Eigene Kinder habe ich mir nie zugetraut. Ich fürchtete, wer keine Liebe
empfangen hat, kann auch keine geben. Jedenfalls seinen eigenen Kindern
nicht. Ich hatte furchtbare Angst davor, genauso zu versagen, wie meine
Eltern. Ich wollte meinen Kindern solch eine Familie auch nicht zumuten.
Wenn ich das Thema 'Enkelchen' bei meiner Mutter oder meinem Vater in den
wenigen Treffen ansprach, winkten sie beide ab, und sagten mir, Opa oder
Oma, so alt würden sie sich noch nicht fühlen und wäre nichts für sie.
Schon lange getrennt, waren sie sich auch hierin wieder einig.
Ich konnte mir Kinder ohne liebende Großeltern nicht
vorstellen und fand es auch nicht wünschenswert. Ich bedaure es nicht,
keine Kinder zu haben. Die Entscheidung war unter den gegebenen
Voraussetzungen auch aus meiner heutigen Sicht richtig. Irgendwann habe
ich den Kontakt zu meinen Eltern vollständig abgebrochen.
Ich hörte auf, mir Gedanken zu machen, wer schuld
sei, dass wir uns so schlecht verstanden, ob ich undankbar, ungerecht oder
zu empfindlich sei, wie meine Eltern behaupteten. Ich wollte auch ihnen
keine Schuld geben, gehasst habe ich meine Eltern nie, sie taten mir dafür
zu leid, und ich versuchte die Verachtung und den 'geistigen Ekel', den
ich vor Ihnen empfand, zu bekämpfen. Ich fühlte mich einfach nach jedem
Kontakt mit meinen Eltern absolut elend. Vielleicht ging es ihnen genau
so.
Es endete immer im Streit. Ich konnte es z.B. nicht
vertragen, wenn mein Vater mich bei jedem Treffen ziemlich schnell fragte,
ob ich endlich verheiratet sei (nein, heiraten war wirklich lange nicht
mein 'Ding'), oder meine Mutter (nachdem sie meinen Lebenspartner kennen
gelernt hatte und wir schon einiges zusammen unternommen hatten), mich
z.B. meinte warnen zu müssen und fragte, ob ich diesen 'Kellner' wirklich
heiraten wolle. Mein späterer Mann führte selbständig ein frz.
Spezialitätenrestaurant und sie wusste es. Nichts gegen Kellner, ich hätte
meinen Mann dann auch geheiratet, aber ich ärgerte mich über die
beabsichtigte Abwertung und Verletzung.
Ich begriff, dass es Teil des 'Programms' war, was
meine Eltern mir auferlegten, mich schuldig, undankbar und ungerecht zu
fühlen. Es war ein schizophrenes Programm, indem ich einerseits abgelehnt
wurde, aber andererseits mich nicht wie ein abgelehntes Kind verhalten
sollte.
Mir wurde klar, schizophrenen Verhaltensanweisungen
oder Situationen (Zwickmühlen, dererlei gab es genug in meiner Erziehung)
kann man nur entgehen, indem man den Rahmen sprengt. In der Situation mit
meinen Eltern würde es immer wieder zum Streit kommen, es war müßig,
darüber nachzudenken, wer schuld ist, denn es belässt einen in weiterer
Abhängigkeit. "Schuld" - egal auf welcher Seite - ist meistens nicht zu
klären, da die Dinge oft sehr vielfältig sind. Sie sollte nicht der
Maßstab des eigenen Verhaltens sein, sondern die eigenen Werte und Ziele
sind entscheidend.
Nur die Konzentration auf die eigenen Werte und
Ziele bringen einen weiter!
Ich hatte auch ein gewisses Verständnis für das
sonderbare Verhalten meiner Eltern. Sie waren zu unreif und konnten nicht
anders.
Sie hatten ihre Kinder jung bekommen, waren selbst
beides Kriegskinder. Sie hatten selbst auch seitens ihrer eigenen Eltern
keine durchweg liebevolle Kindheit genossen. Sie waren im Faschismus groß
geworden, der ihnen emotionell und materiell wenig geboten hat. Wer einmal
Schulbücher damaliger Zeit aufschlägt, kann sich ein Bild davon machen,
wie sehr diese Generation der Gehirnwäsche und emotionaler
Fehlgeleitetheit ausgeliefert war und das in jeder Hinsicht.
Meine Eltern hatten das große Pech, dass sie nicht
zueinander passten und beide hatten ein großes Bedürfnis etwas
nachzuholen. Sie waren beide viel zu sehr mit sich beschäftigt, Kinder
passten eigentlich nicht in ihr Leben, auch wenn sie sich vielleicht
Kinder und eine gut funktionierende Familie gewünscht haben. Sie wollten
sicher auch gute Eltern sein.