In diesem Zimmer wohnte ich mit meinem Bruder bis zu meinem (fast) 16.
Lebensjahr, er war 18 Jahre alt. Mir ist bewusst geworden, dass ich mich
an das Zimmer als weiteres dunkles Zimmer in meinem Leben erinnere. Mein
Bruder hatte in diesem Zimmer das absolute Sagen. Wann und wie lange Musik
gehört, das Licht zum Lesen angelassen oder sich unterhalten wurde,
bestimmte er, da er älter war. Wenn er abends schlafen wollte, zogen wir
die Rollladen herunter und es war ganz dunkel im Zimmer.
Ich lag oft wach, konnte abends nicht einschlafen
und fühlte mich manchmal wie im Gefängnis.
Ich kann mich erinnern, dass ich in dieser Zeit oft
wiederkehrende Alpträume hatte.
Beim Einschlafen musste ich sehr vorsichtig sein,
dass kein Bettdeckenzipfel über der Bettkante hing, geschweige denn ein
Fuß, denn wilde Tiere, Schlangen und Krokodile würden mich dann mit
Sicherheit in den Abgrund ziehen und verschlingen.
Es waren immer wieder dieselben Alpträume, die mich
nachts oft wiederholt ereilten.
Bei einem Traum war ich in der Wohnung meiner
Großeltern, wurde von dem Balkon magisch angezogen, bis ich kopfüber
herunterfiel auf die Straße oder in den Garten.
Ein anderer Traum war, dass ich in einer Reihe mit
anderen stand und zuschauen musste, wie alle von oben nach unten in der
Mitte mit einem großen Türkensäbel gespalten wurden. Immer wenn ich dran
war, wachte ich schweißgebadet auf.
Im dritten Traum hatte ich einen Knäuel
magnetisierender Stecknadeln im Hals, die ich dann nacheinander
auszuwürgen versuchte.
Es gelang mir meistens nicht ganz, immer blieben
Stecknadeln im Hals stecken.
Der eine oder andere Traum wiederholte sich oft
mehrmals pro Nacht, immer wenn ich einschlief, fing es wieder von vorne
an.
Irgendwann lernte ich, mich gegen die Träume zu
wehren. Schon beim Einschlafen versuchte ich, mir schöne Dinge
vorzustellen, bzw. mit positiven Träumen z.B. von schöner Natur
anzufangen.
Ich lernte interessanterweise auch mit der Zeit,
negative Träume im Schlaf abzuschalten. Nach dem Motto, das ist nur ein
Traum, hör einfach auf damit! Diese Fähigkeit habe ich heute noch. Ich
kann mir Träume solange 'ansehen', bis ich sie selbst noch interessant
finde, sie aber an einem gewissen Punkt abschalte, wenn es zuviel wird,
indem ich einfach aufwache.
Das gelingt mir meistens.
Einerseits erinnere ich mich daran, dass ich mir in
dieser Zeit oft wünschte, ins Heim zu kommen. Ich stellte mir vor, ich
ginge zum Jugendamt und würde fragen, ob sie mich aufnehmen. Aber ich
traute mich dann doch nicht, weil ich Angst hatte und meine Eltern und
Familie nicht so verraten wollte - ich hatte ja auch noch nie mit jemand
anderem darüber gesprochen.
Andererseits fing ich damals an, mich politisch zu
interessieren. Wenn ich dann in der Tagesschau oder in Dokumentarberichten
Filme über leidende Kinder in Afrika (Biafra) mit dicken Wasserbäuchen
sah, fand, ich demgegenüber hatte ich es sehr gut, denn ich hatte zu Essen
und zu Trinken, musste also keinen Hunger leiden, und ich war dankbar!