Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Teil 20: "Missbrauchte Wegbereiterin" und Entdeckung der Solidarität


Gefühlsmäßig hatte ich mit dieser Entscheidung noch zu kämpfen, da ich den Eindruck hatte, dass ich meine Familie insbesondere meine Mutter im Stich lassen würde. Aber verstandesmäßig war mir klar, dass ich ein Recht auf Wohlbefinden habe und jeder für sich selbst verantwortlich ist. Auch wenn ich noch sehr jung war, rechtfertigten die Verhältnisse mein Tun. Endlich war ich frei und konnte den Ballast hinter mich lassen.

Die Wohnung war zum 'nächsten Ersten' frei, ich hatte bis dahin noch eine Urlaubsreise nach England geplant, die mir auch ohne Aufhebens gewährt wurde. Danach wollte ich Umziehen. Aber es kam etwas anders.

Als ich aus dem Urlaub zurückkam, ging ich als erstes in erwartungsvoller Vorfreude zu meiner Wohnung. Ich wollte sie mir noch einmal ansehen und dann mit dem Umzug beginnen. Ich schloss die Wohnung auf und traute meinen Augen nicht: Die Wohnung war voll gestellt mit Möbeln!

Die Möbel meiner Mutter - Küchen-, Schlaf- und Wohnzimmermöbel standen in dem großen, hellen vorderen Zimmer. Dort wollte sie wohnen. Nach meiner Einschätzung das einzig bewohnbare Zimmer. Es gab noch ein dunkles Zimmer mit kleinem Fenster zum engen Hinterhof gelegen. Dort waren die Möbel unseres ehemaligen Kinderzimmers untergebracht.

Meine Mutter tat so, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, dass sie jetzt dort eingezogen war.

Ich sollte mit meinem Bruder zusammen in dem dunklen, kleinen hinteren Raum wohnen. Es hatte wieder etwas kellerhaftes.

So gut ich es auch fand, dass meine Mutter sich endlich von meinem Vater getrennt hatte (ich hatte ihr oft dazu geraten, aber sie hatte sich nie getraut und nicht gewusst, wie sie es anstellen sollte), so unmöglich war es mir unter diesen Voraussetzungen dort zu wohnen.

Ich kam mir überrumpelt vor, es musste eine andere Lösung her!

Mein Bruder wohnte noch jahrelang mit meiner Mutter dort, aber ich sprach sofort mit einem guten Bekannten aus meiner Clique über meine Situation. Ich erzählte ihm nur, dass ich im Moment keine Wohnung hätte. Er sprach mit seinem Vater.

Ich war überrascht. Sein Vater gab mir sofort und uneigennützig ein Zimmer in seiner Wohnung, ohne genau zu wissen, warum ich keine Wohnung hatte. Er war Beamter und es war einigermaßen gefährlich für ihn, mich aufzunehmen. Sein Sohn wohnte auch in der Wohnung und damals bestand noch der so genannte Kuppeleiparagraph, aufgrund dessen man ihn hätte anklagen können. Aber er vertraute seinem Sohn, der ihm erklärte, dass ich in Not sei und er ging das Risiko ein. Solch unkomplizierte Solidarität zu erfahren, tat mir sehr gut.

Ich wohnte noch einige Zeit dort, hatte aber bereits andere Pläne. Im 'Republikanischen Club' wurden seit längerem sog. 'neue Lebensformen' diskutiert. Wir stellten uns vor, in Zukunft nicht in einer Kleinfamilie, sondern in 'Großfamilien', Kommunen oder Wohngemeinschaften zu wohnen. Das war genau das Richtige für mich, denn von der Kleinfamilie hatte ich erst einmal genug. Es schien mir auch interessanter, mit mehreren zusammen zu wohnen als alleine, da man mehr Anregungen hatte.

Ich schloss mich einer Wohngemeinschaft an, bei der von vorneherein selbstverständlich war, dass die 'Schwachen' Schlechtverdienenden wie z.B. Lehrlinge von den anderen schon gut Verdienenden unterstützt würden. Jeder zahlte soviel in die Kasse, wie er konnte. (Ich hatte sehr wenig, da ich von meinen Eltern kein Geld bekam). Miete, Essen u.a. wurde von der sog. Gemeinschaftskasse bezahlt. Auch dies solidarische Verhalten ermöglichte es mir, meine Lehrstelle zu Ende zu bringen.

Es gab in der Wohngemeinschaft natürlich auch Probleme, aber insgesamt war es eine heilende Zeit für mich, da ich viel Kontakt mit vielen Gesprächen, Diskussionen und Auseinandersetzungsmöglichkeiten hatte.