Am Gardasee, wohin wir einmal jährlich in Urlaub fuhren, waren oft starke
Stürme (Fallwinde von den Alpen) und Unwetter. (Mindestens einmal
innerhalb des Urlaubs, man merkte schon, wenn es sich zusammenbraute - es
wurde dunkel und ganz still - die bekannte Ruhe vor dem Sturm!) Innerhalb
einer Stunde konnte sich das Wetter von hellem Sonnenschein in
Tagesdunkelheit mit starkem Gewitter verwandeln.
Der Sturm und Regen waren so heftig, dass Campingwege
zu kleinen Flüssen wurden und Boote, Zelte bzw. nicht gesichertes Hab und
Gut durcheinander- oder wegflog.
Wir mussten dann ganz schnell ins Zelt kommen. Mein
Bruder und meine Eltern waren damit beschäftigt, die Stangen vom Zelt
festzuhalten, weil sonst alles weggeflogen wäre. Ich brauchte als Kleinste
nichts zu machen, was mir aber nichts half, denn ich hatte keine
Ablenkung. Ich hatte immer große Angst, weil es draußen tobte und krachte,
man nichts sehen konnte und meinen Eltern ausgeliefert war, die sich vor
Aufregung natürlich wieder anschrieen und stritten.
Mein Bruder verbog vor Angst immer seine Zeltstange,
was auch wieder zu viel Schreierei führte. Ich war immer froh, wenn es
nach evt. 10 Min.(?) wieder vorbei war. Draußen bot sich uns ein
ziemliches Bild der Zerstörung. Nur die Bäume waren zum Glück noch heil,
weil sie (wir nannten sie Gummibäume) sehr biegsam waren. Mein Vater
beruhigte uns immer, sie könnten nicht aufs Zelt fallen.
Da mein Vater immer alles richtig gesichert hatte,
war unserem Zelt nie etwas passiert, aber irgendwann wollte ich bei Sturm
nicht mehr da hinein.
Ich erklärte meinen Eltern, sie brauchten mich ja
nicht im Zelt, da ich sowieso nichts zu tun hätte. Ich würde mich ins Auto
setzen! Meine Mutter war entsetzt (immerhin, sie wollte mich bei sich
haben!?) und sagte, dass sei zu gefährlich. Aber ich weigerte mich
weiterhin und mein Vater - oh Wunder! - lenkte ein und sagte, im Auto sei
es eigentlich am ungefährlichsten.
Mein Bruder wollte zum Glück bei meinen Eltern
bleiben (er hatte Angst!) und ich durfte (als Kleinste!)ins Auto.
Es war mir am Anfang im Auto etwas mulmig (ca. 10
Jahre?), aber immer noch besser als im Zelt. Ich konnte jetzt alles sehen
und hatte die Schreierei nicht!
Es war interessant alles zu beobachten. Wie sich der
Sturm langsam aufbaute und wieder abschwoll, ebenso den Regen, evt. Hagel
und Überschwemmungen bzw. das ganze Unwetter mit Donner und Blitzen zu
beobachten.
Ich konnte auch genau sehen, wann der Spuk vorbei
war, frühzeitig aus dem Auto steigen und draußen inspizieren, was der
Sturm angerichtet hatte. Ich war ringsherum die Einzige die im Auto saß,
genoss meine Situation und war stolz auf meine Unabhängigkeit. Ich
brauchte bei Sturm nie wieder in das Zelt!
Das nächste Ereignis war ca. mit 14 Jahren. Eine
Klassenfahrt nach England für 14 Tage stand an. Sie fiel teilweise in die
Urlaubszeit meiner Eltern. Sie wollten mir nicht erlauben, mitzufahren.
Wochenlang kämpfte ich schon um die Unterschrift.
Ich wusste, ein Geldproblem gab es nicht, wir hatten
genug.
Ich hatte allerdings 'schlechte Karten', da mein
älterer Bruder im letzten Jahr auch nicht fahren durfte. Er hatte auch
nicht gekämpft, sondern im Vorfeld aufgegeben. Er behauptete, er hätte
sowieso nicht fahren wollen. So stand ich alleine da.
Ich fand, die Klassenfahrt stand mir wie allen
anderen Mädchen meiner Klasse zu und versuchte, meine Eltern mit
Argumenten zu überzeugen, nichts half.
Ich war verzweifelt, die Klassenfahrt rückte immer
näher. Ich spürte wohl, dass sie für mich wichtig war, hatte sie ja auch
den pädagogischen Zweck, den Gesichtskreis zu erweitern und von den Eltern
unabhängiger zu werden.
Nachdem ein halbes Jahr vergangen war und die
Klassenfahrt kurz bevorstand, passte ich die Gelegenheit an einem
Wochenende noch einmal ab und sprach meine Eltern zusammen abends an.
Sie weigerten sich weiterhin, mir die Klassenfahrt
zu erlauben, da es terminlich teilweise mit unserer Urlaubsfahrt zusammenfiele, und
ich müsse mit ihnen fahren.
Jetzt fasste ich meinen ganzen Mut zusammen - noch
nie hatte ich mit meinen Eltern ansatzweise darüber gesprochen -, und
sagte, dass ich sowieso nicht vorhätte, irgendwann noch einmal mit Ihnen
in Urlaub zu fahren, da sie sich immer nur streiten würden. Das war wie
ein Paukenschlag!
Meine Eltern schienen mir betroffen zu sein, sie
hatten wohl auch meine Entschlossenheit gespürt, denn ich wäre bereit
gewesen es irgendwie eskalieren zu lassen. Ich ging ins Bett. Ich fühlte
mich einerseits schlecht, dass ich soweit gegangen war, meine Eltern
bloßzustellen.
Es war so, als hätte ich ein Tabu gebrochen, d.h.
etwas ausgesprochen, was wir nicht aussprechen durften, aber es musste
sein.
Am nächsten Morgen lag ohne weitere Erklärung die
Einwilligung auf dem Küchentisch und meine Mutter bereitete alles für die
Reise vor.
Richtig freuen konnte ich mich nicht, aber froh war
ich doch, dem weiteren gemeinsamen Urlaub entronnen zu sein.
Der Englandurlaub sollte sich für mich - so glaube
ich - auch zu einer Art Schlüsselerlebnis entwickeln.
Schon die Busfahrt gestaltete sich für mich anders
als ich erwartet hatte. War ich doch gewöhnt, mich bei längeren Fahrten im
Auto immer zu übergeben, hatte ich wieder die komplette Ausrüstung (Beutel
etc.) dabei und durfte an einem günstigen Platz sitzen.
Aber es war eine sehr harmonische und interessante
Fahrt und weder im Bus noch auf der Fähre (alles schaukelte sehr) wurde
mir schlecht, ich war wie befreit.
In England angekommen, war alles sehr ungewöhnlich
und spannend wegen der fremden Sprache und den sehr freundlichen Menschen.
Wir waren zu jeweils 10 Kindern in einer englischen
Familie untergebracht mit "Mummy and Daddy".
Unsere Lehrerin hatte sich sehr viel Mühe gegeben
mit der Planung. Wir unternahmen jeden Tag einen Ausflug zu berühmten
Schlössern oder fuhren nach London und besuchten bekannte Plätze oder
Parks. Am Wochenende oder abends gingen wir ins Theater oder in einen der
berühmten englischen Clubs und hörten Lifejazz. Der englische Daddy
(Schlagzeug) und der Mann meiner Lehrerin (Piano), der bei uns im Haus
wohnte, waren Oscar Peterson Fans und spielten auch selbst. Ich fand die
Musik natürlich Klasse. Es war alles urgemütlich. Ich war sehr glücklich.
Nur einmal wurde das Glück getrübt. Bei einem
Mittagessen kam meine Lehrerin in unser Haus und rief, 'Monika, du hast
ein Telegramm von deinen Eltern'. Sie dachte, ich freue mich, sie wusste
ja nicht, was sie bei mir anrichtete, denn ich erschrak fürchterlich.
Ich dachte sofort, 'Jetzt haben sie sich also
endgültig zu Hause totgeschlagen und du musst nach Hause.'
In dem Telegramm stand: 'Herzlichen Glückwunsch zum
Geburtstag, Deine Mutter!' (Ich hatte Geburtstag?, den hatte ich ganz
vergessen!) Wahrscheinlich eine nette Geste, (mir kam es wie eine Drohung
vor), aber ich konnte sie innerlich nicht mehr annehmen, es war zu spät!
Wir waren insgesamt 12 Tage in England und ich war
sehr verwundert, dass meine Gasteltern sich nie stritten. Wenn wir nichts
vorhatten, schlich ich in dem Haus herum und rechnete irgendwie mit
Auseinandersetzungen, kannte ich es doch nicht anders, aber nie viel ein
böses Wort. Die englischen Eltern schienen sich zu mögen und zu achten.
Sie strahlten ein Glück aus, das auch mein Glücksgefühl verstärkte und mir
Hoffung gab.
Es gab also Glück 'draußen', ich musste nicht immer
nur unglücklich sein.
So leid es mir tat, ich musste von zuhause weg, auch
wenn ich alle im Stich ließe!