Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Teil 15: Innere Abnabelung


Am Gardasee, wohin wir einmal jährlich in Urlaub fuhren, waren oft starke Stürme (Fallwinde von den Alpen) und Unwetter. (Mindestens einmal innerhalb des Urlaubs, man merkte schon, wenn es sich zusammenbraute - es wurde dunkel und ganz still - die bekannte Ruhe vor dem Sturm!) Innerhalb einer Stunde konnte sich das Wetter von hellem Sonnenschein in Tagesdunkelheit mit starkem Gewitter verwandeln.

Der Sturm und Regen waren so heftig, dass Campingwege zu kleinen Flüssen wurden und Boote, Zelte bzw. nicht gesichertes Hab und Gut durcheinander- oder wegflog.

Wir mussten dann ganz schnell ins Zelt kommen. Mein Bruder und meine Eltern waren damit beschäftigt, die Stangen vom Zelt festzuhalten, weil sonst alles weggeflogen wäre. Ich brauchte als Kleinste nichts zu machen, was mir aber nichts half, denn ich hatte keine Ablenkung. Ich hatte immer große Angst, weil es draußen tobte und krachte, man nichts sehen konnte und meinen Eltern ausgeliefert war, die sich vor Aufregung natürlich wieder anschrieen und stritten.

Mein Bruder verbog vor Angst immer seine Zeltstange, was auch wieder zu viel Schreierei führte. Ich war immer froh, wenn es nach evt. 10 Min.(?) wieder vorbei war. Draußen bot sich uns ein ziemliches Bild der Zerstörung. Nur die Bäume waren zum Glück noch heil, weil sie (wir nannten sie Gummibäume) sehr biegsam waren. Mein Vater beruhigte uns immer, sie könnten nicht aufs Zelt fallen.

Da mein Vater immer alles richtig gesichert hatte, war unserem Zelt nie etwas passiert, aber irgendwann wollte ich bei Sturm nicht mehr da hinein.

Ich erklärte meinen Eltern, sie brauchten mich ja nicht im Zelt, da ich sowieso nichts zu tun hätte. Ich würde mich ins Auto setzen! Meine Mutter war entsetzt (immerhin, sie wollte mich bei sich haben!?) und sagte, dass sei zu gefährlich. Aber ich weigerte mich weiterhin und mein Vater - oh Wunder! - lenkte ein und sagte, im Auto sei es eigentlich am ungefährlichsten.

Mein Bruder wollte zum Glück bei meinen Eltern bleiben (er hatte Angst!) und ich durfte (als Kleinste!)ins Auto.

Es war mir am Anfang im Auto etwas mulmig (ca. 10 Jahre?), aber immer noch besser als im Zelt. Ich konnte jetzt alles sehen und hatte die Schreierei nicht!

Es war interessant alles zu beobachten. Wie sich der Sturm langsam aufbaute und wieder abschwoll, ebenso den Regen, evt. Hagel und Überschwemmungen bzw. das ganze Unwetter mit Donner und Blitzen zu beobachten.

Ich konnte auch genau sehen, wann der Spuk vorbei war, frühzeitig aus dem Auto steigen und draußen inspizieren, was der Sturm angerichtet hatte. Ich war ringsherum die Einzige die im Auto saß, genoss meine Situation und war stolz auf meine Unabhängigkeit. Ich brauchte bei Sturm nie wieder in das Zelt!

Das nächste Ereignis war ca. mit 14 Jahren. Eine Klassenfahrt nach England für 14 Tage stand an. Sie fiel teilweise in die Urlaubszeit meiner Eltern. Sie wollten mir nicht erlauben, mitzufahren. Wochenlang kämpfte ich schon um die Unterschrift.

Ich wusste, ein Geldproblem gab es nicht, wir hatten genug.

Ich hatte allerdings 'schlechte Karten', da mein älterer Bruder im letzten Jahr auch nicht fahren durfte. Er hatte auch nicht gekämpft, sondern im Vorfeld aufgegeben. Er behauptete, er hätte sowieso nicht fahren wollen. So stand ich alleine da.

Ich fand, die Klassenfahrt stand mir wie allen anderen Mädchen meiner Klasse zu und versuchte, meine Eltern mit Argumenten zu überzeugen, nichts half.

Ich war verzweifelt, die Klassenfahrt rückte immer näher. Ich spürte wohl, dass sie für mich wichtig war, hatte sie ja auch den pädagogischen Zweck, den Gesichtskreis zu erweitern und von den Eltern unabhängiger zu werden.

Nachdem ein halbes Jahr vergangen war und die Klassenfahrt kurz bevorstand, passte ich die Gelegenheit an einem Wochenende noch einmal ab und sprach meine Eltern zusammen abends an.

Sie weigerten sich weiterhin, mir die Klassenfahrt zu erlauben, da es terminlich teilweise mit unserer Urlaubsfahrt zusammenfiele, und ich müsse mit ihnen fahren.

Jetzt fasste ich meinen ganzen Mut zusammen - noch nie hatte ich mit meinen Eltern ansatzweise darüber gesprochen -, und sagte, dass ich sowieso nicht vorhätte, irgendwann noch einmal mit Ihnen in Urlaub zu fahren, da sie sich immer nur streiten würden. Das war wie ein Paukenschlag!

Meine Eltern schienen mir betroffen zu sein, sie hatten wohl auch meine Entschlossenheit gespürt, denn ich wäre bereit gewesen es irgendwie eskalieren zu lassen. Ich ging ins Bett. Ich fühlte mich einerseits schlecht, dass ich soweit gegangen war, meine Eltern bloßzustellen.

Es war so, als hätte ich ein Tabu gebrochen, d.h. etwas ausgesprochen, was wir nicht aussprechen durften, aber es musste sein.

Am nächsten Morgen lag ohne weitere Erklärung die Einwilligung auf dem Küchentisch und meine Mutter bereitete alles für die Reise vor.

Richtig freuen konnte ich mich nicht, aber froh war ich doch, dem weiteren gemeinsamen Urlaub entronnen zu sein.

Der Englandurlaub sollte sich für mich - so glaube ich - auch zu einer Art Schlüsselerlebnis entwickeln.

Schon die Busfahrt gestaltete sich für mich anders als ich erwartet hatte. War ich doch gewöhnt, mich bei längeren Fahrten im Auto immer zu übergeben, hatte ich wieder die komplette Ausrüstung (Beutel etc.) dabei und durfte an einem günstigen Platz sitzen.

Aber es war eine sehr harmonische und interessante Fahrt und weder im Bus noch auf der Fähre (alles schaukelte sehr) wurde mir schlecht, ich war wie befreit.

In England angekommen, war alles sehr ungewöhnlich und spannend wegen der fremden Sprache und den sehr freundlichen Menschen.

Wir waren zu jeweils 10 Kindern in einer englischen Familie untergebracht mit "Mummy and Daddy".

Unsere Lehrerin hatte sich sehr viel Mühe gegeben mit der Planung. Wir unternahmen jeden Tag einen Ausflug zu berühmten Schlössern oder fuhren nach London und besuchten bekannte Plätze oder Parks. Am Wochenende oder abends gingen wir ins Theater oder in einen der berühmten englischen Clubs und hörten Lifejazz. Der englische Daddy (Schlagzeug) und der Mann meiner Lehrerin (Piano), der bei uns im Haus wohnte, waren Oscar Peterson Fans und spielten auch selbst. Ich fand die Musik natürlich Klasse. Es war alles urgemütlich. Ich war sehr glücklich.

Nur einmal wurde das Glück getrübt. Bei einem Mittagessen kam meine Lehrerin in unser Haus und rief, 'Monika, du hast ein Telegramm von deinen Eltern'. Sie dachte, ich freue mich, sie wusste ja nicht, was sie bei mir anrichtete, denn ich erschrak fürchterlich.

Ich dachte sofort, 'Jetzt haben sie sich also endgültig zu Hause totgeschlagen und du musst nach Hause.'

In dem Telegramm stand: 'Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Deine Mutter!' (Ich hatte Geburtstag?, den hatte ich ganz vergessen!) Wahrscheinlich eine nette Geste, (mir kam es wie eine Drohung vor), aber ich konnte sie innerlich nicht mehr annehmen, es war zu spät!

Wir waren insgesamt 12 Tage in England und ich war sehr verwundert, dass meine Gasteltern sich nie stritten. Wenn wir nichts vorhatten, schlich ich in dem Haus herum und rechnete irgendwie mit Auseinandersetzungen, kannte ich es doch nicht anders, aber nie viel ein böses Wort. Die englischen Eltern schienen sich zu mögen und zu achten. Sie strahlten ein Glück aus, das auch mein Glücksgefühl verstärkte und mir Hoffung gab.

Es gab also Glück 'draußen', ich musste nicht immer nur unglücklich sein.

So leid es mir tat, ich musste von zuhause weg, auch wenn ich alle im Stich ließe!