Ich war ab meinem 5. Lebensjahr nicht nur wegen der familiären
Verhältnisse sehr unglücklich.
Sobald ich etwas mehr denken konnte, lief ich herum
und dachte immer wieder, warum bin ICH gerade ICH, und vor allen Dingen,
warum bin gerade ICH ein MÄDCHEN.
Es schien mir, als bekämen Jungen immer die
interessanteren Geschenke (Märklin-Eisenbahn, Legosteine, Stabilbaukasten,
Schukobahn u.s.w., u.s.f.), durften immer die interessanteren Sachen
machen (auf Bäume klettern, Fußball spielen, usw.), und Jungen hatten die
bequemere Kleidung an, während man sich als Mädchen mit einem Rock und
Petticoat herumschlagen musste, der immer zerriss, wenn man auf Bäume
klettern wollte. Als Mädchen Hosen zu tragen, war noch verboten.
Immer hieß es, du bist ein Mädchen, du darfst das
nicht, du kannst das nicht oder einfach, du bist ja 'nur ein Mädchen'.
Ich weiß nicht, ob das der Grund dafür war, warum
ich immer meine Kleiderkrägen anknabberte. Vor mir war kein Kragen des
verhassten Kleides sicher, das ich trug. Nach einiger Zeit jedenfalls war
das Kleid hinüber.
Man wurde als Mädchen auch von vielem
ausgeschlossen. Da ich Fußball sehr liebte und auch recht gut spielen
konnte (zum Leidwesen meines Bruders wählten seine Hauptspielkameraden
immer mich, nicht ihn in die bessere Mannschaft), wollte ich in einem
Fußballverein trainieren. 'Das darfst du nicht, du bist ja nur ein
Mädchen!'
Ich hätte gerne außer Blockflöte noch ein Instrument
gespielt, mein Bruder bekam als Junge eine Trompete gestellt, konnte aber
nichts damit anfangen. Ich hätte gerne Gitarre oder Klavier gespielt, aber
Mädchen bekamen kein weiteres Instrument und meine Eltern wollten kein
Geld dafür ausgeben.
Ich meldete mich auch bei unserer Pfarrei, weil sie
Messdiener suchten. Da erfuhr ich, 'für Mädchen nicht gestattet'!
Als ich an unserer Schule über einen Aushang erfuhr,
dass in unserem Viertel Jugendliche für Mal-, Knetgummi-, Sport,- oder
andere Kurse in einem sog. Jugendtreff gesucht wurden, ging ich sofort
dorthin und wollte mich anmelden, in der Hoffnung, dass ich dann nicht
mehr so oft alleine bin. Der Jugendheimleiter fing mich noch an der Türe
ab, ließ mich gar nicht erst herein und sagte, 'dass ist nichts für
Mädchen'. Sind Mädchen etwa keine Jugendlichen!?
Ich war sehr enttäuscht! Mädchen waren wohl etwas
Minderwertiges und so behandelte mich auch mein Bruder. Er hänselte mich
oft in der Öffentlichkeit. Er akzeptierte mich nicht und schämte sich, mit
mir gesehen zu werden. 'Du bist ja nur ein Mädchen'.
Weil ich mich mit meinem Bruder nicht richtig
verstand, wünschte ich mir sehnlichst ein Schwesterchen. Ich dachte, dann
würde ich mich vielleicht nicht mehr so alleine fühlen.
Ich fragte meine Mutter oft, ob ich nicht ein
Schwesterchen haben könnte. Irgendwann erklärte sie mir barsch, dass sie
schon ein Kind ABGETRIEBEN hätte. Ich verstand dies am Anfang nicht so
recht, aber mit der Zeit wurde mir klar, ich hätte ein Geschwisterchen
oder vielleicht sogar ein Schwesterchen haben können, aber es ist tot!!!
Und Außerdem: Mein Bruder war ein Wunschkind, das
wusste ich, aber ich???
(Meine Mutter reagierte auf Nachfragen immer
ausweichend!) Noch heute denke ich oft daran, wie ich mich wohl mit meinem
Geschwisterchen verstanden hätte, bzw. was für ein Mensch es wohl geworden
wäre!