Der Begriff
Resilienz
wird auch in Deutschland immer bekannter. In diesem Zusammenhang wird
auch immer wieder von den „7 Säulen der Resilienz“ gesprochen. Leider
werden die von Reivich und Shatté definierten Faktoren gerade in der
deutschen populär-wissenschaftlichen Literatur immer wieder falsch
wiedergegeben. Dieser Artikel zeigt auf, welche Faktoren einen
resilienten Menschen wirklich ausmachen und dass ein hoher Wert auf
einem Faktor nicht immer förderlich sein muss.
Resilienz beschreibt die von
Mensch zu Mensch unterschiedliche Fähigkeit, mit Druck, mit
Veränderungen, Ungewissheit und Rückschlägen im Leben umzugehen. Es
handelt sich somit um eine mentale Fähigkeit, die umgangssprachlich mit
psychologischer Widerstandsfähigkeit übersetzt werden kann. Bittet man
Menschen, die diesen Begriff zum ersten Mal hören, einen Menschen, den
sie gut kennen und der aus ihrer Sicht über eine sehr hohe Resilienz
verfügt, zu beschreiben, erhält man in der Regel immer ähnliche
Antworten. Sie werden als selbstbewusst, gelassen, humorvoll,
menschlich, zuversichtlich, zielorientiert, intelligent und
selbstreflektiert beschrieben. Irgendwie scheint bei ihnen alles zu
stimmen. Entsprechend zeigt sich eine hohe Resilienz also nicht nur in
herausfordernden Situationen, sondern auch im „normalen“ Leben.
Die US-Forscher Dr. Karen
Reivich und Dr. Andrew Shatté von der University of Pennsylvania haben
in ihrem Buch „The resilience factor“ zum ersten Mal sieben
entscheidende Faktoren beschrieben, die einen hoch-resilienten Menschen
ausmachen. Auch wenn die Bezeichnungen dieser Faktoren nicht immer
identisch sind, kann man diese sieben Faktoren in der Mehrzahl der
wissenschaftlichen Publikationen wieder finden. Diese sieben Faktoren
stellen nichts anderes dar, als die im eben genannten Beispiel
geschilderten Persönlichkeitsbeschreibungen von hoch-resilienten
Menschen. In wissenschaftlicher Sprache ausgedrückt sind die sieben
Faktoren: Emotionsteuerung, Impulskontrolle, Kausalanalyse,
Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Empathie, realistischer Optimismus und
Zielorientierung/Reaching-Out. Was verbirgt sich nun genau hinter diesen
einzelnen Faktoren?
Faktor 1: Emotionssteuerung
Wenn sich ein Call-Center-Mitarbeiter wegen eines unhöfflichen Anrufers
ärgert und nicht zurück schreit, steuert er seine Emotionen. Wenn eine
Flugbegleiterin trotz großer privater Probleme zur Arbeit geht und die
Kunden anlächelt, steuert sie ihre Emotionen. Wenn eine Führungskraft
mit dem anstehenden Veränderungsprojekt nicht einverstanden ist und
trotzdem versucht, seine Mitarbeiter dazu zu motivieren, steuert sie
ihre Emotionen. Emotionssteuerung beschreibt also die Fähigkeit, unter
Druck ruhig zu bleiben. Resiliente Menschen nehmen ihre Gefühle
bewusster wahr als andere Menschen, erkennen diese und können diese
durch unterschiedliche Verhaltensweisen und Techniken steuern. Meist
geschieht das unbewusst. Sie können dies auch, wenn sie sehr große
persönliche Herausforderungen zu bewältigen haben oder schwere
Rückschläge erleben. Ihre Leistungsfähigkeit wird entsprechend nur wenig
durch ihre Emotionen beeinträchtigt.
Faktor 2: Impulskontrolle
Der Kopfstoß von Zidane gegen Materazzi im Finale der Fußball-WM 2006
ist eines der eindrucksvollsten Beispiele für verlorene Impulskontrolle
und die negativen Konsequenzen, die dies nach sich ziehen kann. Es hat
ihn und seine Mannschaft weniger erfolgreich gemacht. Impulskontrolle
beschreibt also die Fähigkeit, sein eigenes Verhalten in
Drucksituationen zu steuern. Darüber hinaus beschreibt dieser Faktor die
Fähigkeit, sich, in unseren immer komplexer werdenden Arbeitsumfeldern,
über einen längeren Zeitraum auf eine Aufgabe zu konzentrieren und nicht
permanent, z.B. von eingehenden Emails, ablenken zu lassen. Menschen mit
hoher Impulskontrolle haben eine klare Strategie, um Ziele zu erreichen,
planen im Voraus, folgen nicht gleich ihren ersten Impulsen und geben in
der Regel seltener auf, wenn etwas nicht gut läuft. Sie bringen Dinge zu
Ende und erleben darüber eine große Zufriedenheit. Sie sind also, auch
wenn kaum jemand diesen Begriff mag, vor allem diszipliniert.
Faktor 3: Kausalanalyse
Kausalanalyse beschreibt die Bereitschaft, ein Problem, zeitlich und
inhaltlich, gründlich und treffend zu analysieren. Diese Fähigkeit hilft
Menschen dabei, den selben Fehler nicht wieder und wieder zu machen und
nicht zu früh aufzugeben. Also ihre Ressourcen zu verschwenden. Dies
trifft insbesondere dann zu, wenn Menschen auf der Basis dieser Analyse
die Gründe für Erfolge und Misserfolge treffend einschätzen können. Wenn
sich ein Mensch zum Beispiel aufgrund eines für ihn spezifischen
"Denkstils" immer die Schuld für einen Rückschlag gibt und gleichzeitig
Erfolge immer auf den Zufall zurückführt, wird dies zu wenig Motivation
und zu wenig positiven Gefühlen führen.
Faktor 4: Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit beschreibt unseren Wunsch, Herausforderungen
anzunehmen, und unsere Überzeugung, dass wir durch unser eigenes
Handeln, Dinge verändern können. Menschen mit hohen Werten auf diesem
Faktor erwarten, dass sie Dinge gut machen werden und engagieren sich
entsprechend intensiv, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Sie
bevorzugen, statt Routinetätigkeiten, Aufgaben, die eine Herausforderung
für sie darstellen, auch wenn dies vielleicht erst einmal mit einer
erhöhten Anspannung verbunden ist.
Faktor 5: Realistischer Optimismus
Realistischer Optimismus beschreibt die Überzeugung, dass sich Dinge zum
Guten wenden können und werden. Er beschreibt außerdem die Fähigkeit,
auch in sehr schwierigen Situationen eine Sinnhaftigkeit und etwas
Positives zu sehen und zu entdecken: das Glas Wasser ist in der Regel
"halbvoll" und nicht "halbleer"! Realistisch optimistische Menschen
zeigen entsprechend auch viel Nachsicht mit ihren Mitmenschen ("er hat
halt einen schlechten Tag"). Wirklich resiliente Menschen schätzen aber
gleichzeitig die Realität treffend ein, sind also nicht übertrieben
optimistisch. Denn unrealistischer Optimismus kann im Gegenzug dazu
führen, dass Menschen Risiken falsch einschätzen und somit falsche
Entscheidungen treffen.
Faktor 6: Empathie
Empathie beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, sich auf der Basis von
beobachteten Verhalten, in die psychologische und emotionale Lage eines
anderen Menschen zu versetzen. Sinngemäß "fühlen" empathische Menschen
"mit". Vielen Menschen fällt dies leichter, wenn sie schon einmal eine
vergleichbare Situation, wie ihr Gegenüber erlebt haben. Empathie hilft
uns, mehr Verständnis für unser Gegenüber aufzubringen und ist zum
Beispiel für Menschen, die häufig im Kundenkontakt stehen, äußerst
hilfreich und eine wichtige Voraussetzung für eine effektive
Emotionssteuerung. So wird der weiter oben beschrieben
Call-Center-Mitarbeiter wahrscheinlich weniger eigenen Ärger verspüren,
wenn er sich bewusst macht, dass der Kunde tatsächlich in einer
misslichen Lage ist und es ihm wahrscheinlich ähnlich gehen würde, wenn
er der Kunde wäre.
Faktor 7:
Zielorientierung
Dieser Faktor wird von Reivich und Shatté als „Reaching-Out“ bezeichnet
und ist mit Zielorientierung leider nur unzureichend übersetzt. Leider
gibt es im Deutschen keinen Begriff, der diesen Resilienzfaktor besser
beschreibt. Zielorientierung ist ein Maß dafür, wie gerne sich ein
Mensch neue Ziele setzt und diese, überwiegend, unabhängig von der
Meinung Anderer, verfolgt und umsetzt. Menschen mit hohen Werten auf dem
Faktor Zielorientierung sind überzeugt, dass sie einen guten Job machen,
sind neugierig und haben ein klares Bild von dem, was sie erreichen
möchten. Sie unternehmen selbstbewusst, gelassen und konsequent "im Hier
und Jetzt" die notwendigen Schritte, um ihre Ziele zu erreichen und
verfallen eher selten in Tagträumereien. Sie sind auch nicht mit
getriebenen Menschen zu vergleichen, die ihre Erfolge nie genießen
können und sich eher kopflos von einer Herausforderung in die nächste
stürzen. Denn dies sind häufig die Menschen, die im Laufe ihrer Karriere
an einer Erschöpfungsdepression, also einem Burn-Out erkranken.
Ein hoher Wert ist nicht unbedingt ein
guter Wert
Die Werte eines Menschen auf
den einzelnen Faktoren können mit Hilfe von Fragebögen ermittelt werden.
Das von Reivich und Shatté entwickelte RFI (Resilience Factor Inventory)
ermöglicht es darüber hinaus, auf der Basis der Werte und anlaog zum IQ
(Intelligenzquotient) seinen RQ (Resilienzquotient) zu bestimmen und mit
den Werten einer Gesamtstichprobe zu vergleichen.
Der RQ ist auch deshalb mit
dem IQ vergleichbar, weil ein hoher Wert nicht automatisch etwas Gutes
bedeutet. Der IQ oder RQ ist immer auf der Basis des Umfelds der Person
und weiterer Persönlichkeitsmerkmale zu betrachten. Entsprechend ist
mittlerweile hinlänglich bekannt, dass eine sehr hohe Intelligenz für
Menschen wie ein Fluch sein kann. Dies ist dann der Fall wenn sie z.B.
nicht richtig gefördert werden. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass
eine sehr niedrige Intelligenz kaum als etwas Positives angesehen werden
kann. Ein bisschen Intelligenz kann einfach nicht schaden. Mit der
Resilienz verhält es sich ähnlich. Entsprechend benötigt jeder Mensch
ein gewisses Maß an Resilienz, um mit den unvermeidbaren Widrigkeiten
des Lebens zu Recht zu kommen. Genau wie bei der Intelligenz trägt auch
die Mehrzahl der Menschen, diese Fähigkeit bereits in sich.
Problematisch kann es werden, wenn die Resilienz zu niedrig ist oder der
hohe Wert auf einem einzelnen Faktor nicht zu dem beruflichen Umfeld der
Person passt. Ein hoher Wert auf dem Faktor „Kausalanalyse“ bedeutet zum
Beispiel, dass jemand Problemsituationen sehr gründlich analysiert,
bevor er eine Entscheidung trifft. Dieser Wert zeigt entsprechend auch
eine bedeutende Korrelation mit der Persönlichkeitsdimension
„Gewissenhaftigkeit“. Sobald nun aber eine Person in einer hohen
Managementposition arbeitet, muss sie lernen, schnell Entscheidungen zu
treffen. Die Analysearbeit übernimmt dann in Regel ein Team von
Mitarbeitern. Auf der Basis dieser Arbeit trifft die Führungskraft
Entscheidungen. Eine Führungskraft, die sich hier entsprechend nicht
ändert, wird dann in der Regel als „Micromanager“ oder
„entscheidungsfaul“ bezeichnet und wird in den allermeisten Fällen an
einem zu hohen Wert auf dem Faktor Kausalanalyse scheitern. Dies wird
aber auch sehr häufig die Führungskraft tun, die nur intuitiv und aus
dem Bauch heraus entscheidet, also niedrige Werte auf dem Faktor
Kausalanalyse hat.
Studien aus den USA und aus
Deutschland belegen eindrucksvoll diese Gegebenheit. Es konnte hier in
beiden Ländern übereinstimmend gezeigt werden, dass Führungskräfte über
einen signifikant höheren RQ als Mitarbeiter verfügen. Da nicht davon
auszugehen ist, dass bei der Auswahl der Führungskräfte der RQ gemessen
wurde, haben Unternehmen scheinbar unbewusst Mitarbeiter zu
Führungskräften ernannt, die über höhere Werte im Bereich Resilienz
verfügen. Außerdem bemerkenswert daran ist, dass sich die Führungskräfte
nur auf zwei Faktoren, Kausalanalyse und Realistischer Optimismus,
sowohl in den USA als auch in Deutschland nicht von Mitarbeitern
unterschieden. Dies zeigt, dass eine hohe Emotionssteuerung,
Impulskontrolle, Empathie, Zielorientierung und
Selbstwirksamkeitsüberzeugung scheinbar zur Übernahme einer
Führungsaufgabe befähigen, während aber eine zu hohe Kausalanalyse und
ein unrealistischer Optimismus dies weder in den USA noch in Deutschland
tun.
Fazit
Die von Reivich und Shatté
identifizierten Faktoren ermöglichen es, die Resilienz eines Menschen zu
bestimmen und zu beschreiben. Wichtig wird es aber in Zukunft sein, dass
Berater, die Resilienztrainings und Resilienzcoachings durchführen,
diese Faktoren immer im Zusammenhang mit der besonderen Umgebung der
Teilnehmer sehen und auch genau daraufhin hinweisen. Oder würden Sie
einen „gnadenlosen“ Optimisten als Sicherheitsexperte für ein
Atomkraftwerk einstellen?
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