern. Hier laufen Denken,
Wahrnehmen, Bewusstsein, vom limbischen System angestoßene Emotionen
und andere kognitive Funktionen ab, aber natürlich auch deren
Störungen, wie etwa bei Depressionen, Halluzinationen oder beim
Krankheitsbild der Schizophrenie. Wenngleich die neurophysiologische
Forschung noch nicht sagen kann, wie auf der Ebene der Nervenzellen
eine Wahrnehmung oder eine Halluzination begründet wird, so kann man
mit Hilfe der neueren bildgebenden Verfahren doch bereits feststellen,
in welchen Hirnarealen sich das alles abspielt. So schildert ein
Aufsatz in einem Schwerpunktheft "Schizophrenie" der Zeitschrift
"Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag,
Stuttgart. 2008), wie Halluzinationen auf einer Aktivierung der
Hörrinde zu beruhen scheinen. Aber auch Anteile des limbischen Systems
und Sprachareale sind beteiligt. Bei der Schizophrenie schreiben die
Patienten für real gehaltene, intern generierte Monologe oder Dialoge
externen Quellen zu. Die Aktivität der Hörrinde könnte die besondere
Lebhaftigkeit und Realitätsnähe der akustischen Halluzinationen bei
Schizophrenie erklären, während das limbische System die emotionale
Beteiligung repräsentiert. Sowohl den häufigeren akustischen als auch
den optischen Halluzinationen liegt aufgrund neuerer Befunde eine
Aktivierung spezifischer sensorischer Areale zugrunde. Die im
Gegensatz zu akustischen Vorstellungen weitgehend fehlende Aktivierung
des präfrontalen Kortex, der vereinfacht als "Denkmaschine"
charakterisiert werden kann, könnte die Tatsache erklären, dass
Halluzinationen, anders als Vorstellungen, nicht kontrollierbar sind.
Bei Patienten mit Schizophrenie sind die psychotischen Halluzinationen
nicht auf sensorische Areale beschränkt. Therapeutische Ansätze
stecken noch in den Anfängen.
Störungen im
emotionalen Erleben und Verhalten sind zentrale, klinisch unmittelbar
ins Auge fallende Symptome schizophrener Erkrankungen. Den neuesten
Ergebnissen zufolge sind affektive Auffälligkeiten schon als Vorboten
(Prodromalstadium) schizophrener Erkrankungen beschreibbar. In
Hirnarealen schizophrener Patienten, die bei emotional-kognitiven
Prozessen wesentlich involviert sind, wurden strukturelle und
funktionelle Auffälligkeiten nachgewiesen. Die experimentelle
Induktion positiver und negativer Emotionen kann dabei helfen, die
neurobiologischen Substrate emotionalen Erlebens aufzuklären und auf
charakteristische affektive Symptome Schizophrener zu beziehen. Das
Korrelat einer Induktion von Trauer beispielsweise bestand bei
gesunden Männern in einer signifikant stärkeren Aktivierung einer der
ältesten Hirnstrukturen, der Amygdala, die als "Gefühlszentrum"
fungiert. Bei schizophrenen Patienten hingegen war eine
Aktivitätszunahme nicht zu verzeichnen. Bei ebenfalls untersuchten
gesunden Angehörigen von Patienten entsprach das beobachtete
Aktivitätsmuster eher dem der Patienten als dem der Gesunden.
Insgesamt belegen die Ergebnisse eine beeinträchtigte Fähigkeit
schizophrener Patienten zur Empfindung verschiedener Emotionen, die
sich in abweichenden Aktivierungsmustern in dem für Emotionen
relevanten Netzwerk ausdrückt.
Auch mit dem
Gedächtnis zusammenhängende Prozesse im Gehirn können neuerdings
sichtbar gemacht werden, das heißt, wir können hirnorganische
Korrelate für psychische Störungen aufzeigen. In einem Fall von Fugue
(Flucht mit Gedächtnisverlust) deutete die Hirnaktivierung eines
Patienten darauf hin, dass er Episoden aus seinem Leben als solche
einer ihm unbekannten Person aufnahm, nicht aber als seine eigenen.
Die funktionelle Bildgebung bietet die Möglichkeit, zwischen
autobiographisch verarbeitetem und nicht als der eigenen Biographie
zugehörig betrachtetem Material zu differenzieren. Man kann also mit
den bildgebenden Methoden darstellen, wie umweltbedingte Einflüsse auf
die Persönlichkeitsstruktur auch auf Hirnebene ihren Niederschlag
finden können. Verfolgt man die Schicksale der Betroffenen, so lassen
sich fast ausnahmslos eher harmlosbanale unmittelbare Auslöser für den
Gedächtnisverlust finden, andererseits aber eine Reihe nachhaltig
wirksamer stressbehafteter oder traumatischer Ereignisse in Kindheit
und Jugend.
D. E. J. Linden:
Akustische Halluzinationen und funktionelle Bildgebung.
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2008; 76 (Sp.1); S. S33-S39
F. Schneider:
Funktionelle Bildgebung von Emotionen und emotionale Dysfunktionen bei
schizophrenen Patienten.
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2008; 76 (Sp. 1); S. S8-S15
H. J. Markowitsch:
Gedächtnis und Brain Imaging.
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2008; 76 (Sp. 1); S. S3-S7