Ich möchte nicht verschweigen, dass es auch schöne
Momente, vielleicht sogar Zeiten gab. Wenn wir sonntags auf einem Ausflug
waren, oder innerhalb des Urlaubs Fahrten in kleine Städtchen unternahmen,
oder bei Verwandtenbesuchen in das alte Haus. Es konnten durchaus auch
Glücksgefühle oder Anflüge von Geborgensein aufkommen. Wir Kinder freuten
uns, wenn unsere Eltern in guter Stimmung waren und wünschten uns, dass es
immer so bleiben könnte. Wenn sich das 'Elterngewitter' entladen hatte,
war meistens für ein paar Tage Ruhe und wir lernten, diese Zeit
ansatzweise zu genießen, lebten aber andererseits immer in der Angst(!),
dass es wieder losgehen könnte. Am Anfang hatten wir noch die Hoffnung,
dass die erbitterten Streits meiner Eltern sich für immer legen würden.
Aber im Laufe der Zeit, nach immer härter werdenden Auseinandersetzungen,
gaben wir die Hoffnung auf und wussten, nach einer gewissen Ruhezeit würde
es mit Sicherheit wieder losgehen, es war nur die Frage, wann?
Bei den Konflikten meiner Eltern ging es im
Wesentlichen immer um das Gleiche. Meine Mutter warf meinem Vater vor,
dass er zu wenig zu Hause sei, sie fühlte sich mit der Versorgung der
Kinder alleine gelassen. Außerdem fand sie schon einmal Kinokarten etc. in
seinen Taschen, sie vermutete er ginge fremd.
Mein Vater wehrte sich, sie würde spinnen, er müsse
halt viel arbeiten, um die Familie zu ernähren und im Übrigen gönne er
sich dann auch mal einen Schwimmbad oder Kinobesuch mit Freunden! Aber
meine Mutter konnte nicht weg wegen uns!
Man muss sich das so vorstellen, wenn mein Vater
abends zur Türe hereinkam, wurde er sofort schreiend mit Vorwürfen
überhäuft.
Zunächst antwortete er noch ruhig, versuchte alles
zu entkräften, aber die Vorwürfe und das Gezetere meiner Mutter wurde
immer schlimmer, bis auch er schrie und ihr hysterisches Verhalten
vorwarf. Alles in unserer Gegenwart. Es war uns immer sehr peinlich, so
etwas mitzuerleben, und wir hatten Angst (!), was jetzt wieder alles
passieren würde. Der erste Streit dieser Art, an den ich mich als kleines
Kind erinnere, endete damit, dass mein Vater am Essenstisch mit der Faust
in den Teller schlug. Das Spiegelei mit dem Spinat hing an der Wand, der
Teller flog durch die Luft. Wir erschraken uns sehr.
Die Auseinandersetzungen wurden mit der Zeit
heftiger. Ich erzählte ja bereits, dass mein Vater einmal meine Mutter mit
dem Kopf zuerst durch einen langen Flur warf.
Oder mein Vater hatte meine Mutter so gestoßen, dass
sie auf einem Klappstuhl zusammenbrach. Der Finger war dazwischen. Sie
behauptete, er wäre ab (was gar nicht stimmte) und ging mit dem
Küchenmesser auf meinen Vater los. Der wehrte sie dann prügelnd ab.
Ich lebte in der Vorstellung, irgendwann einmal den
Unfallwagen holen zu müssen, wusste aber nicht, wie ich das anstellen
sollte, da ich weder zur Nachbarin durfte, noch zur Vermieterin und auch
nicht ans Telefon.
Morgens war es oft so, dass meine Mutter blaue
Flecken, oder ein blaues Auge hatte. Auf meine Nachfragen hin, erzählte
sie mir, dass sie im Bad ausgerutscht wäre und auf den Beckenrand der
Badewanne geschlagen ist, das kam mir schon damals komisch vor, konnte es
mir aber nicht anders zusammenreimen. Heute weiß ich natürlich, dass es
anders war.
Wenn wir bei Auseinandersetzungen dabei waren,
sollten wir immer irgend etwas bezeugen: Du bist Zeuge, du hast das
gehört, wer hat jetzt recht u.s.w. Wir hüteten uns allerdings,
irgendjemandem Recht zu geben. Wir fanden sie auch beide schlimm. Hatte
meine Mutter vielleicht sachlich recht, das merkten wir schon als kleine
Kinder, so fanden wir die Vorgehensweise meiner Mutter unmöglich. So
konnte man keinen Menschen behandeln und von meinem Vater ganz zu
schweigen, so darf sich kein Mann benehmen. Wir hatten allerdings ein
gewisses Verständnis dafür, dass er Ruhe herstellen wollte.
Es war ja immer das gleiche Schema. Langsam über
Tage anschwellende Auseinandersetzungen, Vorwürfe, Schreierei, Eskalation,
Gewalt, aber danach war interessanterweise Ruhe. Wohltuende Ruhe für alle.
Meine Vater verließ danach immer das Haus, er
schämte sich wohl. Meine Mutter räumte danach noch manchmal stundenlang
heulend auf und wollte nicht, dass ich ihr dabei helfe. Ich glaube, sie
suhlte sich in ihrem Leid.
Wir hatten ein schlechtes Gewissen, aber nach und
nach verachteten wir unsere Eltern für ihr Verhalten.
Aus irgendwelchen Gründen fällt es mir schwer, mir
einzugestehen, dass ich wahrscheinlich früher viele unverarbeitete
Angstgefühle hatte, oder nicht? Ich hielt mich immer für unerschrocken und
dachte auch alles gut hinter mich gebracht zu haben.
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