Als mein Bruder und ich den Realschulabschluss erreicht hatten,
verweigerten unsere Eltern uns den weiteren Schulbesuch (schon die
Erlaubnis zum Realschulbesuch war lange fraglich gewesen und nur dem
forschen Vorgehen unserer Grundschullehrer war es zu verdanken, dass wir
auf eine weiterführende Schule gehen durften). Wir wollten Abitur machen.
Wir hatten zwar keine hervorragenden Noten, aber es wäre möglich gewesen.
Es war keine Frage des Geldes, denn zu arm waren
meine Eltern nicht und es wurde für allerhand Unsinn Geld ausgegeben.
Aber wir hörten die Worte, 'kommt gar nicht in
Frage' und den häufigen - auch in anderem Zusammenhang - verwendeten Satz,
'warum soll es euch besser gehen als uns?'. Dagegen war natürlich nichts
einzuwenden, und wir waren sprachlos!
Mein Bruder sollte eine Lehre im technischen Büro
einer bekannten Metallfirma machen und mein Vater verhalf ihm durch seine
vielfältigen Beziehungen dazu. Ich weiß gar nicht, ob mein Bruder das
überhaupt wollte, aber er brauchte sich bei der Lehrstellensuche um nichts
zu kümmern.
Ich sollte nach dem Wunsch meines Vaters möglichst
schnell heiraten, eine Lehre wäre deswegen nicht erforderlich.Aber auch
ich beabsichtigte, eine Lehrstelle anzufangen, denn ich wollte unabhängig
sein.
Es folgten viele Diskussionen und
Auseinandersetzungen mit meinem Vater. Vor allem meine Mutter legte sich
in vielen Krächen mit ihm an, denn sie unterstützte mein Vorhaben.
Letztlich habe ich es meiner Mutter zu verdanken,
dass mein Vater irgendwann aufgab und auch mir (ich war damals 15 1/2
Jahre alt) die Erlaubnis zum Lehrbeginn gab. Geholfen wurde mir bei der
Lehrstellensuche jedoch nicht.
Da ich immer schon viel technisches Interesse hatte,
z. B. mein Fahrrad selbst auseinander- und wieder zusammenbauen konnte,
war für mich klar, ich wollte einen technischen Beruf ergreifen, wie mein
Vater und mein Bruder. Büroarbeit erschien mir zu langweilig.
Ich bewarb mich zunächst als KFZ-Mechaniker und war
überrascht, schon am Telefon zu erfahren, dass die Lehrstelle nicht für
Mädchen gedacht war. Davon stand in der Annonce jedoch nichts drin. Ich
versuchte es daraufhin als Schreiner. Auch dort sagte man mir, es ginge
nicht, da sie auf Mädchen nicht eingerichtet wären. Bei mehreren
Handwerksbetrieben war immer das gleiche Ergebnis. Mit meinem Vater konnte
ich darüber nicht sprechen, er war sowieso dagegen und meine Mutter nicht
ansprechbar, sie hatte mit sich selbst genug zu tun.
Also bewarb ich mich schriftlich bei KHD, einer
großen renommierten Motorenfabrik, die Lehrlinge zum Technischen Zeichner
suchte. Die werden doch wohl ein Einsehen haben!
Ich bekam auch ziemlich prompt eine Antwort, 'sie
freuten sich über meine Bewerbung' und luden mich zu einem
Bewerbungsgespräch und einer anschließenden Aufnahmeprüfung ein.
Die Aufnahmeprüfung ging den ganzen Vormittag - war
für mich inhaltlich sehr ungewohnt, aber interessant, da wir neben dem
Lösen mathematischer Aufgaben und Fragen zum Allgemeinwissen auch einige
Zeichnungen mit mehrerlei Ansichten anlegen mussten. Ich war das einzige
Mädchen und wir wurden mit den Worten entlassen: "Ihr hört von uns".
Nach einiger Zeit kam die Nachricht, ich las
sinngemäß: Herzlichen Glückwunsch, sie haben die Aufnahmeprüfung
bestanden! ( Mein Herz jubelte!)
Aber leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir für
weibliche Teilnehmer der Prüfung keine dreijährige Lehrstelle zum
Technischen Zeichner, sondern nur eine zweijährige Anlernstelle zum
Bauzeichner vorgesehen haben.
Wir laden Sie zu einem Gespräch am ..... ein. MfG
....
Ich war platt und wütend! Ich verzichtete auf die
Anlernstelle, denn dann hätte ich nichts Verwertbares in der Hand gehabt.
Jetzt wusste ich, ich musste studieren, denn nur
dann - so schien es mir - würde ich gleich behandelt werden.
Ich hatte mich schon erkundigt, zum Studieren war
noch ein langer Weg. Ich musste zunächst eine abgeschlossene Lehre
vorweisen, egal welche, und konnte dann auf einer Abendschule oder einem
Tageskolleg Abitur nachmachen.
Ich schlug die Zeitung auf und rief bei der
erstbesten Lehrstelle an, bei der ich mir als Mädchen Chancen ausrechnete.
Ich begann eine Lehre zum Groß- und
Außenhandelskaufmann (so hieß es damals noch!) "