Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Teil 31: Über "Parentifizierung" (Wenn Kinder Erwachsene "beeltern") und Hoffnung als Kraftquelle


Irgendwann - vielleicht so ab meinem 10. Lebensjahr - fingen die Rollen innerhalb meiner Familie - glaube ich - langsam an sich umzutauschen.

Mein älterer Bruder wirkte hilflos und schwach auf mich ebenso wie meine Mutter. Meine Mutter, die entweder vorwurfsvoll-hysterisch auf meinen Vater einschrie, weil sie sich vernachlässigt fühlte oder tagelang heulte und schluchzte, wenn er weg war, tat mir sehr leid. Ich sah wie abhängig sie war und wollte sie darin unterstützen, sich mehr auf sich zu konzentrieren bzw. ihren Bedürfnissen nachzugehen, denn in gewisser Hinsicht opferte sie sich für uns auf. Sie ging z.B. nie alleine weg. Ich versuchte ihr von den Augen abzulesen, was sie glücklicher machen könnte oder schlug ihr Dinge vor, die sie selbständig machen könnte. Sie sollte einmal nur an sich denken, aber es ging ja nicht, sie hatte ja uns!

Je älter ich wurde, desto mehr kümmerte ich mich um sie. Ich bestärkte sie darin, dass sie den Führerschein machte bzw. Schreibmaschinen- und Englischkurse in der VHS besuchte. Meine Mutter war sehr unsicher und hatte bei allem Angst, etwas selbständig zu machen. Es war immer ein sehr großer Angang und bedurfte meiner ganzen Überredungskunst. Auch mein Bruder unterstützte sie darin.

Sie traute es sich nicht zu, sich von meinem Vater zu trennen, da sie nicht wusste, wie es alleine als Frau weitergehen sollte.

Ich dachte, wenn Sie Kurse besucht hat, kann sie vielleicht auch ohne Lehre auf dem Büro arbeiten und sich von meinem Vater lösen und braucht sich nicht mehr schlagen zu lassen.

Nach und nach verlor meine Mutter die Angst vor der Unabhängigkeit.

Als ich im Studium war, besorgte ich ihr die erste Arbeitsstelle. Die Firma bei der ich zur Aushilfe gearbeitet hatte, suchte eine zuverlässige langfristige Angestellte. Ich redete tagelang auf meine Mutter ein, bis sie sich endlich dort bewarb.

Nachdem meine Mutter von meinem Vater geschieden war, jammerte sie oft, dass sie aufgrund ihres jetzigen Berufes sehr wenig Rente bekommen würde, da sie auf alle Ansprüche meinem Vater gegenüber verzichtet hatte. Ich fand den Verdienst eigentlich gar nicht so schlecht, da sie aber bei jedem Familientreffen über ihre finanzielle Situation klagte - auch weil sie zu unsicher sei -,besorgte ich ihr über Freunde eine Stelle im öffentlichen Dienst.

So hielt sie mich immer in Atem, sie beunruhigte mich oft, dass es ihr zu schlecht ginge. Auch ängstigte sie mich oft mit angeblichen Krankheiten, die sich aber glücklicherweise immer als nicht so schlimm herausstellten.

Ich konnte das Gejammere und Geschluchze oft fast nicht aushalten und fühlte mich oft verantwortlich für sie.

Mein Bruder kam mir sehr verzweifelt und geistesabwesend vor. Er schottete sich von der Welt ab, ließ vieles über sich ergehen. Er schaltete einfach ab und galt als Tagträumer.

Ich dagegen wollte hellwach sein, da es mir sonst alles zu gefährlich vorkam und mir keiner helfen konnte. Mein Vater war nicht da und auf meine Mutter und Bruder, die sich auch oft sehr stritten, war kein Verlass, da sie zu sehr mit sich beschäftigt waren.

Ich machte mir Sorgen um meinen Bruder, der früher im Elternhaus oft eigentümlich wirkte.

Obwohl ich die kleinere Schwester war, fühlte ich mich gefühlsmäßig auch manchmal für ihn verantwortlich. (Später normalisierte sich aus meiner Sicht, das Verhältnis zu meinem Bruder und er war in vielerlei Hinsicht eine Stütze für mich. Er erzählt mir aber heute noch, dass er mich nie als kleine Schwester gesehen hat.)

Als 'Kleinste' in der Familie hatte ich, so glaube ich, den Vorteil, alles wie von einer höheren Warte aus zu sehen und auch schon Rückschlüsse aus dem Verhalten der Familienmitglieder ziehen zu können.

Alles Gezetere und Geschreie meiner Mutter nützte nichts, auch das Kopf in den Sand stecken meines Bruders führte nicht zum Ziel. Dafür waren beide zu unglücklich.

Mir wurde früh klar: Nur selbständiges Handeln verbessert die Situation, was aber manchmal sehr schwer ist.

Ich wollte immer ein 'guter Mensch' werden. Als Kind hatte ich das Ideal, Märtyrer zu werden.

Aber als ich im Konflikt mit meinen Eltern an meine Grenzen kam und egoistisch meine Bedürfnisse durchsetzte - das hat mein Bruder nie getan -, hatte ich das Gefühl, meine 'seelische Unschuld' zu verlieren.

Ein Gedanke hat mir in der späteren Kindheit immer sehr geholfen: Wenn ich mich zu sehr allein und unglücklich fühlte, dachte ich daran, dass irgendwo bereits jemand ist, mit dem ich, wenn ich von zuhause ausgezogen bin, zusammen leben werde.

Ich wusste, es gibt in schon, er lebt irgendwo und ich versuchte mir vorzustellen, wie er aussieht, was er im Moment macht, wer seine Eltern sind und was er für Interessen hat.

Abends vor dem Einschlafen malte ich mir aus, was wir zusammen unternehmen und wie wir wohnen würden.

Der Gedanke, dass er auf jeden Fall existiert und 'für mich bestimmt ist', beruhigte und faszinierte mich zugleich, denn ich war mir ganz sicher, es gibt auch für mich jemanden, ganz im Sinn von 'auf jedes Töpfchen passt auch ein Deckelchen'.