Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Teil 27: Abwertender Umgang mit Schwächen und Gefühlen


In meiner Familie wurden 'schwache Familienmitglieder' immer verächtlich behandelt, gehänselt oder mit gehässigen Attributen versehen. Dies ging hauptsächlich von meinem Vater aus, aber mein Bruder machte ihn m. E. dabei sehr stark nach, meine Mutter steuerte manchmal dagegen war aber oft auch 'neutral'.

Mein Großvater mütterlicherseits sollte eigentlich die Fabrik seines Vaters übernehmen, setzte gegen den Willen seiner Eltern eine anderen Berufsweg durch, den er aber nicht lange durchhielt. Er hatte starke künstlerische Ambitionen. Er malte und war perfekt auf der Zither. Ich hörte ihm dabei sehr gerne zu. Er hatte in meiner Erinnerung ein sehr feines, zurückhaltendes aber leider auch zurückgezogenes Wesen, so dass ich ihn wenig sah.

Er wurde in seiner Ursprungsfamilie als 'schwarzes Schaf' und in unserer Familie offiziell als Schwächling gehandelt. Denn er hatte es zu nichts gebracht, war mittlerweile ohne regelmäßige Arbeit und man sah ihn oft mit 'Freunden' zusammensitzen beim exzessiven Trinken und Poker spielen. Er wirkte im Alltag sehr zerbrechlich - mit Alkohol anfangs noch lustig, humorvoll und stark.

Es wurde zunehmend offensichtlich, dass mein Großvater ein Problem mit dem Alkohol hatte. Wenn man vielleicht damals auch nicht die Tragweite einer Alkoholsucht als Krankheit erkannte, so hatte seine damalige Frau uns jedoch informiert, dass er auf Rat seiner Ärzte keinen Tropfen Alkohol mehr trinken dürfte, da er ihn nicht vertragen könnte und sonst noch mehr gesundheitliche Probleme bekäme.

Familientreffen mit meinem Großvater erlebe ich auch im Nachhinein noch als sehr schmerzhaft, da er von meinem Vater in meiner Erinnerung animiert wurde zu trinken. Ich habe meinen Vater noch nie betrunken gesehen, er trank höchstens mal einen Schnaps zum Genuss (er hatte kein Problem mit dem Alkohol!).

Wenn wir Sonntags nachmittags zu Besuch beim Kaffee waren, bot mein Großvater meinem Vater meistens auch einen Schnaps an - vielleicht aus Höflichkeit oder in der Hoffnung auch einen trinken zu können. Mein Vater, der auch schon mal um einen Schnaps fragte, wenn er keinen angeboten bekam, sagte dann jedes Mal, "trink doch Einen mit". Die Frau meines Großvaters wollte das natürlich verhindern (galt daraufhin als Hexe, die ihn bevormunden möchte), es gelang ihr aber nicht, weil mein Opa zwar meistens länger mit sich kämpfte, aber der Versuchung dann nicht mehr widerstehen konnte und auch einen Schnaps trank, bei dem es dann aber im Gegensatz zu meinem Vater nicht blieb. Wenn wir dann um ungefähr 17.30 Uhr gingen, hatte ich gefühlsmäßig immer den Eindruck, wir hinterließen ein Schlachtfeld bzw. einen desolaten Zustand.

Mein Großvater wirkte aufgelöst, mein Vater nahm das angeblich nicht wahr und war guter Dinge.

Anschließend gab es immer einen Heidenkrach zwischen meinen Eltern - schon im Auto. Meine Mutter warf meinem Vater vor, er könne meinen Großvater nicht leiden und er würde das alles extra machen. Mein Vater lachte gehässig und verkündete: 'Der Schwächling müsse selbst wissen, wann er etwas trinken könne und wann nicht, er zwinge ihn ja nicht.'

Die Frau meines Großvaters versuchte diese Familientreffen so gut sie konnte zu verhindern, es gelang ihr aber nicht immer und zum Schluss krümmte mein Großvater sich vor Schmerzen, wenn er nur den ersten Schluck Schnaps trank. Die Familientreffen waren dann schnell beendet. (Mein Vater dann wieder im Auto: 'Der Jammerlappen braucht ja nicht zu trinken').

Übrigens hielt mein Vater, der im Krieg bei der Marine unter sehr harten Bedingungen 'gedient' hatte, auch deswegen meinen Großvater für einen Feigling - wie er uns immer wieder sagte -, weil dieser sich vor der Armee 'gedrückt' hätte. Es hieß, er wäre desertiert. Ich fand das eigentlich aber sehr imponierend und auch mutig, sich dem Befehl Hitlers widersetzt zu haben, was ja immerhin unter Todesstrafe stand.

Die Frau meines Großvaters erlaubte nicht mehr, dass wir uns sonntags trafen, der Kontakt schlief ein. Mein Großvater kam nicht vom Alkohol los und starb mit 50 Jahren ( ich war ca.12 Jahre) an Leberzirrhose trotz der aufopfernden Fürsorge und Begleitung seiner Frau, die ihn bis zu seinem Tode aus Sorge vor uns abgeschottet hatte und dafür natürlich mit gehässigen Bemerkungen von meinem Vater übersät wurde. Sie hatte in unserer Familie keinen guten Stand. Ich konnte ihr Verhalten aber sehr gut nachvollziehen.

Als weiteres 'schwarzes Schaf' in der Familie galt meine Tante, die Schwester meines Vaters. Sie war 8 Jahre älter als er, schon zweimal gescheitert verheiratet und führte nach Meinung der Familie ein recht lockeres Leben. Bei Familientreffen sah ich meinen Vater nie mit seiner Schwester kommunizieren. Entweder es gab im Hintergrund abschätzige Bemerkungen oder es war Funkstille.

Meine Tante war manchmal lebenslustig manchmal depressiv und kümmerte sich nicht sehr um ihre beiden Kinder. Meine Cousine war aufgrund einer Rheumakrankheit stark behindert und da sie intensiv betreut werden musste, wohnte sie schon lange im oberen Stockwerk bei meiner Großmutter. Auch mit meiner Cousine wurde wenig gesprochen, sie war auch nicht oft bei Familientreffen dabei.

Meine Tante war aufgrund ihres Verhaltens nicht gut gelitten in der Familie, aber sie kümmerte sich nicht darum und ging trotzig ihren Weg. Sie ging sehr verschwenderisch mit Geld um, obwohl sie nur Gelegenheitsarbeiten übernahm und wahrscheinlich von Sozialhilfe lebte.

Sie feierte gerne mit Alkohol und gutem Essen und verbarrikadierte sich dafür oft 'mit Herrenbesuch' tagelang in Ihrer Wohnung und keiner - noch nicht mal Ihr Sohn - durfte dann zu Ihr hinein.

Ich glaube mein Cousin war wirklich das ärmste Sch.... in unserer Familie, denn in solchen Zeiten bekam er kein Essen von meiner Tante und wurde auch sonst nicht richtig versorgt, weil meine Tante ihn regelrecht rausschmiss. Er muss mitbekommen haben, dass seine Mutter sich in der gleichen Zeit mit ihrem Herrenbesuch einiges gönnte. Mein Cousin hing völlig in der Luft, wurde aber, wenn es zu schlimm war von meiner Großmutter aufgefangen, die sich aber eigentlich nicht auch noch um ihn kümmern wollte, da sie schon meine Cousine dauerhaft aufgenommen hatte.

Ich mochte meinen Cousin, weil er nie aggressiv und sehr gutmütig war. Mein Cousin war ca. 2 Jahre älter als mein Bruder, wurde aber von ihm ständig wegen seines ungepflegten Aussehens gehänselt und abschätzig behandelt. Er hatte Schulprobleme während meinem Bruder und mir in der Schule alles (unverdient!) zuflog. Er blieb oft sitzen und landete aufgrund seiner schlimmen Situation schließlich auf der sog. Hilfsschule. Mein Bruder hielt ihn für dumm und behandelte ihn dementsprechend herablassend. Er nahm ihn nicht ernst.(Immerhin hat mein Cousin es in späteren Abendkursen in seinem Traumberuf bis zum Elektrikermeister geschafft und führt bis heute selbständig einen Handwerksbetrieb).

Mein Cousin wendete sich in seiner Not oft an meinen Bruder und bat ihn um Hilfe in schulischen Dingen, da sie stofflich ungefähr auf der gleichen Höhe waren. Mein Bruder erklärte ihm überheblich z.B. das 'Wurzelziehen', und ließ meinen Cousin, der es nicht verstand, immer wieder spüren, wie man nur so dumm sein kann so etwas Einfaches nicht zu begreifen. Mein Bruder war immer sehr gehässig und aggressiv zu meinem Cousin, aber dieser wehrte sich nie und war immer ausgleichend, obwohl er viel größer war und stärker wirkte.

Es gab aber Situationen in denen er richtig böse werden konnte. Wenn mein Bruder mich hänselte oder attackierte, drohte mein Cousin meinem Bruder Prügel an, der mich daraufhin in dessen Gegenwart in Ruhe ließ. Mein Cousin beschützte mich und das empfand ich als sehr wohltuend, aber es klappte natürlich nur, wenn er anwesend war.

Auch mir gegenüber war mein Bruder oft gehässig, vielleicht terrorisierte er mich sogar.

Er hänselte (ihh, nur ein Mädchen!) und ärgerte mich oft. Wenn ich mit irgendetwas spielte, er es aber haben wollte, nahm er es sich. Wenn ich nicht das tat, was er wollte, drehte er mir den Arm um, bis ich mich vor Schmerzen fügte.

Wenn er mich überraschend festhielt und Juckpulver oder Hagebutten in meinen Nacken streute, lachte er gehässig. Wenn ich vor Unwohlsein und Jucken weinte, beschimpfte er mich als Heulsuse und schwächliches Mädchen, dass bei jeder Gelegenheit weint. Er warnte mich davor alles zu verpetzen. Ich tat es auch nicht - weil ich es (fälschlicherweise!) als 'unehrenhaft' empfunden hätte.

Wenn meine Mutter es mir oder der Kleidung ansah, was mir geschehen war und mit meinem Bruder schimpfte, behauptete er nachher, ich hätte gepetzt, was von einem Mädchen ja nicht anders zu erwarten wäre und ich fühlte mich weiterhin seinen Aggressionen und Erniedrigungen ausgesetzt.

Oft hielt mein Bruder mich - anfänglich im Spiel - fest, oder stützte seine Knie auf meine Innenschenkel der Beine (was sehr schmerzhaft war) um mich z. B. zu Kitzeln, bis ich es nicht mehr aushalten konnte. Er reagierte auch nicht, wenn ich schrie und ihn bat aufzuhören. Er nutzte seine körperliche Überlegenheit mir gegenüber meistens aus. Ich dachte eigentlich, es wäre normal, Brüder wären so, sah aber am Beispiel meines Cousins, dass Ältere einen auch beschützen können. Er hat nie seine körperliche Überlegenheit zu uns ausgenutzt hat, sondern höchstens einmal die 'Notbremse' meinem Bruder gegenüber gezogen, das wurde ihm aber als Dummheit ausgelegt.

In meiner Erinnerung wurde ich von meiner Familie oft verlacht, wenn ich eine Empfindung - was selten genug vorkam - zeigte. Ich fühlte mich in dieser Hinsicht nie vor Gehässigkeiten sicher, weder vor meinem Bruder, aber auch nicht vor meinem Vater. Meine Mutter verhielt sich in solchen Situationen neutral, kam mir also auch nicht zur Hilfe.

Ich erinnere mich besonders einprägsam an eine Begebenheit am Gardasee. Ich war ja meistens beim Spielen alleine, hatte aber endlich (vielleicht mit 12 Jahren) einen Jungen kennen gelernt mit dem ich mich sehr gut verstand und stundenlang spielen konnte. Wir waren in den drei Wochen am Gardasee immer zusammen. Ich hielt mich aber nie in der Nähe meiner Familie mit ihm auf, da mir nicht klar war, wie sie auf ihn reagieren würden.

Aus heutiger Sicht würde man glaube ich sagen, wir waren ineinander verliebt. Jedenfalls fühlte ich mich sehr stark zu ihm hingezogen. Wir unternahmen viel, buddelten stundenlang im Sand und erfreuten uns an allerhand Getier, Muscheln und Pflanzen und unterhielten uns viel. Er behandelte mich selbstverständlich, war nie grob zu mir und nahm mich ernst, obwohl ich ein Mädchen war!

Als der Abschied näher kam, schworen wir, uns 'auf ewig' zu schreiben, obwohl mir noch nicht klar war, wie das geschehen sollte, ohne dass meine Familie davon etwas erfahren würde.

Am Tag als wir mit dem Auto abfuhren wollte er mich noch einmal sehen und winkte mir zum Abschied. Daraufhin schossen mir die Tränen nur so heraus und ich war sehr unglücklich, da mir klar war, dass wir uns vielleicht noch schreiben, aber wenn, höchstens nächsten Jahr am Gardasee wieder sehen könnten.

Mein Vater (wat hat die denn?) und mein Bruder (ihh, die heult ja) verlachten und verhöhnten mich mit weiteren Sprüchen. Meine Mutter reagierte befremdlich verlegen und stand mir auch nicht zur Seite.

Gerade von meinem Bruder hätte ich erwartet, dass er solidarisch mit mir ist, meine Gefühle gerade in unserer Situation verstehen müsste und mich nicht auslacht und in üblicher Manier hänselt.

Das Verhalten meiner Familie schmerzte mich sehr und ich ließ mir nichts mehr anmerken.

Ich versuchte eine zeitlang heimlich über Freundinnen den Kontakt zu dem Jungen brieflich aufrechtzuerhalten, was dann aber irgendwann nicht mehr gelang. Ich sah ihn nie wieder, worüber ich lange Zeit sehr unglücklich war.

Ich fühlte mich in meiner Familie einerseits of als Fremdkörper und schäme mich aber auch andererseits heute noch, einer solchen Familie anzugehören.

Ich befürchte immer wieder, auch selbst keinen sehr hohen emotionalen IQ zu haben.