Wir alle haben Persönlichkeitsanteile (Eigenschaften, Denk- und
Erlebnisweisen), die uns unbewusst sind. Meist handelt es sich um
Besonderheiten, die mit früheren Lebensabschnitten zusammenhängen, die wir
verdrängt oder nie richtig wahrgenommen haben und die wir uns heute ungern
eingestehen. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von
„Schattenseiten“. Letztere sind uns zwar nicht bewusst, dennoch oder
gerade deswegen beeinflussen sie besonders stark unser Verhalten, Denken
und Fühlen sowie unsere Wahrnehmung. Unserer „Schattenseite“ blicken wir
oft dann ins Auge, wenn wir uns über andere Menschen aufregen oder
übertrieben auf diese reagieren. Beispiele: Jemand der sich über den Geiz
anderer beschwert, hat vielleicht selbst eine sparsame Ader, die er nicht
auszuleben wagt oder durch gegenteiliges Verhalten zu verbergen versucht.
Jemand, der pausenlos arbeitet und sich über die Faulheit der anderen
beklagt, sehnt sich in seinem Innersten vielleicht nach einem
unbeschwerteren Leben. Wer dem anderen Rücksichtslosigkeit vorwirft,
wünscht sich unbewusst vielleicht mehr Unbeschwertheit. Wer pausenlos
anderen hilft und sich aufopfert, würde sich vielleicht auch gerne einmal
unterstützen lassen oder sich einfach nur „hingeben“. Bedenken Sie: Alles
was Sie bei anderen wahrnehmen, hat in erster Linie etwas mit Ihnen selbst
zu tun. Der andere erscheint uns vor allem deswegen finster oder suspekt,
weil wir eine entsprechende Brille tragen, die ihn dunkel und unheimlich
erscheinen lässt. Die Fachsprache benutzt in diesem Zusammenhang den
Begriff „Projektion“ und meint damit, dass wir wichtige persönliche Themen
mitunter eher anderen als uns selbst zuschreiben.
Wenn wir einmal hinter diesen Mechanismus
gekommen sind und erschrocken-fasziniert feststellen, dass wir jedes Mal
der eigenen Person auf die Spur kommen, wenn wir bei anderen etwas
kritisieren oder bekämpfen, kann uns das eindrucksvoll entlasten: Denn
fortan können wir unsere eigenen Energien sinnvoller ausrichten: Statt
andere mit Macht verändern zu wollen, können wir unsere Energien auf die
„Nachentwicklung“ unserer eigenen Schattenseiten richten. Das ist nicht
nur viel einfacher, es ermöglicht uns auch, bislang „abgespaltene“
Persönlichkeitsanteile in unser Gesamtbild zu integrieren und dadurch
„heil“ (= ganz) zu werden. Das Ergebnis ist fast immer ein deutlich
höheres Maß an Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, positiver Ausstrahlung und
zwischenmenschlichen Glücks.
Tipp: Werden Sie lebenslang zu Ihrem eigenen
„Schattenjäger“. Listen Sie in regelmäßigen Abständen alle jene
Bezugspersonen auf, mit denen Sie „Probleme“ haben. Beschreiben Sie
möglichst konkret diejenigen Verhaltensweisen oder Eigenschaften, die Sie
in besonderen Maß aufregen. Überlegen Sie dann in Ruhe, inwieweit das
„Problem“ auf Sie selbst rückschließen lässt. Welche Aspekte von dem, was
Sie so unendlich aufregt, würden Ihnen vielleicht selbst gut tun? Hat das
(vorerst noch beim anderen verortete) „Problem“ mit Phasen Ihres früheren
Lebens zu tun, in denen Sie manche Wünsche oder Eigenschaften nicht
ausleben konnten oder unterdrücken mussten? Begegnet Ihnen dieses
„Problem“ auch in anderen Beziehungen immer wieder neu? Sollten Sie fündig
werden und von dem „Problem“ auf sich selbst rückschließen können, sollten
Sie sich abschließend fragen, ob Sie daraus Konsequenzen für Ihr weiteres
Leben ziehen wollen. Viel Erfolg! |