Viele Menschen sind entsetzt, wenn sie einen
seelischen „Rückfall“ erleiden(etwa krankhafte Ängste, Misstrauen,
ungünstige automatische Gedanken, Temperamentausbrüche, Essen aus
Frustration). Ein solcher erscheint ihnen wie ein großes persönliches
Versagen oder eine Katastrophe. „Rückfälle“ gehören jedoch zum Leben,
genau so wie das Stolpern beim Gehen. Auch nach 40 Jahren Gehtraining kann
es immer wieder einmal vorkommen, dass wir straucheln und „fallen“. Das
ist zwar unangenehm und – je nach Situation - vielleicht auch peinlich,
aber eine „Katastrophe“ ist es selten. Fast jeder wird anschließend
relativ rasch aufstehen und ziemlich normal weitergehen können. Meist ist
das Ganze nach ein oder zwei Stunden wieder ganz vergessen. Ähnlich ist es
mit einem „Rück-Fall“, der ja auch nicht bedeuten muss, dass man nun
dauerhaft auf dem Boden liegen bleibt. Wie beim Fallen jeglicher Art kommt
es nur darauf an, möglichst rasch wieder auf die Beine zu kommen und
„normal“ weiterzugehen.
„Seelische Rückfälle“ wird es also immer
wieder einmal geben. Das liegt daran, dass unser Gehirn einmal erlernte
Muster nur mit Mühe vergisst. Selbst nach Jahren kann ein nicht mehr
genutztes Muster überraschenderweise wieder anspringen. Bei genauem
Hinsehen findet man dann oft „Auslöser-Reize“, die – ähnlich wie die
Kombination bei einem Tresor – die gut verschlossen geglaubte Erinnerung
wieder hervorholen. So kann es passieren, dass alte Muster aus der eigenen
Kindheit in dem Augenblick plötzlich wieder auftauchen, wo eigene Kinder
in das Alter kommen, in dem wir selbst früher diese Muster entwickelt
haben. Ein anderer typischer Auslöserreiz ist das Verhalten unserer
Mitmenschen: Wenn diese so mit uns umgehen, wie Sie selbst oder andere
früher einmal mit uns umgegangen sind, dann neigen wir automatisch dazu,
uns ebenso wie früher zu verhalten.
„Rück-Fälle“ sind am Anfang einer jeden neuen
Entwicklung relativ häufig und nehmen mit zunehmender Meisterschaft ab.
Das erfährt jedes Kind, das beim Laufen lernen unendlich oft fällt. Aber
haben Sie damals aufgegeben? Nein! Denn fast alle Kinder lassen sich –
aufgrund ihrer Neugierde, ihres Erforschungsdrangs und ihres
Nachahmungstriebs – zumindest im Rahmen des Laufen-Lernens von noch so
vielen „Hin-Fällen“ nicht entmutigen. Über kurz oder lang wird das Laufen
dann auch so gut wie für alle Kinder zu einer Selbstverständlichkeit.
Heute erinnert sich keiner von uns an die unendliche Zahl von Stürzen die
das Laufen lernen begleitet haben. Auch Sportler, die neue Techniken
erlernen wollen (z. B. eine andere Schlägerhaltung beim Tennisspiel),
wissen, wie anstrengend das Umlernen ist. Anfänglich – besonders bei
Ermüdung oder im Stress – mogelt sich immer wieder das alte Muster ein.
Der Sportler weiß jedoch in aller Regel, dass ihm die bessere Lösung
zunehmend häufiger zur Verfügung stehen kann, sofern er dies will und
konsequent weiterübt.
Bleiben Sie also
realistisch: Rück-Fälle begleiten jede Form des Umlernens. Anfänglich sind
sie häufiger, auf Dauer nehmen sie in aller Regel drastisch ab. Auch wer
ängstlich und depressiv ist, muss also – lebenslang! – damit rechnen, dass
es immer mal wieder zu einem „Rück-Fall“ kommt. Dies ist aber nicht mehr
so tragisch wie vielleicht zu Beginn des Trainingsprozesses, weil die
Lösung ja längst parat steht und meist schon ausreichend eingeübt worden
ist. Der „Rück-Fall“ braucht dann im Optimalfall nur Augenblicke zu
dauern. Ähnlich wie beim normalen „Fallen“ geht es oft nur darum,
möglichst rasch wieder aufzustehen und nach der neuen Strategie
weiterzumachen. Da das Weitermachen (hoffentlich!) schon in Fleisch und
Blut steckt, kommt es vor allem darauf an, sich den entscheidenden
„Weitermach-Ruck“ zu geben, jeglicher Entmutigung zu trotzen und sich
nicht in das alte, meist bequemere Muster fallen zu lassen.
Nutzen Sie Rückfälle
auch zum Lernen: Wenn Sie herausfinden, unter welchen Umständen diese
eintreten, können sie sich für solche Situationen künftig besser wappnen.
Wem auffällt, dass er unter Müdigkeit und Stress oder aufgrund ungünstiger
innerer Dialoge häufiger zu Rückfällen neigt, der kann beispielsweise
verstärkt darauf achten, dass Müdigkeit und Stress oder die besagten
inneren Dialoge seltener auftreten. |