Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Teil 19: Äußere Abnabelung und geistige "Nachbeelterung"


Letztlich habe ich meinen Eltern nicht nur zu verdanken, dass ich die Realschule besuchen durfte und ein Lehrstelle anfangen konnte, sondern sie haben mich auch mit den nötigen sog. 'Mittelstandsnormen' versehen, dies alles auch zu schaffen.

Wenn es vielleicht auch ursprünglich eher für meinen Bruder gedacht war, so haben sie mich eindeutig geprägt und klingen mir nachträglich noch in den Ohren: z.B. 'Was man einmal angefangen hat, bringt man auch zu Ende!, 'Weglaufen gilt nicht' und 'Lehrjahre sind keine Herrenjahre', u. ä.. Es schickte sich einfach nicht zu kneifen und irgendetwas abzubrechen, man musste durchhalten. Das mag man auch kritisch sehen können, aber mir hat es oft geholfen, so auch beim Abschluss meiner Lehrstelle.

Wie erwartet, fand ich die Lehrstelle furchtbar langweilig. Mich den ganzen Tag mit dem Erstellen und der Ablage von geschäftlicher Korrespondenz zu beschäftigen, in der es um den Verkauf von Kassettenrecordern, Tonbändern etc. ging, schien mir sehr öde. Aber ich hatte ja ein Ziel, und deswegen musste ich da durch!

Erleichtert hat mir die Zeit u. a. wieder die Beschäftigung mit Büchern. Während es in der Kindheit hauptsächlich Romane waren, die mich interessierten, fing ich ca. ab dem 15. Lebensjahr an, mich auch mit Sachbüchern zu beschäftigen.

Philosophie, Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Verhaltensforschung und Pädagogik interessierten mich sehr, und ich ging fast jeden Abend nach der Arbeit zur Volkshochschule und belegte Kurse zu den entsprechenden Themen. Meistens war gerade noch Zeit für 2 Kurse, den zweiten schaffte ich kaum noch und abends um ca. 10 Uhr fuhr ich mit dem letzten Bus nach Hause, fiel todmüde ins Bett, um dann um ca. 6.00 Uhr wieder aufzustehen.

Z.B. erinnere ich mich an Autoren wie Brecht, Dürrenmatt, Frisch, Hesse, Weiß auf der einen Seite und z.B. Jaspers, Plack, Freud, Adler, Reich, Fromm, Fried, Lorenz, Gordon, Aristoteles, Habermas, Marcuse auf der anderen Seite. Sie waren meine ständigen Begleiter. Ich verschlang diese Bücher, denn ich brauchte Hilfe.

Wenn ich auch oft nicht viel oder vielleicht nur die Hälfte verstand, so halfen diese und andere Bücher doch dabei, mir meine Probleme und die Welt zu erschließen.

Mit meinen Eltern hatte ich in dieser Zeit immer weniger Kontakt. Ich hatte mich mit Jugendlichen zusammengetan, die auch Englandfans waren. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft und fuhren noch jahrelang zu den 'Parents' nach England, bis sie die Pension aufgaben. In dieser Clique fühlte ich mich wohl, ein Gefühl, dass ich seit langem nicht mehr kannte.

Ich wohnte kaum noch zu Hause, kam nur noch zum Schlafen.

Eines Tages informierte ich meine Mutter, dass ich ausziehen wollte. (Mein Vater war kaum noch anwesend). Ich hatte mir schon eine Wohnung gesucht und brauchte für den Mietvertrag die Unterschrift meiner Mutter, da ich erst knapp 16 war. Meine Mutter war zuerst nicht einverstanden.

Ich wusste eigentlich auch gar nicht, wie ich die Wohnung bezahlen sollte. Ich bekam 75,-- DM Lehrgeld im ersten Lehrjahr und die Wohnung kostete ohne Heizung etc. 149,-- DM. Aber irgendwie würde es schon gehen!

Ich wollte auf jeden Fall ausziehen. Bei den wenigen Zusammenkünften, die wir hatten, kam es vor, dass mein Vater mich schlug, wenn er mit irgendetwas nicht einverstanden war, was ich machte. Ohne sich in anderer Form mit mir auseinanderzusetzen - ohne Vorwarnung und ohne etwas zu sagen schlug er zu. Dieses Erziehungsmittel konnte ich nicht akzeptieren, auch weil ich längst die Achtung vor meinen Eltern verloren hatte.

Mein Bruder verhielt sich in solchen Situationen höchst merkwürdig. Er wirkte in dieser und in der Folgezeit auch immer sehr abwesend. Er war mittlerweile soweit, dass er, wenn wieder heftiger Streit in der Familie war, kopfüber mit am Körper angelehnten Armen und irrem Blick zu Boden sprang. Ein Glück, dass ihm nichts passiert ist. Ich werde dieses Bild nie vergessen.

Ich hielt es nicht mehr aus, ich musste raus!

Ich teilte meiner Mutter mit, dass ich die Unterschrift zum Mietvertrag bräuchte, ich aber alles alleine bezahlen würde.

Wenn ich sie nicht bekäme, würde ich das Jugendamt informieren, über die Zustände, die in meinem Elternhause von klein auf herrschten.

Ich weiß nicht, ob ich es getan hätte, aber ich fühlte mich schon allein wegen der Drohung wie ein Verräter und Charakterschwein!

Am nächsten Morgen lag der unterschriebene Mietvertrag auf dem Küchentisch - ohne Worte!